SCHLAFENGEHN (Auszug) |
Dienstag, 10. Februar 2009 | |
Gerhild Steinbuch
ELM HANS Vater ANNA Mutter MILAN alter Mann NELE Mädchen MILAN hat ein verwelktes Bein. Interpunktion soll die Vortragsweise anzeigen. „/“ kennzeichnet im überlappenden Dialog den Moment der Unterbrechung. NELE: Wo ich herkomm. Das ist ein Anblick dort dass man leicht neidisch werden könnt. Mir geht das Herz auf einmal auf, wenn ich nur dran denk.
Milans Wohnung. MILAN: Du hast einen Flaum auf den Beinen, dass deine Haut sich weich anfühlt davon. Da merkt man dran dass du noch nicht so alt bist.
ELM: Lass das. MILAN: Wenn ich mit der Hand entlang fahr. Schön ist das. Ist das nicht schön? ELM: Nein. MILAN: Oder warte. So. Ganz zart bist du mit deinem Kinderkörper. Nicht dass ich ins Gefängnis komm. (Pause). Lach doch. Er krault Elms Kopf. ELM: Du kratzt auf meiner Kopfhaut rum. MILAN: Ich mags wenn du dich ärgerst. Das macht dich interessanter, im Gesicht.
ELM: Ich würd gern schlafen jetzt. MILAN: Gibt’s nicht, wenn ich da grad erfrier. Meine Finger spür ich schon nicht mehr, bald klirrts und ich fall auseinander. ELM: Das ist normal. Dass man nicht gut durchblutet wird, wenn man ein Krüppel ist. Sag nicht das ist jetzt neu für dich.
MILAN: Denkst du ich find das vielleicht komisch. ELM: Ich bring dir nur ein bisschen Bildung bei. MILAN: Jetzt redest du noch dumm, aber wenn ich dann einmal kurz vorm Ende bin und nurmehr rumlieg glotz dich an mit trüben Augen und du musst mir dann die Wünsche ablesen von den Lippen weil ich mich sonst zu sehr erreg falls du dich weigerst und dann kommt der Arzt, der nimmt dich auch gleich mit und sperrt dich weg mit mir gemeinsam zu den andren Idioten.
ELM: Glaubst du ich bleib bei dir, wenn du dich nicht mehr rührn kannst. MILAN: Dann hau doch gleich ab. Dich hab ich bald ersetzt. Elm bleibt. MILAN: An dir verschwend ich meine Zeit. Er legt sich zärtlich neben Elm. ELM: Erzählst du mir dann was? Ich schlaf sonst schlecht. MILAN: Ich wärm mich nur. Nicht dass du was verwechselst. ELM: Ja. Mach schnell jetzt, ich bin schon müd.
Vor dem Haus, in dem sich Milans Wohnung befindet. Anna und Hans nebeneinander. Hans versucht zu schreiben. Anna hat eine stattliche, aber unförmige Torte auf den Knien und schaut sich bemüht interessiert um.
ANNA: Schön.
HANS: Hat dein Ohr sich einmal eingewöhnt kannst du die Vögel hörn.
ANNA : So lang bleib ich nicht.
HANS: Hm.
ANNA: Ich hab dich vermisst. Der Tag wird leer wenn du nicht da bist. Ich setz Kaffee auf und tu sonst nichts, nur die Maschine anstarrn obwohl ich doch noch nie Kaffee getrunken hab und wenn ich aus der Stadt komm hab ich auf einmal vergessen in welchem Haus ich wohn. Ich glaub ich weiß auch nicht mehr wie ich heiß.
HANS: Ich weiß wie du heißt.
Milans Wohnung. Elm macht Kaffee. Milan dicht hinter ihm, mit Post. Sortiert sie aus und steckt einen Teil davon ein, versteckt das aber vor Elm.
MILAN: Guten Morgen. Guten Morgen.
ELM: Ja. MILAN: Das war dein Stichwort. Was schaust du. ELM: Gar nichts schau ich. MILAN: Ich merk das. Ich hab noch einen raschen Kopf. Ich kann mir das zusammendenken, ich kenn die, deine Kinderaugen, wenn ich da reinschau/ ELM: /Ich schau dich nicht an. MILAN: Ja.
ELM: Ich möcht nicht drüber reden. Ich wollt grad vorhin raus, die Tür ist zu. MILAN: Natürlich ist sie zu. Sonst könnt auch einfach irgendjemand in der Nacht/ ELM: /Ja. MILAN: Du wolltest- ELM: Ist egal. MILAN: Ist nichts gekommen, nur Reklame. Ich weiß nicht was du wartest. Falls du auf irgendetwas wartest. Ich pass auf. Lange Pause. Elm schaut Milan nicht an. Milan betrachtet Elm. MILAN: Wenn ich auf deinen Bauch seh und dran denk was sich da eingenistet hat krieg ich auf einmal eine Lebensfreude, dass ich dich stundenlang nur anschaun könnt. ELM: Versuchs doch. MILAN: Freust du dich nicht? Das tut dir gut, du wirst ein bessrer Mensch davon. Er versucht Elms Bauch zu vermessen. ELM: Lass los.
MILAN: Das macht auch dein Gesicht ganz frisch. Ich hab gar nicht gewusst dass du in Wirklichkeit kein hässliches Gesicht hast. Er möchte ihn weiter vermessen.
ELM: Wenn du noch lang so an meinen Beinen dranhängst, passiert ein Unglück. (Pause) Ein Unglück. MILAN: Halt still, ich muss genau nachsehn. Sonst stimmt das Messergebnis nicht. ELM: Bitte. Er leert den Kaffee über Milan. Schweigen.
MILAN: Das ist das Kind. Das geht vorbei, dass man dann launisch ist. Ich hab das wo gelesen. ELM: Gar nichts hast du.
Er schlägt sich mit der Hand auf den Bauch. MILAN: Hör auf. Ich helf dir.
Elm schlägt sich wieder mit der Hand auf den Bauch.
ELM: Bewegt sich nicht. Schlägt sich wieder mit der Hand auf den Bauch.
MILAN: Das reicht jetzt.
ELM: Geht dich nichts an was ich da mach. Das wartet ja nur ohnehin darauf dass ich zerberst. Und dann näht es dir ein buntes Kopfkissen aus meinen Einzelteilen, dass du dann auch in Zukunft auf mich sabbern kannst im Schlaf. MILAN: Du redest dumm. Das geht vorbei. Ich pass auf. ELM: Ja. Er schlägt wieder. Milan hält ihn fest. MILAN: Mir ist egal wenn du dich halb zu Brei schlägst. Nur das Kind, das ist mir nicht egal. Das kann nichts dafür, dass du ein tief gestörter Mensch bist. Das hat dann auch mit mir etwas zu tun, ich hab da auch Verantwortung dafür. ELM: Wenns nach dir kommt ist es ohnehin schon längst ein Krüppel. Er macht sich los und geht zum Fenster. MILAN: Hau nicht wieder mit dem Kopf dagegen. Das geht kaputt, ich kann mir das nicht leisten, dauernd Neues. Elm reagiert nicht. Er starrt aus dem Fenster. MILAN: Wenn dich so jemand sieht, mit deinen dunklen Augenschatten, die glauben dann ich bin ein schlechter Mensch zu dir. Milan wartet auf eine Antwort. Es kommt keine. Schweigen. Dann:
ELM: Manchmal wach ich auf mitten in der Nacht. Und ich bin so dick geworden dass ich nicht mehr durch die Tür pass. Und du musst dann die Vermieterin informieren damit du ein Loch in die Wand stemmen kannst für mich. Die macht dir aber nicht auf. Also kommst du wieder und sagst ich soll die Augen zumachen. Und wie ich so im Dunkeln sitz winkst du rasch nach dem Sprengkommando, das kommt und jagt mich in die Luft.
MILAN: Ich würd dich nicht in die Luft jagen lassen. Pause. ELM: Ja. MILAN: Ich hol noch eine Fensterscheibe.
ELM: Dann ham sie mir den Himmel gezeigt. Das ist an was ich mich von früher noch erinnern kann: Viel ist das nicht.
Die ham nie was gesagt. Damits schön still gewesen ist, vom gar nix Reden und es dann irgendwann davon dann wieder richtig wird und gut. Dass das so aber nie gestimmt hat, ham sie nicht kapiert. In Wirklichkeit wirds nämlich dann so laut wenn man nix sagt, dass man aufpassen muss, dass einem nicht der Kopf auf einmal auseinanderfliegt, von den Geräuschen. Ich möcht nie so ein Mensch sein irgendwann, mit lauter blöden Lebensrettungsphantasien. Drum nach dem Himmel gleich auf dem Weg nachhaus flink an den andren zwei vorbei abhaun und einen Sprung dann aufs erzeugerfremde Gleis, drei Treppenschritte, schaun dass man nicht ins Glas hineinläuft, Abteil auf und in den Polstern verschwinden. Wegfahrn, und dabei dann am besten nur sich auf die Schuhe schaun, sonst nix, nicht zurückschaun, dass die einen dann doch noch kriegen und zukleistern mit ihren Bildern von der Welt bis man nichts mehr so sehen kann wies wirklich ist, dann kann man gleich aus einem Fenster springen. Das ist aber ortsunabhängig, besser wird’s woanders auch nicht.
ANNA: Das wichtigste mit den Torten ist, dass man sich vorher überlegt wie sie ins Tagesgeschehen passen. Weil nichts die Stimmung mehr ruiniert als eine falsche Torte. Da kann ansonsten sein was will. Schlimmer wird’s nicht mehr. Vorsichtig unterheben und bei 180 Grad eine halbe Stunde ins Rohr.
Vor dem Wohnhaus. Anna steckt Hans Kuchenzutaten zu. Sie wartet ab. Hans versucht Anna zu ignorieren. Als das nicht klappt, gibt er ihr die Zutaten zurück. HANS : Da.
ANNA: Mach ich dir eine Doppeltorte draus. HANS: Musst du nicht. ANNA: Ich hab gewusst da freust du dich. Pause.
ANNA: Ich bin froh dass du dich freust.
Pause.
ANNA: Ich kann mir die Freude schon heraussuchen aus einem anderen Gesicht, ich find die immer, auch wenn sie andren nicht gleich auffällt. Bemitleidenswert sind die Menschen die sagen dass das in Wirklichkeit ganz anders ist und andren nicht mehr in die Augen schaun, nur auf den Mund. Die ham sich selbst verbittert. Die können sich gar nicht mehr richtig freun. Ich kann mich freun. Pause.
HANS: Du musst nicht warten auf mich. ANNA: Was machst du. HANS: Warten. ANNA: Ich leist Gesellschaft. Wir könnten uns ein wenig unterhalten/ HANS: /Ja./ ANNA: /Und ich erzähl dir was. Was Schönes über uns. HANS: Aha. ANNA: Eine Geschichte, so wie früher. Ich weiß da nämlich eine, die/
HANS: /Ich habs nicht so mit Märchen. ANNA: Aber/ HANS: /Ich wills nicht hören, blödes Zeug.
Schweigen. ANNA: Dann starrn wir doch ein bisschen in die Sonne. Heut ist schließlich ein schöner Tag. Ist doch schön so. Ist es doch. Morgen bring ich eine Kamera, dann machen wir ein Foto von uns und dem Himmel das kleben wir dann in ein Album ein und zeigen es den Nachbarn. Und die kriegen einen Neid auf uns und linsen gierig durch den Türspion wenn wir den Gang entlangspaziern.
HANS: Ich hab mich verliebt. Pause. ANNA: Macht nichts. „schlafengehn“ wird durch den Rowohlt Theater Verlag vertreten.
Gerhild Steinbuch, *Der Theatertext „R. Destillat" nach dem Film „Rosetta" der Dardenne-Brüder wurde im Rahmen des Freischwimmer-Festivals 2008 an den Sophiensälen Berlin in Koproduktion mit: FFT Düsseldorf, Gessnerallee Zürich, brut Wien und Kampnagel Hamburg uraufgeführt (Regie: Julie Pfleiderer / Philipp Becker) und wird vom Rowohlt Theater Verlag vertreten.
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich. |
< zurück | weiter > |
---|