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Anita Witek – Die Imagination des Raumes
Dienstag, 10. März 2009
Während ihres Studiums der Fotografie am Royal College of Art in London arbeitete Anita Witek an einem Video, das 1998 fertiggestellt wurde. Es zeigt die Künstlerin auf dem Weg zwischen ihrer Wohnung und dem Royal College in einer chronologischen Folge aus der Sicht von privaten und öffentlichen Überwachungskameras.

Die systematische Video-Überwachung im öffentlichen Raum wird inzwischen als Closed Circuit Televison, CCTV, bezeichnet. Nachdem ein Parlamentarier im britischen Unterhaus damals die weiträumige Installation von Überwachungskameras mit dem, hier sinngemäß wiedergegebenen, Argument verteidigte, man erfahre so, wer die im öffentlichen Raum erfassten Personen seien und was sie dort täten, formulierte Anita Witek den Titel ihres Videos als Frage: do you know where you are, do you know what you’ve done. Die Intention der Künstlerin bei dieser Arbeit reicht allerdings weit über pro und contra des verbreiteten Sicherheits-Arguments gegenüber den Überwachungskameras hinaus und erwies sich in der Praxis ihrer Recherche als berechtigte Kritik. Die Frage betrifft den Umgang mit respektive die Möglichkeit von Selbstbestimmung über mediale Bilder, auf deren Entstehen kein Einfluss genommen werden kann. Und wie erwartet war es äußerst mühsam, in den Besitz der Videoaufzeichnungen von Bildern der eigenen Person zu gelangen. Ein dramaturgisches Moment erfuhr der zentrale Teil des Videos im Bereich der Londoner Subway. Nach Absprache mit der Leitung der Überwachungszentrale war Anita Witek über Funk mit Monitor-und Kameraoperateuren verbunden, die entsprechend ihres Standortes die jeweiligen Kameras nach dem von ihr eingeschlagenen Weg schalteten. Damit entstand eine Art chronologischer Live-Schnitt. Die Videoaufzeichnungen allerdings wurden ihr nur insofern überlassen, als ihr gestattet wurde, die Sequenzen vom Monitor nochmals zu filmen. do you know what you are, do you know what you’ve done ist inzwischen in die Sammlung der Neuen Galerie Graz aufgenommen und wurde, nach Teilnahme an inzwischen etlichen internationalen Ausstellungen, im vergangenen November im Rahmen der Ausstellung Another Tomorrow – Young Video Art from the Collection of the Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum in der Slought Foundation, Philadelphia, gezeigt. Das Video ist derzeit in der Ausstellung Rewind / Fast Forward. Die Videosammlung in der Neuen Galerie Graz zu sehen.

Fotografie und Illusion. Ein visueller Essay, basierend auf etwa 300 gefundenen und gesammelten Abbildungen, hat die Geschichte des Fotostudios zum Thema. „Keine enzyklopädische Abhandlung“ sollte es sein, erklärt Anita Witek, vielmehr eine Erzählung über die Zeitspanne von 1864 bis 2003, die von der „fotografischen Inszenierung und Produktion von Fotografien“ handelt. Die Bilder-Erzählung mit dem Titel Before & After „zeigt Kulissen, Scheinwerfer, Studio, Modelle, Kamera und Fotografen“ und ist angelegt aus einer Art Metaposition gegenüber der Illusion, wie sie etwa aus der Situation eines Modells vor einer Studio-Kulisse entsteht. „Es ist ein Versuch“, beschreibt Witek diese Arbeit in einem Interview für Camera Austria1, „mir selber die Frage, was der Raum kann, zu beantworten. Wie verhält sich der stille Komplize Raum im Prozess der ,ikonografischen Vereisung‘2 von Mensch und Ding in der Fotografie“.
In mehreren Ausstellungen wurde Before & After nach jeweils neuer Dramaturgie in Diaprojektionen gezeigt. In komprimierter Auswahl wurde Before & After 2003 in der Anthologie Untitled (Experience of Place)3 publiziert.

Die Reise. Im Rahmen des Förderungspreises des Landes Steiermark für zeitgenössische bildende Kunst 2008 wurde Anita Witek im Jänner 09 mit dem Humanic-Preis ausgezeichnet. Die prämierten, großformatigen Fotografien aus dem Zyklus Die Reise der Fotografin lassen gegenüber den Intentionen oben beschriebener Videoarbeit beziehungsweise des Bild-Essays zunächst zwar an eine inhaltliche und formale Neuorientierung denken, führen aber in Betrachtung der Genese wiederum in das schon angedeutete Umfeld, das man hier naheliegend auch als Hintergrund bezeichnen kann.
Diesem Zyklus, Die Reise der Fotografin, liegt, wie Anita Witek in ihrem Wiener Atelier erzählt, eine Entwicklung zugrunde, die damit begann, dass sie nach Abschluss ihres Studiums in Wien 1997 mit dem Auto nach London gefahren war; zunächst ohne konkretes Vorhaben, immerhin aber „weil ich dort leben wollte“. Im Zuge der Wohnungssuche, und der damit verbundenen Annäherung an die noch unbekannte Stadt, entstand eine schließlich sechzehnteilige Bildreihe aus der Intention, sich ihre ideale Wohnung vorzustellen. Aus Printmagazinen zu Architektur und Lifestile schnitt sie Teile der darin gedruckten Fotografien aus, um diese in neuer Konstellation zu montieren und so zu Bildern imaginierter Räume zu gelangen. Die Methode, über vorgefundenes Bildmaterial eigene Raumvorstellungen zu konstruieren, erwies sich als praktikabel und wurde in der Folge präzisiert und ausgeweitet.

Sampling und die „Kamera als UHU“. Die Arbeitsweise des Montierens von vormals nicht miteinander in Verbindung stehenden Bildteilen zu einem neuen Arrangement entspricht in ersten Arbeitsschritten zwar dem Prinzip der Collage, die einzelnen Elemente werden allerdings nicht geklebt. In weiteren Phasen der Erstellung fotografiert Anita Witek die sich entwickelnden Arrangements in verschiedenen Konstellationen und Erweiterungen bis zum endgültigen Bild. Das Verfahren ist durchaus mit dem Sampling gegenwärtiger Musikproduktionen zu vergleichen. Allerdings bevorzugt Anita Witek ein nach seinem Prinzip als analog zu beschreibendes Verfahren, nachdem sie auch analog, auf Negativfilm, fotografiert, während Computer letztlich nur mehr als Speicher- und Kontrollinstrument zum Einsatz kommen.
Mein Insistieren um die Beschreibung ihres Selbstverständnisses – mit Bedacht auf den vergleichsweise dominanten Entwicklungsprozess des Motivs –, als bildende Künstlerin oder spezifischer als Fotografin, kürzt Anita Witek schließlich mit einer eingängigen Sentenz ab: „Ich verwende die Kamera als UHU.“ Nach Ausarbeitung als Fotografien im großen Format sind Witeks Raumbilder mit Jean Baudrillard in der Tat als Simulakren zu lesen. Als Fotografien einer von der Autorin konstruierten Wirklichkeit – originale Dokumente mit Vorbehalt, deren Motive so nicht existieren und eigentlich nie existierten.

Über persönliche Wunschvorstellungen einer „idealen Wohnung“ führen Witeks Räume inzwischen weit hinaus und werden über Serientitel wie Die Reise der Fotografin und einzelne Bildtitel um ein erzählerisches Moment erweitert, das allerdings angedeutet und der Assoziation von RezipientInnen überlassen bleibt. Der konstruierte Raum – ins Bild gesetzte Möglichkeit – ist somit Protagonist in Anita Witeks Fotografien. Und eine kürzlich von Walter Titz geäußerte Wahrnehmung, diese Räume erinnerten in gewisser Weise an Piranesis Radierungen der Carceri d’Invenzione (Venedig 1745), erscheint der Künstlerin – darauf angesprochen – durchaus plausibel.

\ Wenzel Mraček


1     Gespräch mit Barbara Clausen, Camera Austria 94/2006, S. 45.
2    Gunnar Schmidt: Das Gesicht. Eine Mediengeschichte. München 2003, S. 136.
3     Gregor Neuerer (Hg.): Untitled (Experience of Place). London 2003 (Koenig Books).

 

Anita Witek  …

 … ist 1970 in der Obersteiermark geboren; 1997 Diplom, Universität für Angewandte Kunst, Wien; 2000 MA Photography, Royal College of Art, London; 2002-2003 ISPC Residency Programm, New York; 2007 Auslandsstipendium für Fotografie, BKA, London; Ausstellungen (Auswahl): 1998 „Junge Szene“, Secession, Wien; 2000 „World-Information.org“, Technisches Museum, Wien; Centre Brussels 2000, Brüssel; 2003 „Anita Witek – urban exercises“, Galerie P. Brüssel; „See: Be Seen“, VTO Gallery, London; 2004 „One in a Million“, Austrian Cultural Forum, New York; 2005 „Double Check: Die Re-Definition von Raum in der Fotografie: Gegen Räume, synchrone Geschichte(n)“, Camera Austria, Graz; 2006 „Anita Witek – Before & After“, MURRAY GUY, New York; „reflection & distraction“, Galerie Fotohof, Salzburg; 2007 „Summer school“, Ibid projects, London; 2008 „Dark side. Fotografische Begierde und fotografierte Sexualität“, Fotomuseum Winterthur, Winterthur. Lebt in Wien.

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