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Julia Gaisbacher – Der Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts
Dienstag, 10. Februar 2009
Mit dem Ohr am Puls der gesellschaftlichen Entwicklungen, bestens vertraut mit einer Vielzahl an Techniken und Materialien und handwerklich perfekt; offen für viele Strömungen und dennoch verankert in den kunsthistorischen Traditionslinien – die junge, in Dresden studierende Grazerin Julia Gaisbacher kann schon ein vielfältiges und umfangreiches Oeuvre vorweisen.

Sie hat in Graz Kunstgeschichte studiert, eine Ausbildung zur BE-Lehrerin begonnen und die Meisterklasse für Bildhauerei an der der Ortweinschule besucht – bis das lokale Angebot den Ausbildungswünschen der vielseitig Interessierten nicht mehr genügte. „Auch die Wiener Akademie kam für mich nicht in Frage – anders als dort absolviert man in Dresden zunächst zwei Jahre lang ein Grundstudium bei unterschiedlichen Professoren, erst dann sucht man sich im Hauptstudium einen neuen Professor, bei dem man bis zum Diplom bleibt. Das Studium bietet hier große Freiheiten und zielt von Anfang an darauf ab, dass die Studierenden ihren eigenen künstlerischen Weg finden, es gibt keine Vorgaben, was Materialien, Themen und Kurse betrifft.“

Fei, Calle, Sierra. Die so gewährten Freiheiten seien zwar „manchmal etwas schwierig zu bewältigen“, aber Gaisbacher hat guten Gebrauch davon gemacht. Sie will sich auch noch nicht in eine bestimmte Richtung drängen lassen – „ich würde das bedenklich finden, weil ich ja noch am Beginn meines eigenständigen künstlerischen Schaffens stehe.“ Dennoch nennt sie KünstlerInnen, deren Arbeiten sie „nachhaltig beschäftigen“ – die junge Chinesin Cao Fei, die mangaähnliche Szenen nachstellt und fotografiert; die Französin Sophie Calle, die Einbrüche in ihre eigene Intimsphäre inszeniert und dokumentiert; und den in Mexiko lebenden Spanier Santiago Sierra, der 2001 bei der Biennale jungen Immigranten die Haare blond färbte, um sie so in den Augen der Mehrheitsbevölkerung zu Europäern zu machen. „Der gesellschaftskritische Hintergrund ihrer Arbeiten und der Bruch mit gesellschaftlichen Tabus spricht mich sehr an“, sagt Gaisbacher.

Das Werk muss auch für sich alleine stehen können. Alle drei genannten sind KonzeptkünstlerInnen; alle drei entsprechen aber auch einer Forderung, die Gaisbacher so formuliert: „Gerade bei konzeptionellen Werken finde ich sehr wichtig, dass die Arbeiten auch für sich stehen können, dass sich die Betrachter das Werk ansehen und auf sich wirken lassen können, ohne dass sie sich vorher eine Werkbeschreibung durchlesen müssen. Viele Arbeiten mit konzeptionellen Ansätzen sind oft nur noch für bestimmte Kunstkreise oder nach langer Studie des Werkes und der Künstlerbiographie zugänglich, was ich sehr fragwürdig finde.“
Exemplarisch dafür steht die Arbeit, mit der sie 2007 den Umweltpreis der TU Braunschweig gewann: In einen Kanaldeckel ist der Fingerabdruck eines Braunschweiger Kanalarbeiters eingearbeitet – schon für sich allein genommen ein auffallendes Werk. Die Assoziation des Individuums mit seinem Fingerabdruck ist zudem eine, die im Zeitalter des Überwachungsstaates und der Speicherung biometrischer  Daten zu Identifikationszwecken nahe liegt.
Der Fingerabdruck soll nach dem Willen der Künstlerin die Bevölkerung auf die Menschen aufmerksam machen, die unter den Straßen schwere Arbeit tun. „Der Fingerabdruck, im 21. Jahrhundert ein modernes Menschenportrait, wird somit öffentlich inszeniert und in die Architektur miteingebunden. Wurde in den letzten Jahren immer mehr Eigentum der Stadt und damit der Bürgerinnen und Bürger privatisiert, so soll es auf diesem Wege außerdem zu einer Markierung von kommunalem Eigentum und zu einer symbolischen Rückeroberung des zum größten Teil privatisierten öffentlichen Raumes durch die Bevölkerung kommen“, sagt Gaisbacher.
Das Motiv des Fingerabdruckes findet sich auch noch in weiteren Arbeiten, etwa in „Liebling (Portrait des 21. Jahrhunderts)“, wo der Fingerabdruck das Portrait des/der Liebsten in einem um den Hals getragenen Anhänger ersetzt, aber auch in „Pars Pro Toto“, eine Serie von acht Fingerabdrücken im A-0-Format, mit welchen die Künstlerin explizit auf die Reduktion des Menschen auf seine biometrischen Daten zu Überwachungszwecken aufmerksam machen will.

Dem Thema angepasste Herstellungsprozesse. Gaisbacher experimentiert mit verschiedenen Materialien und Verfahren, bei Bedarf erfindet sie auch Herstellungsprozesse, um der jeweiligen Themenstellung gerecht zu werden. Ihr Schwerpunktthema 2008 war die „Gentrifizierung“, die langsame Verdrängung ursprünglicher (proletarischer oder migrantischer) Wohnbevölkerung durch „Aufwertung“ von Stadtvierteln, in die in einer ersten Phase zunächst StudentInnen und KünstlerInnen einziehen, die ihrerseits wiederum den Weg für wohlhabendere soziale Gruppen bereiten (oder selbst durch sozialen Aufstieg in diese Gruppen hineinwachsen), ein Phänomen, wie es in Graz etwa derzeit in bestimmten Sektoren der Bezirke Gries und Lend zu beobachten ist.
Die Gentrifizierung des Bezirkes „Äußere Neustadt“ in Dresden hat Gaisbacher zum Thema mehrerer Arbeiten gemacht, deren aufwändige Herstellung sie so beschreibt: „Fotos von unsanierten Fassaden dieses Viertels wurden soweit bearbeitet, dass sie durch die übrig gebliebenen markanten schwarzen Linien an Abbildungen von Fingerabdrücken erinnern. Ebenso wie die Papillarleisten an den Fingern des Menschen bilden auch die schwarzen Umrisslinien der Fassaden unverwechselbare Strukturen und Merkmale der Häuser wieder ab. Als Siebdruckvorlage verwendet, wurden diese „Fingerabdrücke der Häuser“ auf die Rückseiten abgerissener Plakate von jenen Fassaden wieder aufgetragen, auf Plakatstücke, welche sich zuvor wie eine Hautschicht über die unsanierten Fassaden der Häuser erstreckten. Auf dem 400x90cm großen Plakatstück wurde ein Ausschnitt einer Fassade im Maßstab 1:1 spiegelverkehrt abgebildet. Dieser Abdruck der Fassade scheint durch das Abreißen der Plakatschicht sichtbar gemacht worden zu sein. Die Plakatstapel, ebenfalls an der Oberseite bedruckt, stehen als Sammlung für Geschichten der Äußeren Neustadt und ihrer Bewohner.“

Heiterkeit. Alltägliches in neue Kontexte zu setzen und auf diese Weise den Blick zu schärfen ist ein weiteres Anliegen der Künstlerin. Das kann in überraschende Effekte münden wie etwa in ein Relief, das sie aus lackierten Zigarettenhülsen und Styroporteilen gefertigt hat und das je nach Standpunkt des Betrachters an Meeresfrüchte oder Pralinen erinnert; es kann auch in durchaus klassische surrealistische Traumwelt-Montagen münden wie etwa die „Nachtalben“, die Gemälde von Magritte oder Paul Delvaux assoziieren lassen. „Das sind hybride Fotografien, das Ambiente bilden teils verlassene und abgewrackte Industriebetriebe aus der Umgebung Dresdens; in dieses wurden im Studio aufgenommene Fotografien von Personen montiert.“ Die einen Meter großen Darstellungen beruhen auf tatsächlich (von der Künstlerin und Freunden) erlebten archetypischen Albträumen wie „fliegen und fallen“, „nackt sein“ und „Krieg“.
Kaum eine Technik, in der sich Gaisbacher noch nicht versucht hat – ein Schweißerkurs zählte ebenso zu ihrer Ausbildung wie klassische Bildhauerei. Ihre Video-Körperstudien erinnern ein wenig an eine moderne, sanfte Rezeption des Wiener Aktionismus; dieser und vielen anderen ihrer Arbeiten wohnt eine Prise Heiterkeit und Leichtigkeit inne wie etwa den Serienfotos von Menschen, die in eine Zitrone gebissen haben oder jener in Graz gezeigten Installation, in der ein aus einem Fenster hängender Rapunzel-Zopf märchengetreu zum Aufstieg ermuntert. Ja, Kunst darf auch ein wenig zum Lächeln animieren.

Christian Stenner

 

 

Julia Gaisbacher …

… geboren 1983 in Grambach, ao. Studium für Bildnerische Erziehung an der pädagogischen Akademie in Graz-Eggenberg, abgeschlossenes Studium der Kunstgeschichte in Graz, 2005 Schülerin der Meisterklasse für Kunst und Gestaltung (Ausbildungszweig für Bildhauerei) Ortweinschule Graz, seit 2006 Studium für Bildhauerei und andere bildnerische Medien an der Hochschule für bildende Künste Dresden (bei Martin Honert).


Ausstellungen: Graz, Dresden, Leipzig, Görlitz; Umweltpreis der TU Braunschweig 2007 (1. Preis), Carnerie Kunstpreis

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