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Börsenkrise: „Aus Mist Geld gemacht“
Montag, 10. September 2007
Die aktuelle und wahrscheinlich noch immer nicht zur Gänze ausgestandene Banken- und Börsenkrise war in den Spalten der Wirtschaftsblätter schnell erklärt: Gewissenlose Finanzhaie hatten naiven einkommensschwachen US-Bürgern über Jahre hinweg Kredite aufgeschwatzt, die durch Hypotheken abgesichert waren. Als die in schwindlige Höhen gestiegenen Immobilienpreise wieder zu sinken begannen, kamen die Gläubiger im Juli 2007 plötzlich drauf, dass sie auf einem Haufen uneinbringlicher Forderungen saßen – und die Lawine kam ins Rollen.
Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit – der andere hat sehr viel mit der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte zu tun.

Hypotheken im Umfang von immerhin 600 Milliarden US-Dollar sollen laut Angaben der Deutschen Bank von der so genannten Subprime-Krise betroffen sein – „subprimes“ sind Hypotheken, deren SchuldnerInnen über schlechte Bonität verfügen. Sie hatten die Kredite aufnehmen können, weil die Häuser, die sie damit errichteten und die wiederum als Sicherstellung dienten, aufgrund der Immobilien-Hausse erhebliche Werte darstellten. Wie es zu diesem Boom kam, erklärt der Volkswirt und Politologe Prof. Joachim Becker von der Wirtschaftsuniversität Wien im KORSO-Gespräch: „Nach dem letzten großen Wirtschaftseinbruch in den USA zu Beginn des Jahrzehnts wurden die Zinsen stark gesenkt, um eine ,weiche Landung‘ zu ermöglichen. Es gab aber zu viel Kapital, das eine rentable Veranlagung suchte – da hat man sich eben massiv in den Immobilienbereich verlegt und Kredite vergeben, die durch diese Immobilien besichert waren. Mit den Krediten wurde eine Ausweitung des Konsums finanziert.“

Aus Mist Geld gemacht. Nur: zwischen 2003 und 2006 erhöhte die US-Notenbank wegen Inflations-Ängsten die Zinsen von 1% auf 5,25%, damit ging der Immobilienboom seinem Ende zu, die Immobilienpreise begannen zu sinken und die Deckung der Hypothekarkredite war damit entwertet. Gleichzeitig wurden die Zinsen dieser Kredite an das allgemein gestiegene Zinsniveau angepasst – damit wurden viele der Schuldner zahlungsunfähig. Dass diese Schuldenkrise nicht  auf die USA beschränkt bliebt, verdankt sich jedoch einem besonderen Umstand. Becker: „Die Kredite wurden verbrieft, gebündelt und weiterverkauft – und je höher das Risiko war, desto höher war eben die Rendite.“ Solche CDOs (Collateralized Debt Obligations) wurden auch von europäischen Banken gekauft. Oft waren darin mehrere Hochrisiko-Hypotheken verpackt – getreu dem Prinzip Hoffnung: „Ein paar werden schon zahlen können.“ Das hinderte bekannte Rating-Agenturen nicht daran, solche Obligationen mit „AAA“ zu bewerten – also einem Rating, das üblicherweise ultrasicheren Staatsanleihen verliehen wird. Der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Münchau schrieb dazu in der Financial Times Deutschland vom 15. August 2007: „Mit einem Haufen schlechter Kredite kann man also eine „AAA“-Tranche erzeugen. Man hat einen Weg gefunden, aus Mist Geld zu machen.“ Bei vielen Schuldnern, sagt Münchau, sei von Vorneherein klar gewesen, dass sie den Kredit niemals zurückzahlen würden: „Zum Teil war die angepeilte Rückzahlung das Doppelte vom Einkommen.“

Seriöse Institute – mit Neigung zum Risiko. Darüber, dass die Rolle der Rating-Agenturen nun überprüft werden muss, ist man sich unter Experten einig. „Die Agenturen sind der zentrale Schwachpunkt des Systems“, meint Dr. Thomas Url vom Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut – „die theoretischen Modelle, nach welchen sie die Bewertungen vornehmen, haben offenbar nicht gestimmt.“
Der international bekannte Bremer Wirtschaftswissenschafter Prof. Jörg Huffschmid kritisiert gegenüber KORSO allerdings nicht nur die Rating-Agenturen, sondern auch die Banken selbst. „Das ist pure Spekulation, man hat diese CDOs wegen der hohen Renditen gekauft, ohne über die Qualität der darin enthaltenen Kredite Bescheid zu wissen.“ Die Krise hat an den Tag gebracht, dass auch hoch seriöse Institute über solche Hochrisiko-Veranlagungen verfügen; die Sächsische Landesbank, die sich damit massiv verspekuliert hatte, musste durch die Übernahme durch die Landesbank Baden-Württemberg gerettet werden, die Bayrische Landesbank soll ebenfalls mit einem Milliardenbetrag in diesem Bereich engagiert sein. In Österreich sind die UNIQA-Versicherung mit 100 Millionen und die Volksbankengruppe die Hälfte dieser Summe in US-Immobilienkrediten investiert.

Die Zentralbanken konnten den Zusammenbruch verhindern. Warum die Krise am Immobiliensektor letztendlich auch die Aktienkurse purzeln ließ, erklärt Dr. Thomas Url vom Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut: „Zum einen waren die Aktien von Kreditinstituten direkt betroffen – wenn eine Bank Verlust macht, sinkt ihre Aktie. Zum anderen haben sich die Banken am Interbankenmarkt gegenseitig keine Kredite mehr gewährt, weil man sich ja der Liquidität des Schuldners nicht mehr sicher sein konnte. Damit entstand ein allgemeiner Liquiditätsmangel in der Realwirtschaft – und der drückte wiederum die Gewinnerwartungen und damit die Aktienkurse.“
In dieser Situation intervenierten die Zentralbanken – die Europäische Zentralbank, die amerikanische FED und die Bank of Japan – und pumpten über billige Kredite an die in Not geratenen Bankhäuser massiv Liquidität in den Markt – insgesamt über 200 Mrd Dollar. Besteht durch diese kurzfristige Erhöhung der Geldmenge Inflationsgefahr? Nein, sagen alle drei befragten Experten unisono: Es handle sich um eine kurzfristige Maßnahme, die Gelder fließen wieder an die Zentralbanken zurück. Huffschmid: „Die EZB, der ich sonst sehr kritisch gegenüberstehe, hat hier eindeutig richtig und sinnvoll gehandelt“ – die Alternative wäre ein Zusammenbruch des Kreditsystems mit entsprechenden Folgen für die Investitionstätigkeit der Unternehmen gewesen.

Gefordert: Verbot unkontrollierter Kreditausweitung. Bei der Beurteilung von Maßnahmen, die solche Krisen im Vorfeld verhindern könnten, gehen die Meinungen der ExpertInnen allerdings auseinander. Url hält im Wesentlichen Verbesserungen bei den Rating-Agenturen für ausreichend; allenfalls sollte das unkontrollierte Wachstum von Derivaten wie den genannten Collateralized Debt Obligations eingedämmt werden. Strengere Vorschriften für die Banken, die Risikogeschäfte zu minimieren, hält er nicht für sinnvoll, „weil diese ja zu einer Ausweitung des Kredits und damit des Konsums beitragen.“
Becker und Huffschmid hingegen plädieren nicht nur für solche Einschränkungen, sie halten auch klare Verbote für notwendig. Huffschmid: „Verbriefungsgeschäfte – also der Verkauf von Krediten – müssen überhaupt untersagt werden. Dabei handelt es sich ja nur um eine Umgehung der Vorschriften zur Vorhaltung einer Eigenkapitalreserve. Wenn die Bank Kredite verkauft, hat sie wieder Eigenkapital zur Verfügung, um neue Kredite zu vergeben – mit dem Ergebnis, dass in der Wirtschaft wesentlich mehr Kredite vorhanden sind als Eigenkapital der Banken.“

„Den Kropf an Finanzvermögen abbauen“. Um den Hauptgrund für die Hochrisiko-Spekulation in den Griff zu bekommen – nämlich den Überschuss an liquidem Kapital, das nach Veranlagungen sucht – ist aber mehr nötig als die genannten administrativen Maßnahmen. Huffschmid: „Auf der einen Seite muss durch eine entsprechende Steuerpolitik endlich der Kropf an Finanzvermögen abgebaut werden – die derzeitige Verteilungspolitik ist eine der Ursachen für die Finanzkrise. Und zum Zweiten muss die gesamtgesellschaftliche Nachfrage angekurbelt werden. Das sollte auf der einen Seite durch die Realisierung notwendiger Infrastrukturprojekte durch die öffentliche Hand geschehen –  und auf der anderen Seite durch eine Lohnpolitik, die den unteren Einkommensschichten deutliche Verbesserungen bringt.“ Becker plädiert zusätzlich dafür, die abgeschöpften Mittel im Sozialbereich einzusetzen, wo – wie etwa die jüngste Pflegedebatte zeigt – „erheblicher Bedarf besteht.“
Und aus einem weiteren Grund, so Huffschmid, sei eine Abkehr von der bisherigen neoliberalen Wirtschaftspolitik gerade jetzt dringend nötig: „In der Folge der US-Hypothekenkrise wird aller Voraussicht nach der Konsum in den Vereinigten Staaten zurückgehen. Das wird auch Auswirkungen auf die europäischen Exporte haben. Wir täten gut daran, die einseitige Exportorientierung aufzugeben und auf eine Stärkung der europäischen Binnennachfrage zu setzen.“ In der Tat warnte die OECD am 6. September vor einer Rezession in den USA.
Bis jetzt sieht es nicht so aus, dass diese Ratschläge bei den Mächtigen der Union ein offenes Ohr finden. Aber: Pessimisten befürchten, dass die Subprime-Krise noch nicht ausgestanden ist und vor allem bei Hedgefonds noch viel größere Verluste entstanden sind, als bis jetzt (ein)bekannt wurde. Einer neuerliche Zuspitzung der Situation dürfte dann den Glauben an die Selbstregulierungskraft der Märkte nachhaltig erschüttern.

Christian Stenner
» 1 Kommentar
1"guenter hofbauer"
am Donnerstag, 1. Januar 1970 00:33von Gast
ausgezeichneter artikel, nur cui bono? wem nützt diese krise, ist es eine umverteilung von ...
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