(Auszug aus dem Roman „Estoy Durmiendo“) Ab März 2008 veröffentlicht KORSO in jeder Ausgabe einen umfangreicheren literarischen Beitrag.
VORWORT Seit mein Dackel den Chip eingebaut haben muss, um die slowenische Grenze nicht als Illegaler im Kofferraum zu überqueren, meine Mutter nicht mehr lächeln darf, wenn das Foto biometrisch knipst, beim Weintrinken mit den Freundinnen von Schimpansen mit elektronischen Roboterarmen erzählt wird, während gerade Mediziner meinen Bruder in London mit einem Rindergen klonen, um sein Parkinson Syndrom zu kurieren, warte ich auf meine D N A Analyse, die ich bei dem Studentenmagazin Unicum gewinnen konnte, um endlich festzustellen, wie viele Gendefekte ich meinen Kindern weitergeben kann, denn mein Lebensabschnittspartner und ich haben vor ein paar Tagen eine Wette abgeschlossen, wer von uns beiden unfruchtbarer ist. Der Einsatz ist ein Wochenende im Paradies, sollte ich gewinnen. Sollte er gewinnen, kaufen wir ein Grundstück in Bolivien, in der Nähe eines Entwicklungshilfeprojektes für die langfristige Sicherung der Süßwasserreserven.
AUSZUG AUS KAPITEL 4:
San Lorenzo, Mai 2006
Hier in Ecuador rinnt Schweizer Schokolade aus Bächen in meinen offenen Mund, an Zähnen vorbei ohne Kariesbefall, ich stelle mir mein Leibgericht vor und Sekunden später wird es mir von mehreren der schönsten Männer dieser Erde auf goldenen Tabletts serviert, während mich ein flüchtiger Blick in den Barockspiegel gegenüber mit der Makellosigkeit meiner göttlichen Erscheinung blendet. Ein Traum ist wahr geworden: Ich werde nie mehr von meinem Canapé aufstehen müssen, meine Aktien laufen für mich. Die Orangenplantage ist voll automatisiert. Dafür hat die Menschheit ja Maschinen entwickelt, damit ich nie mehr arbeiten muss. Jetzt ist es soweit: ein paar Stunden am Tag vor dem Bildschirm, ein bisschen tippen, skypen, tele-kommunizieren - das war‘s. Meinen Freunden in Berlin geht es genau so. Nur, dass keine Schokolade in der Spree fließt. Und dass die Männer meistens Frauen sind, die auch noch Geld dafür verlangen. Apropos Liebe. Seit Tagen herrschte große Hitze, 35°C im Schatten, aber: „i like it hot!“, wie Billy Wilder sagen würde. Das einzige, was mich in dieser Zeit manchmal ansatzweise missmutig stimmte, waren die cirka fünf cm langen, in bunten Farben schillernden, seltsamen Fliegen, die sich im Dachboden meiner Villa eingenistet hatten,- mit der schlechten Angewohnheit, unglaubliche Nervensägen zu sein. Sie singen. Eigentlich ganz hübsch, was sie so trällern. Leider beginnen sie immer erst in der Nacht mit ihren Sonaten. Sie passen den Moment, in dem ich die Augen schließe und mein Bewusstsein sanft entschlummert, genau ab, um mit großem Trara ihr Konzert zu eröffnen. Tagsüber fliegen sie herum und in der Nacht wird gesungen. Ihr Flugstil ist mindestens ebenso seltsam: sie stehen flatternd in der Luft. Die Einheimischen meinen, sie bringen Glück und sind sehr selten. Bevor ich hier her kam, wusste ich nicht einmal, dass Fliegen überhaupt Stimmbänder entwickeln können, geschweige denn, dass sie in verschiedenen Stimmlagen ein und dieselbe Melodie im Kanon mit sich selbst singen können. Ich fragte mich in so mancher schlaflosen Nacht, ob Insekten einfach zu wenig Gehirnmasse besitzen, um traumatische Alltagserfahrungen überhaupt als solche wahrzunehmen und daher für diese verkannte Krönung der Schöpfung gar keine Notwendigkeit besteht, irgendetwas des Nachts verarbeiten zu müssen. Katzen, diese Bestien, verschlafen zwei Drittel ihres Lebens, warum nicht auch so ein „Estoy Durmiendo“ wie diese meiner Meinung nach völlig zu Recht vom Aussterben bedrohte Spezies hier liebevoll genannt wird? Scheiß Natur. Gerade hier hat man es die ganze Zeit mit ihr zu tun. Wenigstens konnte ich Schlangen und Spinnen erfolgreich vermitteln, dass es woanders weitaus lebenswerter für sie ist. Ich habe Wegweiser an der Panamericana aufgestellt, ein paar Mails geschrieben - das hat schon gereicht. Acht- und Keinbeiner sind intelligente Tiere mit guten Umgangsformen,- sie reagierten sofort und ließen sich nie mehr auf meinem Grundstück blicken. Also auch an dieser Front herrschte nun endlich Frieden in meinem Leben, der Reichtum wuchs und wuchs, mit Nachbarn, Freunden und Liebschaften verband mich große Sympathie und ich hatte das Gefühl, endlich ein ausgeglichener Mensch zu sein. Dann passierte es, kurz vor der Orangenernte: Aus dem Nichts kam noch ein Wort daher, für das ich schreiben sollte – ich vergaß zu Erwähnen, dass ich in meiner Zeit in Berlin neben der Wurmfischerei davon lebte, einzelne Worte, die mir anonyme Leser schickten, in Geschichten und Essays zu bearbeiten, verarbeiten und mich ihnen und ihrer Bedeutung zu widmen. Eine fast karitative Tätigkeit zum Wohle der Wortwelt, könnte man sagen. Diesen Job betreibe ich als ernsthaftes Hobby auch noch hier in Ecuador weiter. Da war ich nun endlich fertig mit den zugesandten Worten der letzten Monate – alle durch, zack!, wie Magda Meier sagen würde – ab durch die Mitte – schwups - und dann – platsch – so kurz, nachdem János wieder einmal für immer aus meinem Leben verschwunden war, kam dieses vermaledeite Wort daher: „Liebeskraft.“ Meine Verliermentalität war längst im Fundbüro abgegeben und von mir niemals mehr abgeholt worden, alles vorbei, und dann das. Ich packte meinen mp3 Player und die Pilze meines Vertrauens ein und ging für ein paar Tage in den Dschungel, denn ich musste dieses fettige Wort erstmal verdauen. Mit Breakcore und Minimal Techno im Ohr betrachtete ich sinnierend die üppigen Pflanzen, die Schlingen, überladene geometrische Blütenformen, bestaunte demütig die unbändige Kreativität des großen Ingenieurs, der seine Geheimnisse so gut zu verstecken weiß. Wunderbar die scheiß Natur. Und kurz darauf kam auch schon der Anruf: Eine Delegation österreichischer und deutscher Freunde wollte mich in San Lorenzo besuchen kommen. Nun gut, meine Villa hat nur vier Gästezimmer, aber sie meinten, das wäre völlig ausreichend, also ließ ich es geschehen und empfing die fantastischen Fünf sehr herzlich. Als erstes kam Gudrun, eine Drahtseiltänzerin, mit ihrem Freund Olaf, einem Dachbretterfeger aus Lichtenberg. Am nächsten Tag trafen Hannah, Tim und Sönke ein,- alle sehr nett und unkompliziert. Damals als Hannah noch mit János zusammen war, und Sönke mit Tim, - das war lange vor seinem coming out als Hetero, war ich gerade unheimlich in Olaf verliebt. Tims coming out hat uns natürlich sehr schockiert, aber wir hielten trotz aller gesellschaftlicher Konventionen zu ihm. Von Gudrun nicht zu sprechen, denn nachdem ich sie hatte abblitzen lassen, versuchte sie es erfolgreich bei Tim, der auch gerade in Olaf verliebt war, was wahrscheinlich der Grund für Gudruns und Olafs glücklichen Start in eine lange anhaltende, monogame Beziehung gewesen war. Sönke, der alte Spinner, arbeitet seit Jahren im Hundeverkuppelungsbüro an der Friedrichstraße. Er findet die richtigen PartnerInnen für Single Hunde, die sich standesgerecht vermehren wollen, ohne sich ein Leben lang zu binden. Kein leichter Job. Die anderen lagen mit Caipirinha am Strand, als ich in aller Ruhe den zuletzt eintrudelnden Sönke in Empfang nehmen wollte. Als ich die Eingangshalle betrat, zerrte er gerade einen schweren Koffer aus Edelstahl (cirka zwei Meter hoch und ebenso breit) über den antiken Seidenteppich die Stufen hoch. Ächzend versuchte er das Ungetüm über die Marmortreppe empor zu hieven. Ich kam gerade noch rechtzeitig, bevor der mächtige Koffer ins Wanken geriet und Sönke ihn nicht mehr halten konnte. Aus dem Koffer hallte lautes, verzweifeltes Gebell. Ich stürzte dazwischen und hielt mit meinen kräftigen Armen das Unglück auf. Sönke konnte sich wieder aufrichten und gemeinsam hüpften wir sekundenschnell in Deckung, als der Koloss über unsere Köpfe hinweg die Stufen hinab purzelte. Der Koffer hechelte und begann plötzlich zu winseln. Sönke öffnete das zerbeulte Ding und heraus liefen zwei schwarze Hunde. „Das sind nur „Wechselgeld“ und „Falschgeld“, ein Dobermann und ein ganz junger Rottweiler, ich musste sie retten. Sie wären sonst bei diesem Penner in Friedrichshain elendiglich krepiert.“ „Aha. Meinst du zufällig den Tiroler Punk, der seit Jahren zwischen Gabriel-Max Straße und Wismarplatz hin und her wandert?“ Er nickt. „Er hat noch einen dritten Hund, der „Schwarzgeld“ heißt. Eine Dogge.“ „Wirklich?!“ Ja, ich hasse Besuch. Geld und Luxus – hin und oder her, wie Marcel Reich Ranicki sagen würde. Ich ließ also die Großstadttölen allein im Erdgeschoß zurück, wo sich bereits meine Angestellten um sie kümmerten, ging in mein Atelier und setzte mich zum Computer. Weil mir zu „Liebeskraft“ in diesen Momenten so gar nichts Reines, Unbeflecktes einfallen wollte, begutachtete ich den Stapel ungeöffneter Post, der sich die letzten Wochen angesammelt hatte. Ich öffnete den ersten Brief und traute meinen Augen kaum. Meine Liebste, Umständlich hab ich gerade Deine Adresse herausgefunden. Eigentlich wollte ich den Kontakt zu Dir ja versanden lassen, aber unser Projekt mit hautverjüngenden Substanzen läuft sehr erfolgreich und soeben haben wir vom Senat weitere drei Millionen Euro Zuschuss bewilligt bekommen. Es gibt anscheinend irgendwo zwischen Esmeraldas und Pimampiro ein Tier, dass es sonst nirgends gibt auf der Welt: den großen Murmler. Es handelt sich um eine Mischung aus Kolibri und Schmetterling, er produziert mit seinem Speichel, den er nur abgibt, wenn er sich 100%ig wohl fühlt, eine Substanz, die wiederum eine sehr seltene Art von Blattläusen dazu bringt, bei Verzehr die Farbe zu wechseln. Die normalerweise hellgrüne Gattung verfärbt sich dann rosarot. Ich muss diese seltsame Kreatur finden! In aufwendigen Studien bin ich dahinter gekommen, dass es zu 87,34% genau diese Speichelsubstanz ist, die meiner Formel noch fehlt. Bitte sprich mit niemandem darüber. Das ist streng geheim. Ich komme also nach Ecuador. LG János P.S.: Ich bin noch immer genau so beziehungsgestört, wie früher, aber überlege mir bald zu heiraten. Sie liebt mich und das ist sehr angenehm für mich. Ich liebe Dich nämlich nicht, also solltest Du besser auch nicht damit anfangen. Ich liebe Dich wirklich gar nicht. Nicht mal ansatzweise, wie DU sagen würdest. ;-) Freu mich, bis bald.
Depp. Prust. Schnaub. Wüt. Grmpf. Snürg. Würg. Depp. Eingebildeter. Mistfink. Ratte. Spinner. Trottel. Depp. Vollhirsch. Gschertes Ei. Depp. Unterbelichteter. Äh.Depp. Andepschter. Depp. Volledi. Depp, depperter.
Ein Anruf, ein Brief und ein Wort – genug um das Paradies einzureißen. Das erste Mal seit Monaten sehnte ich mich plötzlich zurück an die Spree, dachte an die Samstage und Sonntage in der Nähe des Simon-Dach Kiezes, wo man inmitten so vieler strudelnder Menschen vor Einsamkeit zerplatzen will, an die durchzechten Freitage mit sehnsüchtigem Blick in den Sonnenaufgang, an die anstrengenden Donnerstage, wo man sich fühlt, wie ein schuftendes Tier, an die gesetzten Mittwoche, an denen man zusätzlich für Gesundheit und Weiterbildung was tut, an die Dienstage, die zwischen Traum und Wirklichkeit dahin stieben und sehr wetterabhängig sind und an die Montage, die markieren, dass schon wieder eine Woche vergangen ist. Ja, ich sehnte mich nach meinen Schlammröhrenwürmern, die einzigen Kreaturen, die es in meiner neuen Heimat nicht gibt. Ich sehnte mich nach der Anonymität der Großstadt. Die Natur ist so lebendig, dass man es immer mit Charakteren, Biografien und Gefühlen zu tun hat. Es ist unmöglich, anonym zu bleiben. Ganz automatisch steht man mit allem nicht nur in Kontakt, sondern gleich in Beziehung. Schlammwanne. Morgen würde ich den Dachboden ausräuchern, das nahm ich mir felsenfest vor. Gerade als ich den Fernsehturm vor meinem inneren Auge visualisierte und bei der Spitze angekommen war, klingelte es an der Tür. Vier Uhr Morgens. Die Fliegen verstummten, endlich. Der Postbote konnte es nicht sein. Der ist heute Abend in der Strandbar abgesoffen mit Gudrun und Falschgeld. Wechselgeld schnarchte ohne Reaktion weiter, was für ein Wachhund. Ich nahm also meine Schrotflinte, stieg im Nachthemd die Marmortreppe hinab, entsicherte den Lauf und öffnete die Tür. János. Mit forschem Blick. Grinsend. Ich drehe mich um, deute auf die Couch im Wohnzimmer und gehe wieder hoch, soeben gerade nervös in der Gegenwart angekommen. Enttäuscht sieht er mir nach. „Gute Nacht!“, rufe ich meiner alten rostigen Liebe nach und will heute kein Wort mehr von ihr hören. Gerade eben diese ruppige Nachricht gelesen und schon steht er vor der Tür. Frechheit. So geht das nicht. János bleibt an der Türschwelle stehen und ich weiß, dass er sich überlegt, das Haus gar nicht erst zu betreten und sofort wieder umzudrehen. Minuten später höre ich in meinem Schlafzimmer im ersten Stock, wie er demonstrativ mit einem lauten Knall die Eingangstür zu wirft und sich im Erdgeschoss auf die Ledercouch fallen lässt. Ich höre wie er atmet, ich höre, wie er die Augen schließt, ich höre, wie sich seine Brust hebt und senkt, ich höre, wie der Ärger verfliegt, ich höre, wie er langsam einschläft und sich seine Mundwinkel zufrieden nach oben ziehen, und mit einem Lächeln auf den eigenen Lippen schlafe auch ich ein, ohne dass mich die „Estoy Durmiendo“ sofort wieder aufwecken. Sie schweigen nun zum ersten Mal seit Monaten.
(...) Lilly Jäckl (Mag.Art.) geb. 1978 in Graz, Film- & Prosa Autorin, Regisseurin, script doctor Veröffentlichungen in Literaturmagazinen, Zeitungen, Filmfestivals, Rundfunk und TV in Österreich und Deutschland. Auszeichnungen (Auswahl) Drehbuchstipendium der Literar Mechana (für: „Im Namen der Republik“) Literaturpreis Floriana 3.Platz (für: „Alles im Kanal“) Carl Mayer Förderpreis (für Roadmovie:“Ildiko“)
Veröffentlichungen Prosa (Auswahl) Lilly Jaeckls Literaturblog: http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit/lesungen-und-buecher Veröffentlichte Texte sind bei folgenden Literaturzeitschriften über Internet bestellbar: ANTHOLOGIE: GLÄNZENDES GRAZ, Edition Kürbis LICHTUNGEN 112/XXVIII. JG./2007 LICHTUNGEN 105/XXVII.JG./2006 BELLETRISTIK 03
Nächste Lesung in Graz: 12.12.2008; LiteraturHaus Graz
Weitere Informationen: www.jekely.net
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