Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Leer oder frei?
Dienstag, 10. Februar 2009

Kreative Stadt Entwicklung (9) - von Harald Saiko

Geschäfte sterben. Aber die Zeit heilt alle Wunden oder besser, die Menschen sind vergesslich und gewöhnen sich schnell an den Zustand, der sie umgibt. Wer kann sich noch erinnern, was zu ebener Erd’ in Leonhardstraße, Jakoministraße oder Griesgasse einst geboten wurde?

Neben den kulinarischen Versorgern wie Café, Gasthaus, Zuckerlgschäft, Konditor, Bäcker, Fleischhauer oder dem kleinen Milchgeschäft auch Buchhändler, Schreibwaren, Papiergeschäft, Blumenladen, Eisenwaren, Haushaltswaren, Fotogeschäft, dann Bandagisten, Drogerie und Apotheke fürs Wohlbefinden – oder Reisebüro, Damen- und Herrenfriseur, Herren- und Damenmode, Berufskleidung, Schuhgeschäft und Schuster, Taschner, Schneider oder sogar eine Plissieranstalt, neben Knöpf´und Kurzware, Wollgeschäft und Nähmaschinen, Handschuh und Hut sowie Optiker, Juwelier, Goldschmied und Uhrmacher, Pokale, Orden, Briefmarken, Musikalien oder Schallplatten, hin und wieder eine Kleintierhandlung oder Pelze oder alles für Jagd und Fischerei und natürlich Spielzeuggeschäfte usw. usf. Bekommen hat man alles, was man braucht, und das in der Nähe, in der Stadt.
Freilich, heute sieht es anders aus. Das eine oder andere dieser Geschäfte fristet noch ein Dasein in der Gasse wie die letzten Zähne im alten Gebiss. Einige Läden wurden zweckentfremdet und viele stehen leer. Im besten Fall wurde aus dem Milchgeschäft ein türkischer Greißler, wo man statt früh morgens nun spät abends einkaufen kann. Und vieles aus diesem Branchenmix braucht man heutzutage nicht mehr.
Was man bis vor kurzem allenfalls noch in „schlechten“ Lagen sah, passiert mehr und mehr an den besten Adressen. Die Gründe, die dafür angegeben werden, sind ebenso vielfältig wie einseitig. Sie reichen von zu kleinen Lokalen mit fehlender Verkaufs- und Lagerfläche über nicht optimalen Branchenmix bis – natürlich – zum Einkaufszentrum am Stadtrand. Außerdem immer wiederkehrend das Parkplatzproblem und zu hohe Mieten in der Stadt. Last but not least sind natürlich stadtplanerische Vorgaben und Fehler, Stadtentwicklung und Politik dran schuld. Die Gegenmittel, die verordnet werden, helfen wenig und sind ebenso vielfältig wie einseitig: Mondscheinshopping und Gutscheinaktion: Braucht man das, wenn man etwas braucht? Eine Internetplattform mit freien Lokalen. Warum etwas bewerben, was offensichtlich keiner braucht? Das Verhindern von Shopping-Centern. Abgesehen davon, dass es die Politik nicht zustande bringt, wo bitte gibt’s die zusammenhängenden Riesenflächen für jene Ankermieter, die die Zugpferde der SC sind? Und Parkplätze: Wie bitte soll in der historischen Altstadt jemals Platz wie auf dem Acker sein? Und Mieten sind im Shopping-Center keinesfalls niedriger, samt Baukosten- und Werbezuschuss und sonstigen versteckten Ablösen sowieso. Mieten werden in der Höhe bezahlt, wie sie ein Unternehmer durch Geschäftstätigkeit wieder einnehmen kann, und wenn es nichts zu unternehmen gibt, dann wird auch die geringste Miete nicht zu zahlen sein. Und wie sollen Politiker oder Planungsbeamte neue Geschäfte aus dem Hut zaubern, die der Markt nicht generiert? Was haben Bebauungspläne oder Stadtentwicklungskonzepte damit zu tun, ob man in ein Geschäft geht und einkauft oder nicht? Rein gar nichts.
Ohnmacht macht sich breit, nicht nur bei Innenstadtinitiativen und Stadtmarketinggesellschaften. Außer in einer einzigen dieser Straßen, der Grazer Mariahilferstraße, dort ist kein einziges Geschäft mehr leer. Junge kreative Leute haben neue kleine Geschäfte eröffnet, wo sie produzieren, arbeiten, verkaufen – und Miete zahlen. Die Straße ist von ihrer Leere befreit, weil Neues unternommen wird, das zum kleinen Geschäftsraum und zum Charakter des Stadtraums passt und umgekehrt. Die wenigen traditionellen Geschäfte passen gut dazwischen. Vielleicht bleibt angesichts wirkungslosen Förderungsrauschens der Interessenvertreter und aller Romantik, die dem Thema der alten Geschäfte der Stadt anhaftet, nur mehr eine Revolution?
Freiheit den Erdgeschossen!

Architekt DI Harald Saiko, geboren und aufgewachsen in Graz, Architekturstudium in Graz und Paris. Gründer von SAIKO.CC als Büro für Architektur . Stadt . Kultur mit Sitz in Graz, Wien sowie Timisoara/ Rumänien
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