Stuhlpfarrers Aufwärtshaken Der Dezember ist der Monat der Rückblicke, der Bilanzen, der Resümees und Beurteilungen; nicht selten ist er auch der Zeitpunkt für gewagte Prognosen und Prophezeiungen das kommende Jahr betreffend. Nachdem diesen Weissagungen zufolge Milch und Honig in den kommenden Jahren nicht mehr ungebremst fließen werden, soll an dieser Stelle noch einmal der Blick in den Rückspiegel riskiert werden, um mit Hilfe nachträglich angelegter Maßstäbe außergewöhnliche Leistungen heimischer SportlerInnen im besten Fall zu würdigen, im schlechtesten Fall noch einmal durch den Kakao zu ziehen.
Was außergewöhnlich gut respektive schlecht ist, wird an dieser Stelle anhand subjektiver Parameter entschieden, fest steht allenfalls, dass hier weder der Titel für den erfolgreichsten Torschützen der Bundesliga noch für die siegreichste Skirennläuferin des Landes vergeben wird. Vielmehr sollen bestimmte Leistungen des Sportjahres 2008, die über die Nachrichtenagenturen ihre Verbreitung fanden und zum Teil abseits der eigentlichen sportlichen Wettkampfstätten vonstattengingen, goutiert beziehungsweise diskreditiert werden.
Der Titel „geistreichster Sprücheklopfer des Jahres“ geht in diesem Zusammenhang unbestritten an den ehemaligen österreichischen Teamchef Josef Hickersberger. Während der Heim-EURO beschrieb Hickersberger das Trainingsverhalten der eigenen Equipe frohgemut: „Wir haben nur unsere Stärken trainiert, deswegen war das Training heute nach 15 Minuten abgeschlossen.“ Dieser Sager sicherte Hicke nicht nur das Gelächter der anwesenden Sportjournalistenmeute, sondern auch den deutschen Fußball-Kulturpreis 2008 für den „Spruch des Jahres“.
Der Titel „hochnäsigster Sportler des Jahres“ geht mit dem Tennis-Spieler Jürgen Melzer ebenfalls nach Niederösterreich. Anlässlich des olympischen Turniers kommentierte Melzer seine Erfolgsaussichten gewohnt selbstbewusst: „Da muss erst ein Gegner kommen, der mich hier schlagen kann“, sagte Melzer, nachdem er den Schweizer Stanislas Wawrinka in der zweiten Runde eliminiert hatte. Nicht weiter ungewöhnlich, wäre Melzer Weltklasse, das Brillieren für ihn täglich Brot. Tatsächlich hat der 27-jährige in seiner gesammten Karriere erst einen einzigen Turniersieg zu Buche stehen und rangiert in der ATP-Weltrangliste gegenwärtig auf Platz 34. Den Titel „couragiertester Sportler des Jahres“ hat der Österreich-Legionär des deutschen Bundesligisten Eintracht Frankfurt Ümit Korkmaz sicher. In einem profil-Interview im Frühjahr stellte sich Korkmaz nicht zuletzt angesichts seines Migrationshintergrunds gegen die Politik Heinz-Christian Straches und erkundigte sich beim Fragensteller von profil: „Was macht der Strache, wenn das Stadion ‚Ü-Ü’ schreit?“ Damit unterstrich Korkmaz sein Standing beim Anhang seines damaligen Klubs Rapid Wien und zeigte seine Bereitschaft, der Strache-FP die Stirn zu bieten. Einige Monate später zierte sein Konterfei die Sujets einer Partei anlässlich des Nationalratswahlkampfs – es waren übrigens keine von FPÖ beziehungsweise BZÖ.
Was den Titel „begnadetster Sportkommentator des Jahres“ anlangt, so matchten sich in diesem Jahr drei in die Jahre gekommene Herren um Platz eins, wobei Sigi Bergmann seinen Vorsprung mit einer Nasenlänge ins Ziel bringen konnte. Zu verdanken hat er den Sieg nicht zuletzt den Olympischen Spielen und der damit wiederkehrenden Generalmobilmachung sämtlicher KommentatorInnen des Landes. Der „gelernte“ Historiker verwendete das olympische Boxturnier – das an Unbedeutsamkeit freilich kaum zu unterbieten ist – wieder einmal dazu, dem/-r interessierten ZuseherIn im hauseigenen Patschenkino die Vorzüge des moralisch über Jahrzehnte hindurch in Misskredit gebrachten Boxsports näherbringen zu können. Bergmann, der schon Hans Orsolics’ sinuskurvenartige Boxkarriere begleitet hatte, fightete auch diesen Sommer begnadet darum, die oftmalige Reduktion dieses Sports auf Rohheit und Unkultiviertheit zu revidieren, um ferner die wahre Ethik der „Faustfechter“ zu offenbaren: „Da sehen Sie, was für eine saubere Sportart das Boxen ist. Haben Sie schon einmal gesehen, dass ein Fußball-Schiedsrichter einem Spieler die Nase putzt?“, fragte Bergmann bei der Übertragung eines Boxkampfes, als der Ringrichter einem Boxer wohlwollend die blutende Nase abtupfte. Platz zwei geht an Robert Seeger, jenen steirischen Vollblut-Reporter, dem seit den Champions-League-Hoch-Zeiten von Sturm Graz der Makel der Parteilichkeit anhaftet. In dieser großen Sturm-Ära konnte es schon vorkommen, dass Seeger ungeduldig die Sekunden bis zum Triumph zählte („900 Sekunden noch“1) und adäquate Tipps für die daraus resultierenden Feierlichkeiten darlegte („…auch Sie zu Hause, trinken’S a Glaserl, aber net autofahr’n dann“2). Seeger profitiert wie Bergmann heute nur noch von den Generalmobilmachungen bei Olympischen Spielen und darf dann (laut ORF freiberuflich) die Schwimm- und Leichtathletikbewerbe kommentieren. Ohne Zweifel begnadet lehrte Robert Seeger die FernsehzuseherInnen auch in diesem Sommer das Fürchten; konkret das Fürchten vor dem Herzinfarkt, der Seeger aufgrund seines 150-prozentigen Einsatzes in jeder Sekunde heimzuholen drohte; lautstark und mit gebrochener Stimme auf den letzten 50 Metern peitschte Seeger Mirna Jukic wie Markus Rogan („Komm Markus, MARKUS, Jaaaaaaah!!!“) anlässlich diverser Schwimmbewerbe ins Ziel. Das unterste Siegertreppchen gehört in diesem Jahr jenem Mann, der sowohl in puncto Motorsporthistorie als auch im Bereich Gossip mit fabelhaftem Hintergrundwissen aufwarten kann, nicht ohne die Informationen zu diesen beiden Themengebieten mit kapitalen Versprechern zu garnieren: Heinz Prüller hat seit 1965 mehr als 650 Formel-1-Rennen kommentiert und mehr als 60 Bücher geschrieben; eines davon übrigens über die Hunde diverser SportlerInnen. Dass er bei so viel Stress von Zeit zu Zeit die Dinge durcheinanderbringt, ist nicht weiter verwunderlich und zeigte sich in den vergangen Jahren („Häkkinen war in der ersten Schikane gestern auf Gras“) ebenso wie in jüngster Vergangenheit („…die deutschen Piloten auf den Plätzen 6, 5, 6, 6, 7, 8 und 9“3). Besonders begnadet, weil kreativ gestaltet Prüller seit Jahren seine Anmoderationen. Seine Begrüßung aus China lautete dieses Jahr: „Guten Morgen aus China, sehr geehrte Motorsportfans in Österreich, Deutschland und der Schweiz und natürlich wie immer auch in Südtirol“; aus Japan meldete er sich mit „Ohaia gosaimas! Guten Morgen, liebe Formel-1-Fans in Österreich, Deutschland und der Schweiz“; und den GP von Bahrain im April eröffnete er mit den Worten: „Die Wüste lebt, willkommen beim GP von Bahrain.“ Auf dass uns diese drei Herren auch im kommenden Jahr zum Schmunzeln bringen …
1 Feyenoord Rotterdam gegen Sturm Graz; August 2000 2 Galatasray Istanbul gegen Sturm Graz; November 2000
Gregor Immanuel Stuhlpfarrer, Mag. phil., studierte Geschichte, Theologie und So- ziologie in Graz und Zagreb. Für den Balkan hat er ein Faible, für Manner-Schnitten eine Schwäche und dem Tatort im ORF schenkt er Sonntag für Sonntag seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Veröffentlichungen (Auswahl): Der Standard, Wiener Zeitung, Die Furche.
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