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Steirische Literatur im Nationalsozialismus. |
Montag, 10. November 2008 | |
Uwe Baur, Karin Gradwohl-Schlacher: Literatur in Österreich 1938-1945. Handbuch eines literarischen Systems. Bd. 1. Steiermark. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2008, 376 S., 39,-- Euro
Literatur ist Teil eines Kommunikationssystems, das wiederum im gesamten gesellschaftlichen Zusammenhang verankert ist; eine Tatsache, der die Literaturwissenschaft üblicherweise nach wie vor relativ wenig Aufmerksamkeit schenkt. Bestimmende Faktoren dieses Systems sind unter anderem institutionalisierte Förderungs- und auch Sanktionsmechanismen (Preise, Förderungen, Zensur oder Publikationsverbote), aber auch literarische Vereinigungen, Verlage, Bibliographien etc. In Diktaturen sind diese Institutionen üblicherweise streng reglementiert und bürokratisch erfasst; ein Musterbeispiel dafür ist die Zeit der NS-Herrschaft. Zentrales Instrument der NS-Literaturpolitik war die Reichsschrifttumskammer, für die ein Aufnahmeantrag gestellt werden musste; mit wenigen Ausnahmen durften nur Mitglieder der RSK publizieren. Damit war die Publikation missliebiger Bücher im Großen und Ganzen von Vorneherein unterbunden. Der nach zwei Jahrzehnten Vorarbeit nun erschienene ersten Band der Bestandsaufnahme „Literatur in Österreich 1938 – 1945“, welcher der steirischen Literatur dieses Zeitraumes gewidmet ist, macht diese institutionellen Faktoren transparent; der Umfang der Recherchearbeit, die damit verbunden war, lässt sich für Außenstehende nur erahnen. Die AutorInnen, der Grazer Germanistikprofessor Uwe Baur und seine Fachkollegin Karin-Gradwohl-Schlacher haben dafür mit einem Team an MitarbeiterInnen die Akten des Berlin Document Center (jetzt: Bundesarchiv Berlin) ebenso ausgewertet wie die Archivalien lokaler Pfarr- und Gemeindeämter. Herausgekommen ist ein Nachschlagewerk, das dichte Informationen über eine Vielzahl steirischer AutorInnen zur Verfügung stellt – der allergrößte Teil davon hat sich mit dem Nationalsozialismus arrangiert, nicht wenige waren aktive Unterstützer, nur eine Handvoll (und von ihnen sind die meisten mit Ausnahme von Richard Zach der Vergessenheit anheimgefallen) wandte sich gegen den Strom. Das Buch entzaubert viele beschönigende Mythen durch harte Fakten: So trat etwa der durch die Grazer Gruppe um Alfred Kolleritsch und Peter Handke wieder ans Licht der Öffentlichkeit geholte Erzähler Franz Nabl nicht nur 1933 mit vielen anderen wegen einer NS-kritischen Resolution aus dem P.E.N.-Club aus, sondern wirkte während der „Verbotszeit“ aktiv in der Österreichischen Kulturkorrespondenz der Rosenberg-Gründung „Kampfbund deutscher Kultur“ mit und trat 1936 dem RSK-Vorläufer „Bund der deutschen Schriftsteller Österreichs“ bei. Diese politische Nähe wurde mit begehrten Preisen wie dem Mozart-Preis der Weimarer Goethe-Stiftung, aber auch mit Direktförderungen belohnt. Ähnliches gilt für Max Mell, zunächst Unterstützer des austrofaschistischen Ständestaates, der ebenfalls 1933 aus dem P.E.N.-Club austrat und 1936 zum Präsidenten des BDSÖ avancierte; laut NS-Einschätzung zwischen Katholizismus und Nationalismus lavierte und seine Gesinnung anlässlich des „Anschlusses“ mit einem Lob- und Schwärmgedicht demonstrierte. Nach 1945 konnten die meisten der genannten AutorInnen ihre Karriere nicht nur fortsetzen, sondern erhielten durch die Republik ähnlich renommierte Auszeichnungen wie vorher durch das NS-Regime (in der Steiermark war der Peter-Rosegger-Preis nahezu Pflichtdekoration). Das gilt nicht nur für AutorInnen wie Nabl und Mell, die zumindest formal nicht der NSDAP angehörten, sondern auch für zentrale Figuren der NS-Literaturpolitik wie den ehemaligen Leiter der Reichsschrifttumskammer in der Steiermark, Paul Anton Keller (NSDAP-Beitritt 1933; Roseggerpreis 1955, Autor des Beitrags „Schrifttum in der Steiermark 1938-1945 im Katalog „Literatur in der Steiermark“ der gleichnamigen Ausstellung 1976) oder der NS-Landesrat für Kultur 1938 – 1940, Josef Friedrich Papesch (Roseggerpreis 1963). Ein Autor wie der in Graz geborene Hans Gustl Kernmayer, einer der bestverdienenden Schriftsteller der NS-Ära (Jahreseinkommen 1942: 118.563 RM, das Hundertfache eines Arbeiterjahreslohnes, Beitritt zur NSDAP: 1933) konnte – obwohl alle seine vor Kriegsende erschienenen Schriften auf den Index kamen – nach 1945 (zum Teil durch Rechtfertigungsliteratur) mühelos an seine früheren Erfolge anschließen. Die weiteren Bände des Nachschlagewerkes sollen im Jahresabstand erscheinen und die Literatur der anderen „Gaue“ der „Ostmark“ behandeln. cs
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