Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Herr Vrba und die Altersvorsorge
Freitag, 10. April 2009

Wimmlers Demontagen - von Karl Wimmler

Leider ist Dagofil („Jimmy“) Vrba viel zu wenig bekannt. Vor hundert Jahren war dieser Sportberichterstatter des Prager Tagblattes und Romanlektor berüchtigt für das exorbitante Chaos in seinem Arbeitszimmer. Legendär wurde er im November 1918. Als tschechische Nationalisten die Redaktionsräume dieser Zeitung stürmten und in Vrbas Arbeitsraum gerieten, rief sofort einer: „Hier waren schon welche von uns“, und die Horde zog weiter.

Manche Leute bedauern, dass meine Arbeitsweise der Vrbas ziemlich ähneln dürfte, wenn sie mein Papierchaos zuhause zu Gesicht bekommen. Aber wenigstens jetzt habe ich eine Ausrede: Niemals sonst wäre ich in der Lage, aus einem acht Jahre alten österreichischen Wirtschaftsmagazin zu zitieren. Wobei ich hiemit an Eides statt erkläre: Ich hab keinen Groschen dafür bezahlt. Irgendwo lag der trend damals herum – mit dem Titelbild „Jetzt oder nie REICH werden“. Damals, im Mai 2001, habe ich darauf vermerkt: „aufbewahren & in einiger Zeit mit der Realität vergleichen“.

Ich muss noch vorausschicken, dass damals gerade alle möglichen Börsengänge auch in Österreich für die Anleger mit einem bitteren Erwachen geendet hatten – wie in einem beigelegten Spezialheft unter anderem anhand österreichischer Beispiele durchaus auch eingeräumt wurde. So hatte beispielsweise allein die Telekom Austria innerhalb von vier Monaten Börsenkapital von 22 Milliarden Schilling (rd.1,6 Mrd. Euro) vernichtet. Und von 32 Emissionen zwischen 1997 und 2000 gingen 21 „in die Hose“, wie es dort salopp hieß. Manche Leichtgläubigen hatten allerdings gar keine Hose mehr, sondern verloren ihr letztes Hemd. Dennoch, in der Rubrik „Geldclub“ („hier beantwortet trend Leserfragen zum Thema Geld“) wurde dann glorreich geschwafelt. Zum Beispiel. „Um Ihr Kapital (in fünf Jahren von 300000 Schilling und mit monatlichen Einzahlungen von 17000 Schilling) auf 1,6 Millionen Schilling zu vermehren, müssten Sie eine Nettorendite von durchschnittlich acht Prozent pro Jahr erzielen. Dieses Ziel zu erreichen, halten wir für möglich.“ – Halt! Konkret! Frage: „Ich beabsichtige, einen Betrag von 5000 Schilling monatlich in einen thesaurierenden internationalen Aktienfonds zu investieren. Folgende Fonds habe ich in die engere Wahl gezogen: (…) Was halten Sie von dieser Auswahl?“ – Hier war nun der anonyme trend-Schreiber voll in seinem Element: „Von diesen Fonds gefallen uns zwei ganz besonders gut: Der ACM Global Growth Trends (AAA-Rating von Standard & Poor’s) wird sehr dynamisch geführt. Auf ein und fünf Jahre rangiert er jeweils im ersten Quartil (= im obersten Viertel im Vergleich zur Konkurrenz). Der Morgan Stanley Global Equity verfolgt einen Value-Ansatz. Er liegt auf zehn Jahre sowie über ein Jahr ebenfalls im ersten Quartil … Die beiden Fonds würden sich hervorragend ergänzen.“

Genug! Heute kann sich jeder selbst ein Bild machen. Beschränken wir uns auf Fonds Nr.1, der „besonders gut“ gefiel. Die Ernüchterung ist zu besichtigen unter: http://www.finanzen.net/fonds/ACMBernstein_Global_Growth_Trends_Portfolio_A_USD_historisch. Die dazugehörige Kurs-Kurve von Mai 2001 bis Februar 2009 zeigt, dass der trend-gläubige Anleger in diesem Zeitraum nicht nur ein rundes Drittel seiner Einlage verloren hat, sondern auch noch die Spesen und Provisionen seiner Bank und all jener zu bezahlen hatte, die bei diesen Geschäften dranhängen. Abzüglich Inflation blieb dem guten Mann (und es sind in der Regel immer noch hauptsächlich Männer, die solche Geschäfte machen) kaum die Hälfte seiner Einlage übrig. Genau genommen vermutlich nicht einmal das, denn er hat ja nicht alles zu Beginn der Periode gekauft, sondern monatliche Anteile. Aber so genau will ich es gar nicht wissen. Mir reicht die Differenz zwischen Prognose und Realität völlig.

Vielen Menschen allerdings reichen solche Offenbarungen (nicht meine, nur die der Realität) nicht. Sowohl von Laien, als auch von Profis kommt an dieser Stelle der Einwand: Ja, aber es wurden und werden auch enorme Kursgewinne gemacht! Das ist wohl wahr. Und wen es interessiert, der kann dann manchmal irgendwo nachlesen, welche Personen wann durchs Spekulieren reich geworden sind. Da erinnere ich mich dann gerne an Geschichten wie jene vom European Kings Club. Eine Bekannte zahlte Anfang der 90-er Jahre rund 50.000 Schilling ein und war begeistert. Tatsächlich erhielt sie nach einem Jahr das Doppelte zurück. Was ihr bewies, dass sie klug gehandelt hatte. Als dann dieses betrügerische Pyramidensystem 1994 zusammenbrach und achtzigtausend Anleger, davon zwanzigtausend allein aus Österreich, insgesamt 1,6 Milliarden Schweizer Franken verloren, war die Sache geklärt.
Nein, Aktien und Fonds sind kein Pyramidensystem. Aber zumindest einen Antrieb haben diese beiden Varianten gemeinsam: Reich werden bzw. Sicherheit für sich selbst sichern ohne Achtung auf den Reichtum der Gesellschaft und seine Zukunft. Das ist neben vielem anderen auch ein Grund dafür, warum die Umstellung des Pensionssystems auch nur teilweise auf „Eigenvorsorge“ durch Aktien und Wertpapiere – also Fonds – schädlich und verhängnisvoll ist. Je wichtiger die „Eigenvorsorge“, desto unwichtiger die Zukunft der Gesellschaft als ganzer. – Stop! Genug der Schulmeisterei! Höchste Zeit, wieder an Herrn Vrba zu denken und eine vergilbte Kopie hervorzuzerren, ein wertvolles Kleinod der kapitalistischen Volkswirtschaft. „Der Spiegel“ interviewt im Jahr 2000 (für Zweifler: Heft Nr. 32) Herrn Thomas Fischer, damals Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. Es fängt schon gut an: „Ein Crash, also ein nachhaltiger Kursverfall bei Wertpapieren auf breiter Front, ist nie völlig auszuschließen.“ Das sagte nicht der „Spiegel“, sondern Herr Fischer. Spiegel: „Wie seriös ist da die weltweite Werbung der Finanzindustrie für Wertpapiersparen als Altersvorsorge?“ – Antwort. „Die ist so seriös wie die Langzeitberechnungen, nach denen bestimmte Formen der Anlage in Wertpapieren alle anderen Vorsorgeformen geschlagen haben.“ – Spiegel: „Wer zwischen 1965 und 1990 auf die Aktien des Dow Jones Index gespart hat, der hatte eine Null-Rendite, denn deren Wert war 1990 real genauso hoch wie 1965.“ Fischer: „Kein Mensch sagt: nur Aktiensparen. Alles, was wir sagen, ist: Stärkt diese Säule der Altersversorgung … und reduziert das Umlagesystem auf eine Art Grundsicherung.“ Spiegel: „Das System, das Sie skizziert haben, wurde in Großbritannien seit 1980 eingeführt. Heute lebt dort ein Drittel der Rentner mit Einkommen an der Armutsgrenze …. Das Umlagesystem wurde nach dem Krieg eingeführt, weil die kapitalgedeckten Vorkriegskassen nach der Katastrophe nichts mehr wert waren und Millionen Alte ohne ausreichende Rente dastanden. Warum sollten wir uns diesmal viel sicherer sein?“ – Aufgepasst! Herr Fischer weiß Rat: „Also gut, nehmen wir an, der Alptraum wird trotz allem noch einmal wahr, und das Realkapital ist vernichtet. Wissen Sie, was wir dann machen werden? Wir kehren sofort zum Umlagesystem zurück. Das können wir immer.“ Ende des Interviews.

Also Leute, lassen wir die Fischers weiter abcashen! Und wenn dann unsere „Eigenvorsorge“ futsch ist, gehen wir zum bankrotten Staat betteln. Herr Fischer übrigens hat seinen beruflichen Crash bereits bestens hingekriegt. Die West-Landesbank, deren Vorstandsvorsitzender er von 2004 bis 2007 war, ist ihn los und pleite, lese ich auf Wikipedia. Zugegeben, eine nützliche Einrichtung, dieser Internetdienst. Aber ohne Herrn Vrba wäre ich so weit nie gekommen.

Karl Wimmler ist Historiker und Kolumnist des KORSO.
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