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Vom ungewissen Verbleib und der fraglichen Widerständigkeit der Intelligenz
Dienstag, 9. Dezember 2008
Der aktuelle Wissensverlust und die Marginalisierung von Kultur seien das Motiv für das Symposium „Unsichtbare Intelligenz – Kritische Theorie der Gegenwart“ gewesen, erklärte Peter Weibel in der Einleitung zu der von ihm und dem der US-amerikanischen Alternativbewegung nahe stehenden Wiener Franz Nahrada organisierten Veranstaltung.

In Österreich sei dieses Defizit auffällig stark, postuliert Weibel, weil bereits der Ständestaat Intellektuelle vertrieben hat – in der NS-Zeit wurden schließlich weitere 150.000 Intellektuelle in die Emigration gezwungen, zum Teil auch liquidiert.

Vertrieben, unterdrückt, an der Heimkehr gehindert. Die Konsequenzen zählte der Medienkünstler, Wissenschafter und Chefkurator der Neuen Galerie anekdotisch auf – vom Brecht-Boykott bis hin zur Ablehnung Bruno Kreiskys, den Nachlass des Mathematikers Kurt Goedel (um damals 15.000 Schilling!) zu kaufen. Die Zweite Republik habe sich so wenig um ihre Intellektuellen gekümmert, dass viele das Land verließen – bis hin zu Wittgenstein-Preisträgern.
Und: Während (kritische) Intelligenz früher durch autoritäre Ideologien an den Rand gedrängt wurde, besorgten dies heute der Markt und die Mechanismen der Massenmedien. Aus der Unterdrückung der Intelligenz resultiere schließlich ein Kompetenzproblem: „Wenn Entscheidungsträger nichts wissen, können sie ihre Entscheidungen nur autoritär und irrational durchsetzen.“
Die Thesen Weibels untermauerte als erster der Wiener Publizist Stephan Templ, der eine Tour d’horizon über die Devastierung österreichischer Städte durch die Nationalsozialisten lieferte – so verlor der zweite Wiener Gemeindebezirk 60% seiner Gesamtbevölkerung durch den Holocaust. An einer Rückkehr der EmigrantInnen sei nicht einmal die Sozialdemokratie interessiert gewesen, erläuterte Templ am Beispiel des früheren Wiener Finanzstadtrates Hugo Breitner, dessen Heimkehr nach Wien von seinen GenossInnen hintertrieben wurde, die um ihre Posten fürchteten.

Die Hegemonie des Marktes – und subversive Gegenstrategien. In einer Doppelconférence wurde das zweite Thema des Tages behandelt: Die Künstlerin Barbara Pitschmann und der Historiker Franz Schandl sprachen über den Markt als nicht nur bestimmenden, sondern zudem völlig internalisierten und fälschlich als anthropologische Konstante begriffenen Faktor der menschlichen Existenz. Schandl. „Die angeblich kühle Rationalität des Marktes ist in unsere Sinnlichkeit eingedrungen – kaufen erscheint als natürlicher Vorgang, verschleiert sich als Instinkt wie Essen und Trinken.“ Die Unterwerfung der Arbeitskraft unter das Kalkül des Marktes ziehe entsprechende psychische Deformationen und Entfremdung in den menschlichen Beziehungen nach sich: „Wer sich dauernd selbst rechnen muss, wird ein berechnendes Wesen; wir stehen uns als Tauschgegner und nicht als Tauschpartner gegenüber.“
Praktisch-subversive Strategien gegen die Hegemonie des Marktes verriet Barbara Pitschmann, Mitorganisatorin der im Rahmen des Linzer Kulturhauptstadtjahres 2009 stattfindenden Subversiv-Messe. Diese bedient sich in ihrer Bewerbung des Events bewährter kapitalistischer Vermarktungsstrategien und des entsprechenden Wordings, um pure Subversion an die Frau und den Mann zu bringen und bejubelt die durch sie ausgelöste „Wertschöpfung für den Widerstandsstandort Linz“.

Auf der Suche nach der idealen Utopie. Im letzten Themenblock der Tagung ging es um die Bereiche Utopie und Ökologie. Einer durch optimistische Grundhaltung geprägten Annäherung an das Thema „Utopische Landschaften“ von Silke Rosenbüchler (siehe Interview unten) wurde in der Diskussion mit verhaltenem Skeptizismus begegnet. Die These der jungen Schriftstellerin, dass man an zunächst wertfrei an „Utopia als eine hoffnungsvolle Vision“ herangehen solle („man muss den Luftballon nicht gleich zerplatzen lassen, man kann mit ihm spielen“), rief Widerspruch unter jenen politisch bewegten Zuhörern hervor, die einen Verzicht auf Kritik für zu passiv hielten.
Für eine lebhafte Debatte sorgte die Konzeption eines ökologischen Projektes von Ronny Wytek, die dieser in der kompakten Verlaufs-Formel (Unzufriedenheit – Vision – Erste Schritte) potenziert mit der Gemeinschaft vorstellte. Das im Planungsstadium befindliches „Keimblatt Ökodorf“ bildet seiner Auffassung nach kein ideologisches Gesamtkonstrukt, sondern soll innerhalb der Mechanik des Kapitalismus ein alternatives Lebensmodell anbieten, das es erlaubt, gemäß „den Erfordernissen eines niedrigen Ressourcenverbrauchs zu leben“. Angesichts der mangelnden Radikalität solcher Konzepte konstatierte Franz Nahrada in der Abschlussdiskussion, dass es auffällig sei, dass„in Österreich niemals eine Kultur der Utopie Fuß fassen konnte“.

Christian Stenner / Josef Schiffer

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