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„Wenn du durch das Tor gehst, schäme dich nicht nur für mich“
Dienstag, 9. Dezember 2008
Der international renommierte Künstler Jochen Gerz setzt im Auftrag des Landes Steiermark ein längst fälliges Zeichnen des Erinnerns an das nationalsozialistische Terrorregime. Mit seiner Arbeit weist er aber nicht bloß auf die Täter hin (für die stellvertretend der steirische Gauleiter Sigfried Uiberreither steht), sondern stellt gleichzeitig die Frage nach dem Zusammenspiel zwischen den Mördern und der Masse der passiv Beteiligten.

In der Bogenlaibung des Grazer Burgtores erscheint seit dem
9. November eine Inschrift, die bei vielen der Geschichte wenig Kundigen Befremden auslöst:
PASSANT, WILLST DU WISSEN, WO DU STEHST? WILLST DU WISSEN, UNSCHULDIGER, WER DU BIST, WIE DU DICH KRÜMMST, WENN DU DER MACHT VERFÄLLST, ZU IHREM SPIELBALL UND OPFER WIRST? WILLST DU WISSEN, WIE DU VOR SCHMERZ SCHREIST? ICH, SIEGFRIED UIBERREITER ALIAS FRIEDRICH SCHÖNHARTING, GING HIER VON 9. JUNI 1938 BIS 31. MÄRZ 1940 MEINER ARBEIT NACH. ICH BRACHTE ALS LANDESHAUPTMANN DER STEIERMARK UND IN DER AUSÜBUNG MEINER SONSTIGEN ÄMTER VIELE MENSCHEN UM. ICH TAT ES NICHT ALLEINE, ICH TAT ES NICHT SELBST, ICH HATTE MITARBEITER. WENN DU DURCH DAS TOR GEHST, SCHÄME DICH NICHT NUR FÜR MICH. WER SUCHTE NACH MIR? WER STELLTE MICH VOR GERICHT? WARUM HAST DU GESCHWIEGEN? WER HAT DICH ZUM KOMPLIZEN GEMACHT?


Das verhinderte Mahnmal am Feliferhof. Der Künstler, der für den Inhalt dieser Zeilen und die Form der Darstellung – 12 cm große Buchstaben, die man über Kopf lesen muss – verantwortlich zeichnet, ist auch in Graz kein Unbekannter: Jochen Gerz hatte gemeinsam mit seiner Frau Esther den 1995 ausgeschriebenen Wettbewerb über ein Mahnmal für die in den letzten Kriegstagen am Gelände der heutigen Bundesheerschießstätte Feliferhof in Graz/Wetzelsdorf ermordeten Nazi-GegnerInnen, Deserteure und Juden mit einer Aufsehen erregenden Installation gewonnen: Er griff das Ritual des in Heereseinrichtungen üblichen Fahnen-Hissens auf, bei jeder Benutzung der Schießstätte am Feliferhof sollten den Rekruten vier Fahnen mit Texten ausgegeben werden, die an vier sieben Meter hohen Fahnenstangen gehisst und beim Verlassen des Schießplatzes wieder eingeholt werden sollten. Die Texte auf den Fahnen lauteten: „Auf Mut steht der Tod / Verrat am Land wird dekoriert / Barbarei ist die Soldatenbraut / Soldaten so heißen wir auch“ – allerdings war geplant, diese Parolen laufend zu ändern. Die Verantwortlichen des Bundesheeres verhinderten allerdings die Realisierung des Mahnmals.

Doppeltes Verschwinden. „Das fällt unter die Kategorie ,traumatische Erfahrungen‘“, sagt Gerz im KORSO-Gespräch, „von daher war ich schon etwas skeptisch, als an mich die Anfrage gerichtet wurde,wieder ein Mahnmal in Graz zu gestalten.“
Dazu kam, dass von Seiten der Politik – der Auftrag an Gerz erwuchs aus einem einstimmigen Landtags- und einem ebenso einstimmigen Landesregierungsbeschluss – eine Inschrift gewünscht wurde, ein Medium, das für den Künstler, der gerne in Interaktion mit der Öffentlichkeit arbeitet, nicht die erste Wahl gewesen wäre. „Als man mir aber zu verstehen gegeben hat, dass ich eine zweite Arbeit zum Thema machen kann, die meiner üblichen Methode entspricht, habe ich zugesagt.“
Die örtliche Situation des Burgtores als Stadttor, das gleichzeitig in unmittelbarer Nachbarschaft zur Burg als Sitz des ehemaligen Gauleiters und Landeshauptmannes liegt, habe ihn angesprochen; „inhaltlich wollte ich mich mit dem doppelten Verschwinden auseinander setzen,  mit dem Verschwinden der Gesellschaft in den Fanatismus hinein und dem Verschwinden der Zivilgesellschaft in die Ich-war-nicht-dabei-Haltung nach der Niederlage des Nationalsozialismus – ein Phänomen, das mich immer sehr interessiert hat.“
Was die konkrete Umsetzung betrifft, habe er habe zunächst an den Einsatz „neuer Medien“ gedacht, sagt Gerz und ironisiert im gleichen Atemzug diesen Gedanken. „Es scheint manchmal so zu sein, dass Künstler, wenn sie nicht ausdrücken können, was sie sagen wollen, ein wenig mit Elektrizität nachhelfen.“
Letztendlich ließ sich Gerz von der „klassischen Monumentalität des Ortes“ inspirieren und entwarf die eingangs zitierte Inschrift in machtvoller Typographie. Ihre Wirksamkeit beruht auf der „Unverfrorenheit, mit der der Gauleiter dem Sinn gemäß sagt: Ohne euch, Freunde, wäre ich nicht geworden, was ich bin – und: Warum habt ihr meine Taten nie geahndet?“


„Ein erwachsener Umgang mit der NS-Zeit.“
In der zweiten Arbeit, die für 2009 angesetzt ist, sucht Gerz einen „pädagogischen Ansatz“: In Zusammenarbeit mit der „Kleinen Zeitung“ und Beiträgen aus der Bevölkerung soll „ein sehr erwachsener Umgang mit dieser Zeit entstehen, weg von der Vorwurfshaltung der Nachkriegserinnerung, hin zu einer freieren, unverblümten, nicht tabuisierenden Erinnerungskultur – weg von der Feiersprache“. Auch was die Realisierung des Mahnmals am Feliferhof betrifft, ist Gerz aufgrund entsprechender Signale aus der steirischen Kulturpolitik wieder hoffnungsvoll – er habe das Projekt allerdings bereits weiterentwickelt, die ,Legende der Ablehnung‘ möchte er gerne in das Mahnmal einarbeiten.

Christian Stenner

 

 „Es war höchste Zeit für dieses Mahnmal, ich bin stolz, dass wir diesen Schritt heute gehen und danke dem Künstler Jochen Gerz für seinen prägnanten Entwurf.“
Kulturlandesrat LH-Stv. Dr. Kurt Flecker

 

 „Jochen Gerz gelingt auch mit diesem Projekt, die traditionelle Form des Erinnerns in eine in der Jetztzeit verankerte überzuführen. Sein radikaler Schachzug, Gauleiter Uiberreither Worte in den Mund zu legen, die unmittelbar auf die Passanten und Passantinnen zielen, macht die Erinnerung zu einer Konfrontation, der gegenüber zwangsläufig Stellung bezogen werden muss.“
Dr. Werner Fenz
(Institut für Kunst im Öffentlichen Raum)

 

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