Das nachhaltige Magazin für Graz und die Steiermark
Einmal Paris und zurück
Montag, 10. November 2008

Stuhlpfarrers Aufwärtshaken

Österreichs Rad-Ass Bernhard Kohl ist gefallen. Der emsige Pedaltreter aus Wolkersdorf – bis vor wenigen Tagen einer der aussichtsreichsten Anwärter auf den Titel „Österreichs Sportler des Jahres 2008“ – wurde Mitte Oktober des Dopings überführt.

Bereits während seiner fabelhaften Leistungen anlässlich der heurigen Tour de France munkelten nicht wenige BeobachterInnen, dass für den kometenhaften Aufstieg des zierlichen Radrennfahrers aus dem Stall des deutschen Teams Gerolsteiner nicht ausschließlich die beispielhafte Vorbereitung, das knallharte Training verantwortlich gewesen seien, sondern womöglich auch die eine oder andere unerlaubte, weil leistungssteigernde Substanz zur Großtat auf zwei Rädern geführt haben könnte; ein Verdacht, der sich bestätigte. Nach einer Verletzung im Frühjahr, resultierend aus einem Sturz während der Rundfahrt Dauphiné Libéré, sah Kohl seine Karriere in Gefahr und vertraute der dritten Generation des Glykoprotein-Hormons Epo, kurz Cera. Die neuartigen Kontrollen der Anti-Doping-Agentur NADA torpedierten das Kohl’sche Vertrauen; seine Felle dürften nach seiner Überführung als Dopingsünder angesichts der fehlenden sportlichen Perspektive, die eine mittelfristige Sperre nach sich ziehen wird, nachhaltig davonschwimmen.

Bis zur Überführung dürfte sich Kohl wie in einem nicht enden wollenden Bubentraum gefühlt haben. Am internationalen Parkett bis zu diesem Sommer ein Nobody, ergatterte der Wahl-Klagenfurter das gepunktete Bergtrikot für den besten Bergfahrer der Tour und belegte den dritten Gesamtrang; ein Kunststück, welches während der knapp hundertjährigen Geschichte der Tour de France keinem Österreicher vor ihm gelingen wollte.
In der Heimat angekommen, begann für Kohl die Tour de Media: Er durfte mit Claudia Stöckl auf Ö3 frühstücken, mit Rainer Pariasek im Sport am Sonntag den Blick in die Erfolg versprechende Zukunft schweifen lassen und Armin Assinger in der Millionenshow beweisen, dass er nicht nur Schmalz in den Beinen, sondern auch Grips im Oberstübchen hat. In diesen Tagen galt es, die vielen neu gewonnenen wie die spärlich gesäten alteingesessenen AnhängerInnen am Triumph partizipieren zu lassen, der Jugend ein Vorbild zu sein und nicht zuletzt den eigenen Werbewert noch weiter nach oben zu schnalzen. Eine Etappe dieser Tour führte Kohl in den Chat der Online-Ausgabe des Standard. Auf die Frage des Users Manfred Bieder, was er denn von „Kollegen“, die zu Doping greifen, hielte, antwortete Bernhard Kohl im Wissen über sein kleines Geheimnis: „Das Kontrollsystem im Radsport ist in einem so hohen Bereich, dass man sich sicher sein kann, dass, wenn einer betrügt, derjenige auch erwischt wird.“ Der Vorschlag des Users mit dem bedeutungsschwangeren Kürzel Krampen, wonach gegenüber gedopten SportlerInnen zwecks Abschreckung und überhaupt eine „lebenslange Sperre“ zur Disposition zu stellen sei, war Kohl dann aber offenbar doch nicht ganz koscher: „Ist auf jeden Fall eine Überlegung wert, allerdings gibt es sicherlich auch Fälle, wo es auch Unschuldige treffen würde“, meinte Kohl damals. Ob er dabei selbst ein wenig aus der Contenance geriet, ist nicht überliefert.

Kohl hat sich mit der grundsätzlichen Entscheidung für Cera einen Wettbewerbsvorteil gegenüber allen anderen Mitstreitern verschafft; wobei eben dieser Vorteil von nicht wenigen SportlerInnen nicht als solcher wahrgenommen wird. Der ehemalige deutsche Weltklasse-Radfahrer Jan Ullrich beispielsweise beharrt bis heute und trotz erdrückender Indizien darauf, niemals „betrogen zu haben“ – eine Aussage, die objektiv unverständlich erscheinen mag, subjektiv aber durchaus der Wahrheit entsprechen könnte. Ullrichs mehrdeutiges Statement kann als Festhalten an der Legende der Unbeflecktheit interpretiert werden, gleichzeitig aber auch als Kritik am gängigen System; nämlich dann, wenn man voraussetzt, dass sämtliche Konkurrenten Ullrichs – an vorderster Front sein langjähriger Konterpart Lance Armstrong – im gleichen Maße mit Hilfe unerlaubter Mittel die eigene Performance frisiert haben wie er selbst. Eingedenk dieser Interpretation der Wahrheit hat Ullrich nicht betrogen, sondern vielmehr fair agiert; frei nach dem Motto: Unter lauter Dopern ist der Doper auch kein Betrüger, sondern allerhöchstens nicht besonders smart.

Dass diese Argumentationsstrategie über zu wenig Substanz verfügt, ist selbstredend. Zumindest in der Theorie müssten sich nämlich auch die Sportsmänner und -frauen rund um den Erdball in puncto Verantwortlichkeit zuallererst an ihrer eigenen Nase nehmen; ihre Gewohnheiten in Bezug auf die Zufuhr unerlaubter Substanzen sollten sie demnach nicht nach der Praxis konkurrierender Kontrahenten ausrichten. Andererseits wäre es schlichtweg vermessen, ja geradezu naiv, ausgerechnet im hoch bezahlten Spitzenleistungssport eine geschwisterliche Gleichheit der Gerechten zu erwarten; vielmehr sind gegenseitiges Vertrauen und Fairness im High-End-Bereich des erwachsenen Konkurrenzkampfs vor dem Hintergrund sportlicher Höchstleistungen ebenso wahrscheinlich wie das politische Überleben eines Stefan Petzner.

Ein Ausblick auf die künftige Korrelation zwischen Spitzensport und Doping lässt eine breite Öffentlichkeit ratlos zurück. Unbestritten ist, dass das gegenwärtige Auseinanderklaffen von Erwartung und gleichzeitigem Glauben an einen sauberen Sport heuchlerisch ist; der Sportlerzunft nämlich alles abzuverlangen, ständige Grenzüberschreitungen zu ersehnen und gleichzeitig auf eine moralisch hoch stehende Ethik im Spitzensport zu setzen.
Bleiben im Endeffekt zwei Optionen: Einerseits die Freigabe sämtlicher leistungssteigernder Substanzen unter ärztlicher Kontrolle im Sinne der Strategie, das Unbesiegbare besser zu zähmen, denn fortwährend besiegt zu werden (eine Taktik, die in politischen Sphären mitunter ganz gut funktioniert). Andererseits die gnadenlose strafrechtliche Bekämpfung von DopingsünderInnen durch eine internationale Gerichtsbarkeit, die neben den SportlerInnen vor allem auch Ärzte und Ärztinnen sowie BetreuerInnen zur Verantwortung zieht. Beide Optionen taugen aus heutiger Sicht nicht als Patentrezept: die völlige Freigabe aufgrund der zu befürchtenden körperlichen Folgeschäden trotz ärztlichem Monitoring; die nachhaltige Bekämpfung des Einsatzes unerlaubter Mittel deshalb, weil die Anti-Doping-Agentur auch weiterhin nur einen Schritt hinter der Entwicklung am illegalen Markt zur Stelle sein wird – Fortsetzung folgt.

 

Gregor Immanuel Stuhlpfarrer, Mag. phil., studierte Geschichte, Theologie und So-
ziologie in Graz und Zagreb. Für den Balkan hat er ein Faible, für Manner-Schnitten eine Schwäche und dem Tatort im ORF schenkt er Sonntag für Sonntag seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Veröffentlichungen (Auswahl): Der Standard, Wiener Zeitung, Die Furche.

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