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Die Wünsche der Industrie: Mit Lohnverzicht noch tiefer in die Krise?
Freitag, 10. April 2009
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Während die Industriellenvereinigung auch in der Steiermark Lohnkürzungen als Ausweg aus der Krise anpreist, warnen Wirtschaftswissenschafter, dass dieser Schritt – abgesehen von seinen Auswirkungen auf die Betroffenen – direkt in die Deflation führen könnte.

Schon Ende November des Vorjahres ritt der österreichische Industriellen-Präsident Veit Sorger aus und forderte 25% Lohnverzicht von den ArbeitnehmerInnen jener Betriebe, die krisenbedingt unter Auftragseinbrüchen leiden; die öffentliche Hand sollte darüber hinaus das unternehmerische Risiko zur Hälfte übernehmen und 50% der betrieblichen Fixkosten aus dem Steuertopf refundieren. Unterstützung kam  von  Magna-Co-CEO Siegfried Wolf, mit einer kaum verhohlenen Drohung in Richtung der Belegschaften: Jeder müsse sich überlegen, ob er in einem Betrieb weiterarbeiten wolle, der ein temporäres Problem habe. Bei den Gewerkschaften holte er sich mit dieser Idee kalte Füße, mit einer dreimonatigen Schrecksekunde reagierte dann auch Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner: Die Wirtschaft sei ein Netzwerk, sagte er sinngemäß in einer „Pressestunde“ des ORF Ende März, sinkende Löhne bedeuteten auch sinkende Kaufkraft und damit geringere Umsätze für die Betriebe.

Garantie wird nicht gegeben. Der Präsident der steirischen Industriellenvereinigung, Jochen Pildner-Steinburg, griff hingegen die Forderung Sorgers wieder auf und plädierte für Notkollektivverträge auf Betriebsebene mit entsprechenden Lohnkürzungen.
Im KORSO-Gespräch weist Pildner-Steinburg die Vermutung zurück, diese Forderung könnte darauf beruhen, dass sich Lohnkürzungen für die steirische Industrie auch deswegen auszahlen könnten, weil sie – im Gegensatz zu Gewerbe und Handel – selbst kaum negative kaufkraftverlustbedingte Rückkoppelungseffekte zu erwarten hätte; die steirischen Industrieunternehmen hängen ja zu 60% von Exportkunden und nur zu 40% von heimischer – und auch hier nicht nur von steirischer – Nachfrage ab. Er sei davon überzeugt, dass „Menschen, die eine Perspektive haben, nämlich die, dass Lohnreduktionen befristet sind und der Arbeitsplatz hält, auch mehr für den regionalen Konsum tun als Arbeitslose.“ Allerdings: Weder Veit Sorger noch der steirische Industriellen-Präsident haben ihre Vorschläge mit einer Arbeitsplatzgarantie verbunden.

Wirtschaftspolitischer Voodoo. Mit der Frage konfrontiert, ob Lohnkürzungen auch unter dem Aspekt gerechtfertigt seien, dass die Produktivitätssteigerungen der letzten Jahre an den ArbeitnehmerInnen vorbeigegangen seien, wovon der deutliche Fall der Lohnquote seit Ende der siebziger Jahre Zeugnis ablegt, zweifelt Pildner-Steinburg die volkswirtschaftliche Datenlage an: Die „Lohneinkommen“ seien deswegen gesunken, „weil Herr und Frau Österreicher älter werden und Pensionseinkommen nicht zum Lohneinkommen zählen“, eine „sinkende Lohnquote“ sei deshalb „ein Zeichen für eine maturierte Volkswirtschaft.“
Das ist schlichtweg wirtschaftspolitischer Voodoo durch Vermischung von Begriffen: In der Tat sind die Lohneinkommen nicht gesunken (abgesehen von den letzten Jahren, wo auch eine Stagnation der Reallöhne festzustellen war), verschlechtert hat sich das Verhältnis zwischen Lohn- und Kapitaleinkommen – eben die Lohnquote – weil die Kapitaleinkünfte stärker gestiegen sind als der erwirtschaftete Reichtum – das Bruttoinlandsprodukt –, die Lohneinkommen aber unter dessen Steigerungsraten lagen. Die Zahlen sprechen eine überdeutliche Sprache: Die Bruttolohnquote ist in Österreich zwischen 1978 und 2007 um 15 Prozentpunkte von 71% des Volkseinkommens auf knapp 56% gefallen. Und: Natürlich sind entgegen der Annahme Pildner-Steinburgs die Ausgaben für die Pensionen inklusive Dienstgeberanteil Bestandteil der Bruttolohnquote, bestätigt uns Mag. Alois Guger vom Wirtschaftsforschungsinstitut.

Spekuliert statt investiert? Zudem wurden die im Verhältnis zu den Löhnen deutlich stärker gestiegenen Kapitaleinkommen auch nur in sinkendem Ausmaß in die Betriebe reinvestiert – auch eine Tatsache, die der Präsident der steirischen IV in Abrede stellt: „Es wurde mit den Gewinnen massiv, aus heutiger Sicht sogar über-investiert.“ Die Zahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der ÖSTAT sagen uns auch hier anderes: Im langjährigen Schnitt zwischen 1978 und 2008 sind die Bruttoanlageinvestitionen jährlich mit +2,2% sogar weniger stark gestiegen als das Bruttoinlandsprodukt (+2,4%); da die Kapitaleinkünfte aber stärker gestiegen sind als das BIP, ist das wirkliche Missverhältnis zwischen den Gesamtgewinnen und dem Gewinnanteil, der in den Betrieben verblieb, noch wesentlich deutlicher: Die Gewinnquote ist von knapp 22% des Volkseinkommens im Jahr 1978 auf 34% im Jahr 2006 geklettert, die Investitionsquote im gleichen Zeitraum von 24% des BIP auf knappe 21% gefallen.
Man kann’s drehen und wenden, wie man will: Die letzten dreißig Jahre haben eine massive  Umverteilung von den Löhnen und Gehältern hin zu den Kapitaleinkünften gebracht, und von diesen wiederum wurde ein steigender Anteil nicht in das Realkapital der österreichischen Unternehmen investiert. Was mit dem Geld passiert ist? Guger lapidar: „Natürlich wurde von vielen Unternehmen auch spekuliert.“

Dumping. Dass unter diesen Voraussetzungen die ArbeitnehmerInnen wenig Lust verspüren, die Zeche ein zweites Mal zu bezahlen, nachdem ihnen schon ihr Anteil an den Produktivitätsgewinnen vorenthalten wurde, ist verständlich. „Die Betriebe haben in der Vergangenheit sehr gut verdient und die Arbeitnehmer haben wenig davon gehabt“, formuliert Guger unmissverständlich. Es gibt aber auch eine Reihe von volkswirtschaftlichen Gründen gegen Lohnkürzungen: „Sie wären ein sehr gefährliches Signal für die KonsumentInnen“, sagt der Wirtschaftsforscher. „Dann beginnen die Menschen aus Angst zu sparen, das setzt einen Deflationsprozess in Gang, bei sinkenden Preisen müssten die Unternehmen dann real immer mehr für ihre Kredite zahlen, weil die Kreditzinsen ja nicht unter Null sinken können.“ Vor Einzelverträgen warnt Guger vehement: „Das kann nur zu Lohndumping führen.“ Bei Magna ist man dennoch fest entschlossen, diesen Weg einzuschlagen.

„Wolf spürt es jetzt schon.“ Der Termin, der Siegfried Wolf in seiner Funktion als CEO bei Magna International Inc. am 26. März nach Graz führte, schlug hohe Wellen. Der ehrgeizige Steirer, der wie Magna-Eigentümer Frank Stronach einst als Werkzeugmacher begonnen und in den letzten Jahren zu einem der einflussreichsten Wirtschaftsbosse des Landes avancierte, hatte schlechte Nachrichten im Gepäck und wurde bei Führungskräften wie BelegschaftsvertreterInnen von Magna-Steyr mit einer Bitte vorstellig, die eine neue Runde im strategischen Überlebenskampf in Folge der Wirtschaftskrise einläutete. Wolf bat nämlich sämtliche Beschäftigte mit Angestellten-Status – insgesamt handelt es sich dabei um 3500 MitarbeiterInnen allein in der Steiermark – um einen einjährigen Gehaltsverzicht in der Höhe zwischen fünf und 20 Prozent. Dieser „Solidarbeitrag“ sei laut Magna unbedingt notwendig. Aus der Magna Europe Zentrale in Oberwaltersdorf bei Wien erläutert man die Vorgehensweise gegenüber KORSO: Dieser „Beitrag“, der „freiwillig“ erbeten wird, sei erforderlich, um die „gesunde Basis des Unternehmens“ zu schützen, erklärt Konzern-Sprecher Daniel Witzani. Warum Magna trotz „gesunder Basis“ einen derartigen Schritt überhaupt setzen müsse, erklärt Witzani ebenfalls in Windeseile: „Wenn General Motors oder Chrysler in Amerika flöten gehen, dann ist auch unsere starke Basis futsch.“ Dass ein derartiger Vorstoß von Magna, immerhin der größte private Arbeitgeber in der Steiermark, nicht auch Signalwirkungen für andere Unternehmen haben und die Hemmschwelle zur Durchsetzung von Gehaltskürzungen senken könnte, glaubt Witzani nicht. „Jeder Betrieb muss auf das eigene Haus schauen, wir erteilen hier keine Ratschläge.“ Darüber hinaus würden alle an einem Strang ziehen und die Firmen-Oberen mit gutem Beispiel voran gehen. So verzichtet laut Witzani auch Magna-Chef Wolf auf einen Gutteil seiner Gage: „Wolf hat von 2007 auf 2008 39% an Gehalt eingebüßt, von 2008 auf 2009 sind es 22%.“ Nachsatz: „Wolf spürt es jetzt schon.“

„Die Krot schlucken.“ Unsozial sei dieser Schritt nicht, immerhin seien jene ArbeiterInnen, die sich in Kurzarbeit befinden, davon ausgenommen – Kritik hagelt es trotzdem von mehreren Seiten. Einerseits würde ein derartiger Schritt die Kaufkraft mindern und damit den konjunkturellen Abwärtstrend beschleunigen, andererseits gibt es grundsätzliche Skepsis am ungewöhnlichen Schritt des Unternehmens: „Man muss sich fragen, wo die Milliardengewinne der letzten Jahre geblieben sind. Bei den ArbeitnehmerInnen sicher nicht“, sagt ÖGB-Vorsitzender Horst Schachner. Erschwerend kommt hinzu, dass es für diese Entscheidung im Gegenzug nicht einmal Arbeitsplatzgarantie gibt. Schon aufgrund der ungewissen Zukunft des automotiven Sektors sei ein derartiges Gegengeschäft ohne jeden Wert. Gewerkschaftsboss Schachner plädiert für ein anderes Modell, dass zeitweilige Liquiditätsprobleme von Unternehmen überbrücken könne: „Wenn es schon einen temporärer Lohnverzicht geben muss, dann sollte man diesen als günstigen Kredit der ArbeitnehmerInnen an das Unternehmen betrachten, der bei Besserung der Wirtschaftslage zurückzuzahlen wäre.“ Auch manche steirische Wirtschaftstreibende können dem Vorschlag von Magna wenig abgewinnen: „Wir stehen grundsätzlich zu einem Zusammenhalt in einer schwierigen Situation“, sagt Erwin Stubenschrott, Geschäftsführer von KWB-Bioheizungen in St. Margarethen/Raab. Trotzdem sei eine „generelle Festlegung des Prozentsatzes für den Lohnverzicht“ für KWB keine nachahmenswerte Strategie. Wenn es schon ein solidarisches Zusammenstehen eines Unternehmens in Krisenzeiten geben muss, „soll das Geld in wirtschaftlich besseren Zeiten wieder an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückfließen.“ Davon ist man bei Magna aber weit entfernt, vielmehr verhandeln Konzernspitze und BelegschaftsvertreterInnen mittlerweile über eine „Empfehlung, die der Belegschaft als Entscheidungshilfe vorgelegt werden soll, erklärt Witzani. Entscheidet sich jemand gegen diese „Empfehlung“, müsse der Betroffene keine Angst davor haben, gekündigt zu werden, heißt es aus Oberwaltersdorf. Ob jene, die auf ihr Geld nicht verzichten wollen, trotz dieser Beteuerungen der Konzernspitze, tatsächlich keine Angst um ihren Arbeitsplatz haben müssen, will Günther Pepper, Angestelltenbetriebsrat bei Magna-Steyr, lieber nicht kommentieren: „Da sag ich jetzt gar nichts dazu.“ Pepper meint, man müsse die „wirtschaftliche Lage des Unternehmens“ mitdenken: „Natürlich haben wir nicht applaudiert“, aber jetzt sei man zu Verhandlungen bereit. „Ehrlich gesagt bin froh, dass wir überhaupt verhandeln können. Ich habe eine Zeit lang gedacht, dass dieser Verzicht vom Arbeitgeber diktiert wird“, sagt Pepper. So habe man sich in den laufenden Verhandlungen zumindest darauf geeinigt, dass die Kollektivverträge trotz Lohnverzicht nicht unterschritten werden dürfen. Ein Ende der Verhandlungen erwartet Pepper „nach Ostern“: Am Ende des Tages müsse man „die Krot schlucken“. Kann gut sein, dass sie im Hals stecken bleibt, wenn – was niemand wünschen wollte – zum Lohnverzicht der Verlust des Arbeitsplatzes kommt.

\ Christian Stenner,
\ Gregor I. Stuhlpfarrer

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