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Sri Lanka: Paradies in Flammen
Dienstag, 11. November 2008
Nach 25 Jahren Bürgerkrieg und einem gescheiterten Waffenstillstand könnte es der Regierung Sri Lankas erstmals gelingen, die separatistischen „Tamil Tigers“-Rebellen militärisch niederzuringen. Doch um welchen Preis? – Eine Reportage aus einem Land im Ausnahmezustand. Aus den Radioboxen eines kleinen Strand-Cafés verkündet eine Frauenstimme Neues von der Front: „Nur noch 20 Kilometer bis Kilinochi!“ Einige Fischer haben sich um das staubige Radiogerät versammelt und lauschen gebannt den Worten der hysterischen Nachrichtenstimme. „Wieder 45 Terroristen getötet, der Sieg ist zum Greifen nahe!“ Die Fischer diskutieren kurz, machen sich aber schnell wieder an die Arbeit und rudern mit ihren Boten dem malerischen Sonnenuntergang entgegen. Wenn am Strand des in Süd-Sri-Lanka gelegenen Touristenortes Galle die Blätter der Kokospalmen sanft mit dem Wind tanzen, wird klar, dass zwischen dem idyllischen Rauschen des Meeres und dem Donnern von Artilleriefeuer nur wenige Hundert Kilometer liegen können – wird klar, wie nahe Paradies und Hölle manchmal beieinanderliegen.

Das Ende der militärischen Pattstellung.
Im südpazifischen Inselstaat Sri Lanka, der mit seiner Fläche etwa Irland gleicht, herrscht Krieg, und das seit 25 Jahren. In einem der blutigsten und am längsten dauernden Konflikte der Welt kämpft die Rebellengruppe „Liberation Tigers of Tamil Elam“ (LTTE oder „Tamil Tigers“) für einen unabhängigen Tamilen-Staat im Norden und Osten des Landes – eine bewaffnete Auseinandersetzung, die seither laut Schätzungen der International Crisis Group über 100.000 Todesopfer gefordert hat. Zwar ließ ein 2002 unterzeichneter Waffenstillstand kurzeitig Friedenshoffnungen aufkommen, doch seit 2005 kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen der Regierungsarmee (SLA) und der LTTE, eine Entwicklung, die im formalen Ausstieg der Regierung aus dem Waffenstillstand im Jänner dieses Jahres gipfelte.

„Das Problem an diesem Konflikt ist, dass er so vielschichtig ist und dass wir trotz unserer Multikulturalität immer noch in trennenden Identitäten denken“, sagt Paikiasothy Saravanamuttu, Sprecher des „Center for Policy Alternatives“, einer in Colombo ansässigen NGO. Im Vergleich zu den Singhalesen sind die Tamilen mit etwa 18 Prozent der Bevölkerung eine Minderheit, die seit der Unabhängigkeit Sri Lankas 1948 immer das Gefühlt hatte, vom politischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen zu sein, und deren Autonomiebestrebungen stets unterdrückt wurden. Umgekehrt sehen sich viele Singhalesen, allen voran ihr buddhistischer Klerus, im historisch-regionalen Kontext als religiöse Minderheit; auf dem nur wenige Kilometer entfernten indischen Festland leben 40 Millionen Tamilen, und die sind – so wie die Tamilen auf Sri Lanka – Hindus.

Galt Sri Lanka jahrelang als Beispiel für eine militärische Patt-Stellung, in der sich die Tamil Tigers (LTTE) und die Regierung das Land de facto aufteilten, scheint es nun zu einer massiven Verschiebung der Kräfteverhältnisse gekommen zu sein. Unterstützt von großen Teilen der singhalesischen Bevölkerung und politisch gedeckt durch eine radikale von buddhistischen Mönchen geführte Partei namens JHU, startete Präsident und Regierungschef Mahinda Rajapakse Ende 2007 das gewagte Expriment, den Bürgerkrieg rein militärisch zu beenden. Durch die massive Aufrüstung des Militärs gelang es der Armee (SLA) in den Folgemonaten, überraschend klare Erfolge zu verbuchen und große Teile der seit Jahren von der LTTE kontrollierten Gebiete zu erobern. Sri Lankas Luftwaffe liquidierte zwei hochrangige Tiger-Anführer mittels Präzisionsbombardement und praktisch die gesamte Flotte der Sea-Tigers; die Marine der LTTE wurde vernichtet und deren Hafenstadt Mannar eingenommen. In den letzten Wochen konnten die Tamil Tigers endgültig auf ihr Kernland in der nördlichen Vanni-Region rund um die Stadt Kilinochi zurückgedrängt werden, wo sich ihre verbleibenden Verbände seither in einem Ring aus Schützengräben verschanzt haben. Erleichtert wurden die Erfolge nicht zuletzt durch die neuen internationalen Verhältnisse nach dem 11. September 2001, indem die Regierung Sri Lankas ihren Vorstoß rhetorisch geschickt als „Kampf gegen den internationalen Terror“ propagierte. Als Konsequenz haben die USA, Europa und Indien – allesamt Länder, die die LTTE als terroristische Gruppierung einstufen – verstärkt begonnen, den Waffenschmuggel und die finanzielle Unterstützung der Tigers durch die weltweite tamilische Diaspora zu unterbinden.

Zensierte Berichterstattung zum Konflikt. Wie viele Truppen die LTTE für ihre Abwehrschlacht um Kilinochi noch zur Verfügung hat, ist unklar, denn seit der neuen Regierungsoffensive gibt es in Sri Lanka kaum noch objektive oder kritische Berichterstattung, die Propaganda-Maschinerie des Staates hat alle wichtigen Kommunikationskanäle besetzt. „In Wahrheit weiß niemand genau, was an der Front vor sich geht, die Medienzensur ist so schlimm wie noch nie. Unabhängige und kritisiche Journalisten werden als ‚Verräter’ bezeichnet, eingeschüchtert und terrorisiert“, erzählt Iqbal Athas, der unter anderem für CNN vom Konflikt berichtet. Er musste vor einem Jahr mit seiner Familie nach Thailand fliehen, nachdem bewaffnete Kommando-Einheiten in sein Haus eingedrungen waren und seiner Tocher eine Waffe an den Kopf gehalten hatten. Vor einem Monat ist er alleine zurückgekehrt, Drohanrufe erhält er sowohl von den Tamil Tigers als auch von regierungsnahen Kreisen.

Colombo im Belagerungszustand. Die LTTE – die sich als Erfinderin des Sprengstoff-Selbstmordattentates rühmt – hat auf die Erfolge der SLA mit einer Intensivierung ihrer landesweiten Terrorkampagne reagiert. Zuletzt im großen Stil am 6. Oktober, als sich in der nördlichen Stadt Anuradhapura eine Attentäterin gemeinsam mit 27 Zivilisten und dem prominenten Ex-Militär und Lokalpolitiker Janaka Pererain in den Tod riss. Dementsprechend herrscht in Sri Lankas Haupstadt Colombo seit Monaten psychologischer Ausnahmezustand. Mit Straßensperren und Checkpoints an jeder Ecke sowie Hunderten Soldaten, die mit ihren Sturmgewehren nervös auf den Gehsteigen patrouillieren, befindet sich die Stadt de facto im Belagerungszustand. „Die Anspannung ist überall spürbar und man meidet so gut es geht öffentliche Plätze und Veranstaltungen“, sagt die 35-jährige Mittelschullehrerin Lakshika H., während sie besorgt mit dem Zug in die Arbeit fährt. Ihr Blick schweift auf ein im Abteil montiertes Schild, auf dem das Bild einer Granate und die Telefonnummer des Bombenentschärfungs-Kommandos abgedruckt sind. In einer derart geladenen Atmosphäre reicht oft ein liegen gelassenes Gepäckstück aus, um die Leute in Panik zu versetzen, „doch ich habe mich daran gewöhnt, mit der Angst im Hinterkopf zu leben“. Weniger nüchtern sieht das der junge Geschäftsmann Aravidhan Sivignanam, der vor einem Monat mit seinem Moped gerade an einem Kaufhaus vorbeifuhr, als dort eine versteckte Bombe explodierte. „Was soll denn aus meiner Frau und meinen zwei kleinen Kindern werden, wenn mir etwas passiert?“, fragt er kopfschüttelnd. „Ich werde versuchen, ein Visum für Singapur zu bekommen, und dann verlassen wir das Land.“

Unter der Bevölkerung des kriegsgeplagten Inselstaates macht sich langsam die Stimmung breit, dass der Regierung die Zeit ausgeht. Um seine groß angelegte Militärkampagne zu finanzieren, hat Präsident Rajapaksa massiv von internationalen Geldmärkten Geld geborgt und Geld drucken lassen, was zu einer astronomischen Inflationsrate von 28 Prozent geführt hat. Hinzu kommt der dramatische Rückgang des Tourismus, einer der Haupteinnahmequellen des verarmten Inselstaates. Sollte der Angriff auf das dschungelgeprägte Kernland der LTTE durch den Beginn der Regenfälle ins Stocken geraten, könnte die öffentliche Befürwortung für die militärische Lösung schnell schwinden. Bereits jetzt haben Militärs ihre Prognose zur Zerstörung der LTTE von Ende 2008 auf 2009 verschoben, und es wird eng, denn dann steht vermutlich auch der nächste landesweite Urnengang auf dem Programm.

Ein weiterer, beunruhigender Aspekt des neu entflammten Krieges ist die sich häufende Zahl an Berichten über systematische Menschenrechtsverletzungen und Entführungen im ganzen Land. Seit der inoffiziellen Wiederaufnahme der Konflikthandlungen vor zwei Jahren sind mehrere Hundert junge männliche Tamilen „verschwunden“. Die Regierung streitet jegliche Verwicklung ab, doch Menschenrechtsorganisationen weisen mit Vehemenz darauf hin, dass der sri-lankische Staat im „Kampf gegen den Terror“ systematisch Tamilen verfolgen, inhaftieren und foltern würde.

„Die Spezialeinheiten der Regierung kommen meistens nachts und man erkennt sie an ihrem grauen Halstuch und ihrem gepanzerten weißen Geländewagen“, berichtet ein junger Tamile, der aus Angst vor Verfolgung anonym bleiben will. „Dann werden junge Männer verschleppt und so lange geprügelt, bis sie versprechen zu ‚kooperieren’.“ Konkret würden sie dann an einen der Straßen-Checkpoints gebracht und müssten den Militärs zehn vorbeifahrende Leute nennen, die Anhänger der LTTE sind. Weigerten sie sich, würden sie umgebracht, ansonsten ginge das grausame Spiel von Neuem los.

Neun Stunden Fahrzeit für 225 Kilometer. Von den Entführungen am stärksten betroffen sind die Tamilen-Dörfer im umgekämpften Norden des Landes, aber auch jene in der östlichen Provinz. Das Gebiet rund um die Städte Ampara und Batticaloa, in dem etwa gleich viele Tamilen und Singhalesen leben, war jahrelang unter Kontrolle der LTTE und wurde von der Regierung erst im April dieses Jahres endgültig zurückerobert und als „befreit“ eingestuft. Obwohl die Ostküste Sri Lankas nur 225 Kilometer von Colombo entfernt ist und die Straßen zum Teil in gutem Zustand sind, dauert die Reise dorthin aufgrund der rigorosen Sicherheitskontrollen der Armee neun Stunden. Immer wieder werden ganze Fahrzeuge am Straßenrand zerlegt und für jede Straßenetappe zwischen den Checkpoints muss ein Passierschein angefordert werden. Vor der mit Maschinengewehr-Nestern und Sandsäcken gesicherten Stadteinfahrt Amparas steht jeden Abend eine mehrere Hundert Meter lange Menschenschlange – BewohnerInnen, die in die Stadt wollen, aber zuerst in Flughafen-Manier mit Metalldetektoren kontrolliert werden. Unterdessen dröhnt das Rattern eines Militärhubschraubers gespenstisch über der Stadt, übertönt nur von den metallischen Quietschlauten der patrouillierenden Radpanzer. „Die ewigen Ausgangssperren und Straßenblockaden machen es unmöglich, sich wirklich frei zu bewegen, irgendetwas zu planen und ein normales Leben zu führen“, sagt Sambadandan G., ein singhalesischer Bewohner Amparas, frustiert.
Zurück in Colombo verfolgt Annemarie Duijnstee, Leiterin der Ärzte-ohne-Grenzen-Mission Sri Lankas, den Frontverlauf auf einer ausgebreiteten Karte. Sie ist soeben aus dem Kriegsgebiet zurückgekehrt und wirkt besorgt. „Vor zwei Wochen haben wir und alle anderen NGOs von der Regierung ein Schreiben erhalten, wo uns mitgeteilt wurde, dass wir die umkämpfte im Norden gelegene Vanni-Region verlassen müssen, weil die Regierungsarmee nicht mehr für unsere Sicherheit garantieren kann.“ Seitdem hat die Regierung die Region hermetisch abgeriegelt, und mittlerweile sind ca. 250.000 Menschen auf der Flucht oder zwischen den Fronten eingekesselt. „Viele Familien haben 2004 durch den Tsunami alles verloren und stehen nun wieder am Rande ihrer Existenz – das ist die wahre Tragödie.“

Auf welcher Seite die betroffene Zivilbevölkerung in der „Endschlacht um Kilinochi“ steht, ist schwer zu sagen. „Ich bezweifle, dass die Mehrheit der Tamilen einen eigenen Staat will. Aber so lange die tamilische Bevölkerung das Gefühl hat, von der Regierung misshandelt und unterdrückt zu werden, so lange werden viele Schutz bei den Tamil Tigers suchen und diese als geringeres Übel unterstützen“, sagt Paikiasothy Saravanamuttu vom „Center for Policy Alternatives“. Wie freiwillig diese Unterstützung tatsächlich ist, sei dahingestellt. Denn so wie die SLA niemanden mehr in die Vanni-Region reinlässt, lassen die Tamil Tigers niemanden mehr raus. Im Kampf bis zum bitteren Ende werden Teile der Zivilbevölkerung von der LTTE als menschliches Schutzschild verwendet, und es werden nach wie vor – auch wenn in geringerem Ausmaß als früher – Kindersoldaten zwangsrekrutiert.

Die Zukunft der strahlenden Insel.
Selbst wenn es der Regierung gelänge, die LTTE militärisch endgültig in die Knie zu zwingen, zweifeln viele Beobachter daran, ob das den lang ersehnten Frieden brächte. „Ohne eine politische Lösung des Konflikts werden sich immer wieder junge Tamilen finden, die aus dem Untergrund ihre Selbstmordanschläge fortsetzen“, sagt Gordon Weiss, Sprecher der UN-Mission in Sri Lanka, mit ernster Miene. „Ich bin schon so lange hier und kann Ihnen sagen, dass dieser propagierte ‚Endsieg’ nur eine weitere Phase des Leides für die Bevölkerung Sri Lankas einläuten wird.“

Sri Lanka oder übersetzt „die strahlende Insel“ wird wohl auch in näherer Zukunft ein zerrissenes und umkämpftes Paradies bleiben. Auch wenn das touristische Städtchen Galle, gesegnet mit seinen Sandstränden und Palmen, vielleicht nur durch ein verstaubtes Radio davon erfährt.

David Kriegleder aus Sri Lanka
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