Einer der vielen Gründe für die Erfolgsgeschichte des Theater im Bahnhof besteht in seinem Avantgardetouch jenseits intellektueller Abstrusität und einer Aktualität, die sich politisch nicht instrumentieren lässt. Das macht auch neugierig auf die Uraufführung von „EUROPA! EUROPA!“, die den Vertrag von Lissabon zum Gegenstand hat.
Bei dem Projekt handelt es sich keinesfalls um eine jener EU-gesponserten, systemkonformen Unternehmungen, die ihren Sinn vor allem in der politischen Korrektheit des Themas haben. Monika Klengel, Geschäftsführerin des TiB, hat sich z. B. für das Projekt erwärmt, nicht weil sie den Lissabonner Vertrag verstünde, sondern eben als Protest dagegen, dass man ihr empfohlen hat, dennoch positiv für die Gesetzesvorlage zu stimmen. „EUROPA! EUROPA!“ ist jedenfalls kein Auftragswerk, sondern ein Wunschkind des Ensembles, das das halbe Jahresbudget von 2009 verschlingen wird – abgesichert allein durch zwei garantierte Gastspiele in Düsseldorf und Wien. Anthropologie andersrum. Zwar ist „EUROPA! EUROPA!“ angesichts der Wirtschaftskrise nicht mehr ganz so aktuell, aber der Ansatz, einen Gesetzestext zu inszenieren, ist nicht nur für Juristen faszinierend. Am Anfang des Projektes standen Pia Hierzegger und Rupert Lehofer. Lehofer interessierte der Text des Lissabonner Vertrags, der der Europäischen Union eine einheitliche Struktur und Rechtspersönlichkeit geben und den abgelehnten Vertrag über eine Verfassung für Europa ersetzen soll. Pia Hierzegger dagegen nahm sich André Hellers Show „Afrika! Afrika!“ an, wollte allerdings in „EUROPA! EUROPA!“ den Spieß umdrehen. Keine Schwarzen oder sonstige Exoten sollten diesmal Gegenstand der Unterhaltung oder Forschung sein, sondern wir selber als EuropäerInnen unter die Lupe genommen und beschrieben werden. Die Gewohnheit, westlicher Anthropologen Exoten zu beschreiben, nennt man Ethnozentrismus, der umgekehrte Blick heißt für das TiB „EUROPA! EUROPA!“
Totaler Personaleinsatz. „EUROPA! EUROPA!“ ist das bisher komplexeste und schwierigste Unternehmen des TiB. Neben den zwei Regisseuren arbeiten außerdem zwei Bühnen- bzw. Maskenbildner mit. Rupert Lehofer, der auch spielt, fungiert als Dramaturg. Kommentiert wird die irre Revue durch die Off-Stimme Helmut Köppings, die sehr an einen kenntnisreichen, aber keinesfalls dominanten Sportkommentator erinnert. Diese Stimme rückt das Spiel auf der Bühne in anthropologische Distanz. Es wird in seiner scheinbaren Schmucklosigkeit zu etwas Fremden, Gefundenem. Auch der Vertrag von Lissabon ist etwas Vorgefundenes, ein Objet trouvé, das Imagination und Reales bis zur Unkenntlichkeit mischt. Bisher waren viele der stärksten Arbeiten des TiB jene, in denen eine soziale Art trouvé in realen Umgebungen und nicht auf der großen Bühne präsentiert wurde. Das Orpheum ist aber eine solche große Bühne. Man darf daher auf die Premiere am 11. März gespannt sein. \ Willi Hengstler
Weitere Vorstellungen: 18., 19., 24., 25., März und 2., 3., 4., 15., 16., 17., 18. April im Orpheum, Orpheumgasse 8, 8020 Graz.
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