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Nach 63 Jahren aufgeklärt: Die Fliegermorde von Graz
Montag, 12. Januar 2009
Image Ein junger Grazer Historiker hat in den National Archives College Park in Washington brisante Unterlagen über grausame Morde an amerikanischen Kampffliegern Anfang März 1945 im Gebiet um Graz gefunden – und konnte zwei der gerade 19 Jahre alten Opfer namentlich identifizieren. Außerdem belegt er mit einer Reihe von Indizien, dass die Fäden auch in diesen tragischen Fällen bei jenem Mann zusammenliefen, der die Verantwortung für die Ermordung von Regimegegnern, Deserteuren und Juden in den letzten Kriegstagen trägt: Bei Gauleiter Siegfried Uiberreither, der sich nach dem Krieg durch Flucht einem Gerichtsverfahren entziehen konnte und bis zu seinem Tod 1984 unter falschem Namen in Deutschland lebte (KORSO berichtete ausführlich). 4. März 1945, ca. 13:00: Ein Bombergeschwader der US AirForce, bestehend aus über 140 Flugzeugen, fliegt einen Angriff gegen Ziele in den nördlichen und westlichen Stadtbezirken. Eine riesige B-17 Flying Fortress wird von der Andritzer Fliegerabwehr abgeschossen, dabei werden vermutlich vier der Besatzungsmitglieder getötet, vier weitere überleben, aber nur zwei davon kehren nach dem Krieg in ihre Heimat zurück; die anderen zwei gelten noch heute als vermisst. Eine weitere Maschine, eine nur wenig kleinere B-24 Liberator, wird ebenfalls schwerst getroffen, die Flugzeugnase bricht ab, knapp bevor das Wrack am Plabutsch aufschlägt, lösen sich einige Fallschirme aus den Qualmwolken und segeln zu Boden.
„Vier in allerletzter Sekunde abgesprungene US-Flieger, die allesamt zumindest leicht verletzt sind, kamen an drei verschiedenen Stellen zu Boden“, berichtet Mag. Georg Hoffmann. Der Grazer Historiker ist – gemeinsam mit Mag.a Nicole-Melanie Goll und Mag. Philipp Lesiak – Mitglied der Forschungsgruppe des Center for Military Studies an der Karl-Franzens-Universität Graz, in dem auch die Professoren Harald Heppner, Dieter Binder und Eduard Staudinger Mitglieder sind, und hat für seine Dissertation über die Straßganger Fliegermorde nicht nur Protokolle von Zeugen der damaligen Ereignisse in US-amerikanischen Archiven ausgehoben, sondern auch noch Augenzeugen der damaligen Ereignisse ausfindig gemacht. „Zwei der Flieger landeten am Bahnübergang in Webling, einer etwa einen Kilometer weiter südlich, einer nahe dem Feldhof. Ihre Waffen hatten sie offenbar bereits in der Luft weggeworfen, wohl weil sie wussten, dass sie mit dem Tod rechnen mussten, wenn sie bewaffnet aufgegriffen würden.“

Kaltblütig abgeknallt.
Die zwei Flieger, die in Webling zu Boden gegangen waren, blieben – offensichtlich erheblich verletzt – liegen; sie waren rasch von einer Menschenmenge umringt. Den Fortgang der Ereignisse schilderte Revierinspektor Gottfried Einspieler in einem Bericht, den er am 28. Juni 1945 verfasste und den Hoffmann im Washingtoner Archiv fand: „Wir [Einspieler und der Revieroberwachtmeister Karl Luley] waren mit unseren Fahrrädern ca. 100 Meter von der Landungsstelle entfernt und bemerkten das Hinzulaufen von mehreren Zivilisten, wovon einige mit Pistolen bewaffnet waren, weshalb ich ihnen zurief: ,Nicht schießen! Nicht anrühren!‘ Gleichzeitig fuhren wir mit den Fahrrädern zu den Amerikanern hin, sprangen vom Rad und forderte ich die beiden Männer auf, die Hände hochzugeben, was sie auch sogleich befolgten. Ich durchsuchte dann einen Gefangenen mit der linken Hand nach Waffen, während ich in der rechten Hand die Pistole zu einem eventuellen Angriff schussbereit hielt.“ Während der Durchsuchung erschien eine Streife der SS aus der Wetzelsdorfer Kaserne, der heutigen Belgierkaserne. Der SS-Sturmbannführer Willi Schweitzer, Kommandant des SS-Panzergrenadier-Ersatz- und Ausbildungsbataillons 11 in der SS-Kaserne Wetzelsdorf, schrie Einspieler nach dessen Angaben zu: „Mensch, schießen Sie mal dem Kerl eine Kugel in den Schädel.“ Der Polizist ignorierte diese Aufforderung und wollte die beiden Gefangenen abführen. Was folgte, schildert Einspieler so: „Plötzlich sprang der SS-Untersturmführer Markus Lienhart aus Graz-Straßgang, Hauptstraße Nr. 30 wohnhaft, welcher sich infolge einer Fußverletzung bei seinen Eltern in Straßgang im Krankenstande befand und welcher mit dem Fahrrade am Tatorte erschienen ist, mithin bei der Streife nichts zu suchen hatte, auf die Amerikaner zu und gab ihnen dann einen Brust- und dann einen Genickschuss.“ Markus Karl Lienhart, Jahrgang 1922, Sohn des Straßganger NS-Ortsbauernführers Franz Lienhart, war seit 1939 Mitglied der Waffen-SS.

Der dritte und der vierte Mord.
Der dritte Amerikaner wird von dem zufällig anwesenden Polizisten Anton Kircher etwa einen Kilometer südlich in der damaligen Badgasse aufgegriffen, auch hier erscheinen Neugierige sowie ein (unbekannter) bewaffneter SS-Mann am Ort des Geschehens. Man beschließt, den Amerikaner in die nahe Polizeistation zu bringen. Da tritt der Vater von Markus Lienhart, NS-Ortsbauernführer Franz Lienhart, der im Krieg bereits fünf seiner acht Söhne verloren hat und nicht weit vom Ort der Festnahme des Fliegers wohnt, auf den Plan. Er attackiert den Amerikaner auf dem Weg zur Polizeistation mit Faustschlägen gegen Rücken, Brust und Gesicht – offenbar so brutal, dass ihn ein Wehrmachtssoldat und eine Frau aus der die Gruppe umringenden Menge davon abbringen wollen, worauf er den Wehrmachtssoldaten als „Lausbuben“ beschimpft und ins Gesicht schlägt.
„Die Genannten eskortierten nun den Amerikaner zum Polizeiposten Straßgang“, schreibt Einspieler weiter in seinem Bericht, „wo ihm der SS-Mann eine Ohrfeige versetzte, worauf ihm der Polizei-Revierinspektor Konrad Rossoll sagte, dass eine Misshandlung des Gefangenen am Polizeiposten unter keinen Umständen stattfinden dürfe und nicht geduldet werde.“
Da die Luftschutzsirenen einen weiteren Angriff ankündigten, „begaben sich der SS-Mann und der Ortsbauernführer mit dem Gefangenen in den Luftschutzkeller des Polizeipostens.“ Was dort geschah, ist nicht überliefert; jedenfalls verließen die beiden NS-Funktionäre mit dem amerikanischen Flieger nach dem Ende des Angriffs wieder den Luftschutzkeller und brachten ihn zum Weblinger Bahnübergang an den Ort des Mordes an seinen beiden Kameraden. Dort haben SS-Männer – unter ihnen wieder Markus Lienhart – inzwischen den Raum abgeriegelt, Zeugen können die Geschehnisse nur aus größerer Entfernung beobachten. Der Flieger wird der Leichen seiner beiden Kameraden ansichtig und fleht um sein Leben, er zieht – wie Lienhart, Schweitzer und eine Reihe von Augenzeugen später beim Prozess gegen Lienhart zu Protokoll geben – Bilder seiner Kinder aus seiner Jackentasche und hält sie den SS-Männern entgegen. Da fällt aus dem Hintergrund ein Schuss, der den Amerikaner in den Hinterkopf trifft, kurz darauf noch zwei weitere. Wer der Todesschütze war, kann heute nicht mehr festgestellt werden; allerdings wird Markus Lienhart auch dieser dritten Untat verdächtigt.
Was das Schicksal des vierten Fliegers betrifft, folgen wir weiter dem Bericht Einspielers: „Der vierte Amerikaner landete in Graz-Neuhart, nächst der Feldhofmauer auf dem Pachtgrunde des Gärtners Amtmann. Dieser Amerikaner wurde von Wehrmachtsangehörigen der im Rohbau befindlichen Gendarmeriekaserne nächst dem Kapellenwirt […] festgenommen und in die genannte Kaserne geführt, wo er dann über Befehl des zufällig des Weges kommenden Leutnant Franz Neidenik, am 20.9.1914 in Graz geboren, von einem SA-Mann oder Volkssturmmann, derzeit noch nicht eruierbar, auf offener Straße erschossen wurde.“ Diese Aussage wird in einem Polizeibericht von mehreren Zeugen bestätigt, darunter dem damals elfjährigen Schüler August Gartner, der sich aus Neugier dem Geschehen näherte.

„Meine Ehre heißt Treue.“
Franz Neidenik verbarg sich 14 Jahre lang, bis er sich stellte; am 9. März 1960 wurde er von einem Grazer Gericht mangels an Beweisen freigesprochen. Der Volkssturmmann August Fuchs, der die Ausführung des Mordbefehls gestand, konnte sich nicht mehr erinnern, wer den Befehl erteilt hatte. Was Fuchs betrifft, verzichtete das Gericht auf weitere Strafverfolgung des Angeklagten – mit der fragwürdigen Begründung, dass er schon von einem russischen Gericht wegen anderer Vergehen zu 18 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden sei und acht Jahre davon in Sibirien verbracht habe; die Meldung schaffte es sogar auf die Titelseite des Hamburger Abendblattes vom 11. März 1960.
Markus Lienhart wiederum, der von drei Augenzeugen belastet wurde, gestand den Mord an zwei der Flieger beim gegen ihn geführten Prozess und wurde am 17. Juni 1946 zum Tode verurteilt; ein Gnadengesuch seiner Mutter fruchtete nicht. Er verweigerte sowohl den Beistand eines Pfarrers als auch eine Beichte, er berief sich in seinen letzten Worten auf den Wahlspruch der SS: „Soldat sein, heißt treu sein. Meine Ehre heißt Treue. Ich sterbe für meinen Soldateneid, für Deutschland und meine Heimat. Ihr tut mir meine letzte Genugtuung.“ Das Urteil für Markus Lienharts Vater Franz lautete auf 10 Jahre Kerker.
Die damaligen Ereignisse hätten sich in Straßgang ins kollektive Gedächtnis eingegraben, sagt Hoffmann, der auch vor Ort recherchiert hat, „da gibt es noch sehr viele Menschen, die als Kinder oder Jugendliche als Augenzeugen dabei waren. Manche erinnern sich noch daran, dass sie Schokolade zu essen bekamen, die man den toten Amerikanern abgenommen hatte.“

Zwei der Toten haben nun Namen.
Die ermordeten Flieger wurden, nachdem sie vom Seziermeister des Feldhofs, Rudolf Ruisz, am 5. bzw. 7. März 1945 in Augenschein genommen worden waren, zum Zentralfriedhof gebracht und dort begraben. Nach Kriegsende machten sich etliche Suchtrupps auf die Suche nach vermissten amerikanischen Piloten, am 29. November wurden schließlich die Gräber am Zentralfriedhof geöffnet. Dabei fand man eine Reihe von Leichen amerikanischer Flieger, die jedoch nicht mehr identifiziert werden konnten – rund um Graz waren im Lauf des Luftkrieges insgesamt neun oder zehn Bomber abgeschossen worden. In vier Gräbern, die mit dem Datum „4. März 1945“ bezeichnet waren, lagen aber Leichen, die Kopfschüsse aufwiesen – der Beweis dafür, dass es sich dabei um die Ermordeten handeln muss. In zwei Gräbern lagen zudem Erkennungsmarken: Jene von Corporal Harold D. Brocious  und Sergeant Levi L. Morrow, beide gerade 19 Jahre alt, Mitglieder der Besatzung der B-24 Liberator. Das Forschungsteam fand diese „dog tags“ nun in den National Archives; so haben nun zumindest zwei der am 4. März ermordeten Flieger einen Namen.
Ein Rätsel bleibt freilich: Brocious sei aller Wahrscheinlichkeit nach als „nose gunner“ der B-24 bereits beim Treffer in die Flugzeugnase ums Leben gekommen, meinte der vermutlich einzige Überlebende der Besatzung, Co-Pilot Leutnant MacDonald Moore aus Danbury, Connecticut, bei einer Befragung im September 1945 in den USA. Moore, dessen Fallschirm offenbar entfernt von den anderen niederging, verdankt sein Leben der Zivilcourage zweier Polizisten, die mehrfach Anordnungen des Polizeikommandanten ignoriert haben sollen, ihn „auf der Flucht“ zu erschießen (vgl. Siegfried Beer, Stefan Karner: Krieg aus der Luft. Der tägliche Kampf ums Überleben unter Bomben in der Steiermark und Kärnten 1941-1945, S. 328f.) Dafür lässt sich ein dritter Name mit einiger Wahrscheinlichkeit identifizieren: Das einzige Besatzungsmitglied, das bereits Familie hatte, war der Navigator des Bombers, 2nd Lieutenant Ness – so dürfte es er gewesen sein, der den SS-Schergen Fotos von seinen Kindern entgegen streckte.

Und wieder: Uiberreither.
Das Schicksal des überlebenden MacDonald Moore beweist ebenso wie das seiner ermordeten Kameraden: Entgegen früherer Annahmen handelte es sich bei den Fliegermorden nicht um Lynchmorde durch die gegen die Bomber aufgebrachte Bevölkerung, sondern um von der NS-Führung und der SS verübte oder zumindest angestachelte Untaten. Hoffmann: „Die Fliegermorde waren die Einleitung der Kriegsendphase und Ausdruck des von Goebbels ausgerufenen ,totalen Krieges‘. Ihnen folgen die fliegenden Standgerichte, die Morde vom Feliferhof und der Todesmarsch der ungarischen Juden.“ Vorbereitet wurde diese Eskalationsstrategie, davon ist der Historiker überzeugt, direkt in der Kanzlei von Gauleiter Siegfried Uiberreither. „Er hatte als Reichsverteidigungskommissar exzessive Kompetenzen.“ Und: Er wurde nachweislich von der Polizei von den ersten beiden Morden verständigt, bis zum dritten verging eine Stunde, ohne dass er Grund für ein Einschreiten sah.
Im Gegenteil: SS-Sturmbannführer Schweitzer, selbst für seine Beteiligung an den Morden zunächst zum Tode verurteilt, schlussendlich aber begnadigt (Lienhart hatte versucht, ihm die Schuld anzulasten, weil ihm Schweitzer den Befehl zu den Morden gegeben habe) wurde während seines Prozesses beschuldigt, in und außerhalb der SS-Kaserne Wetzelsdorf Plakate angebracht zu haben, die zu Übergriffen gegen abgesprungene Flieger aufriefen. Schweitzer belegte daraufhin mit mehreren Zeugen, dass er dafür im März 1945einen Befehl vom Gauleiter bekommen habe und dass diese Plakate in ganz Graz angebracht worden waren. Er selbst habe angeblich Uiberreither bei einer Besprechung in der Gauleitung darauf angesprochen und bemerkt, dass das vermutlich etwaige Situationen unkontrollierbar machen könnte. Uiberreither antwortete ihm daraufhin, dass das durchaus bereits bedacht sei und ihn nicht weiter interessiere. Hoffmann: „Bereits im Februar erging eine entsprechende Weisung, die für die Steiermark leider nicht mehr erhalten ist. Für die aktive Rolle Uiberreithers bei diesen Verbrechen spricht auch, dass deutsche Gauleitungen nachweislich ähnliche Plakate aushängen ließen.“ Was dem Mann, der es sogar schaffte, die Todeslisten der letzten Kriegstage von seiner Sekretärin unterzeichnen zu lassen, offenbar auch in diesem Zusammenhang gelang: Er hinterließ kein schriftliches Zeugnis, das seine Urheberschaft Schwarz auf Weiß belegen könnte …

Christian Stenner
» 1 Kommentar
1Kommentar
am Donnerstag, 15. Januar 2009 11:37von Ernst Brandl
Ich darf Herrn Stenner, zu dem Bericht über den Wahnsinn der damaligen Tage gratulieren. 
Vor allem aber, ihr Satz: \\\"Entgegen früherer Annahmen handelte es sich bei den Fliegermorden nicht um Lynchmorde durch die gegen die Bomber aufgebrachte Bevölkerung, sondern um von der NS-Führung und der SS verübte oder zumindest angestachelte Untaten.\\\" 
Für mich persönlich wäre dieser Satz ein \\\"Zwischentitel\\\" unter dem Motto \\\"Keine Lynchmorde der Bevölkerung\\\" wert gewesen. 
 
Denn genau darum geht es: Den Wahnsinn der damaligen Zeit \\\"verdanken\\\" wir verblendeten und verrohten Menschen, dem Kollektiv aber solch \\\"Verrohungen\\\" schuldhaft als \\\"Volkscharakter\\\" zu unterstellen halte ich für nicht statthaft.
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