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Zukunft der Spitäler: „Privatisierung ist nicht der Stein der Weisen“
Mittwoch, 8. Oktober 2008
Eines der größten Fachsymposien von Ökonomen in Europa widmete sich Ende September in Graz nicht zuletzt dem Thema Gesundheitspolitik: Im Rahmen der Jahrestagung des renommierten „Verein für Socialpolitik“ (Frankfurt/M.) stellte die deutsche Volkswirtin Dr.in Annika Herr ihre neue Studie vor; darin kommt sie zum Schluss, dass öffentliche Krankenhäuser effizienter wirtschaften als private. Einen Aspekt der von Univ. Prof. Heinz Kurz (VWL) organisierten Veranstaltung bildete ein Themenblock zur „Analyse der Gesundheitsmärkte“. In diesem Zusammenhang widmete sich die deutsche Volkswirtin Dr.in Annika Herr der Frage, ob privat geführte Krankenanstalten effizienter geführt werden als öffentliche. Dabei betrachtete sie sowohl die Kosten- als auch die technische Effizienz. In ihrer Studie („Cost and Technical Efficiency of German Hospitals: Does Ownership Matter?“ kam sie zu überraschenden Ergebnissen, die kürzlich in der Fachzeitschrift Health Economics veröffentlicht wurden.

Privatisierung liegt im Trend.
Im Zeitraum zwischen 1992 und 2003 haben in der deutschen Spitalslandschaft gravierende Umwälzungen stattgefunden, berichtet Herr: „Der Anteil der öffentlichen Spitäler hat sich von 45 auf 35% reduziert, während jener der privaten Institute von 15 auf 25% angestiegen ist. Der Rest besteht aus quasi privaten Non-profit-Einrichtungen, die von Kirchen oder Knappschaftsvereinen (in Bergbaugebieten) betrieben werden.“ In dem fraglichen Zeitraum haben sich allerdings auch die Kosten für das Gesundheitssystem (235 Mio. Euro im Jahr 2003) in Deutschland um rund 50% erhöht und damit Diskussionen um eine Reform des Gesundheitssystems angefacht. Rund 30% der gesamten Gesundheitsausgaben fließen nach diesen Erfahrungen in die Ausstattung und Erhaltung der Spitalsstrukturen. Die Zahl der Betten (und Standorte) wurde in den vergangenen Jahren im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen stetig reduziert, um Einsparungen umzusetzen. Die zusehends aufwändigere Infrastruktur in den Kliniken und teure Behandlungsmethoden haben zwar die Heilungschancen signifikant verbessert, aber auch die Kostenintensität explodieren lassen.
Umfangreiche Datensätze unterstreichen Aussagekraft. „Bisherige Untersuchungen der Effizienz stützten sich auf die weniger zuverlässige DEA-Methode (Data Envelopment Analysis) und kamen zu gemischten Ergebnissen mit zweifelhafter Aussagekraft, wobei allerdings auch der Umfang der Samples als zu gering eingeschätzt werden muss“, erläutert Herr die Voraussetzungen ihrer Studie. In ihrem eigenen Ansatz wurden für die Zeit zwischen 2001 und 2003 rund 1.500 Krankenhäuser, und damit rund zwei Drittel der in Deutschland bestehenden Einrichtungen, unter die Lupe genommen. Dabei verwendete sie den SFA-Ansatz (Stochastical Frontier Analysis), mit dessen Hilfe Herr sich in ihrer Analyse auf die umfangreichen Datensätze der statistischen Ämter in den deutschen Ländern stützt, die nach einer Vielzahl von verschiedenen Parametern auswertbar sind. „Dabei sind etwa die Schwere der Fälle, die Anzahl der vorhandenen Betten sowie die Zahlenverhältnisse der an den Einrichtungen tätigen Ärzte und Schwestern als Größen, die Einfluss auf die Effizienz haben, in Betracht zu ziehen“, berichtet Herr.

Deutlich höhere Effizienz in öffentlichen Spitälern.
In den Ergebnissen ihrer Studie gelangt Herr damit zu vergleichbaren Aussagen wie jene aus der Feder verschiedener US-amerikanischer Ökonomen, die ebenfalls öffentlichen Hospitälern eine höhere Kosteneffizienz zuschreiben. Dabei spielt insbesondere die längere Aufenthaltsdauer in den privaten Spitälern eine entscheidende Rolle, insbesondere wenn die Vergütung für die Spitäler auf der Basis von Tagespauschalen abgegolten wird. „Private Gesundheitseinrichtungen neigen daher dazu, Patienten länger als notwendig in Behandlung zu behalten. Sie orientieren sich eher an einer Logik der Gewinnmaximierung als der Kostenreduktion, was zu einer beträchtlichen Verschlechterung ihrer Effizienzkriterien beiträgt“, fasst Herr ihre Erkenntnisse zusammen. In der Zwischenzeit wurde in Deutschland staatlicherseits ein System von Behandlungskopfpauschalen (je nach Schwere der Fälle) eingeführt, was auf mittlere Sicht zu einer Annäherung der beiden Sektoren in der Effizienz führen könnte, meint Herr. Die nichtöffentlichen Non-profit-Einrichtungen schneiden in dieser Untersuchung übrigens nur wenig besser als die gewinnorientierten Kliniken ab.

Objektive Vergleichbarkeit der Standorte. „Bei der Auswertung wurden die Zahlen aus den einzelnen Kategorien gewichtet und die Extreme nach oben und unten gestutzt, um die Verzerrung der Aussagen möglichst gering zu halten“, betont Herr. Argumente, die darauf abzielen, dass vor allem unprofitable Standorte aus dem öffentlichen Gesundheitssystem in die Privatisierung geführt wurden, können damit ohne weiteres entkräftet werden. Die Effizienzdaten von 43 Spitälern, die hinsichtlich dieser Frage untersucht wurden, ergaben allerdings gegenüber anderen Standorten eine nur sehr geringe Abweichung von der durchschnittlichen Effizienz, erklärt Herr und resümiert: „Die zentrale Aussage aus der Studie, dass private Kliniken weniger effizient als öffentliche sind, impliziert daher keinesfalls, dass privatisierte Krankenhäuser effizienter oder weniger effizient betrieben werden als das vorher der Fall war.“ Von der öffentlichen Hand subventionierte Spitäler, unabhängig davon ob privat oder öffentlich, weisen jedenfalls eine höhere Effizienz gegen den Durchschnitt auf. Dies begründet Herr damit, dass diese Spitäler über die Verwendung der Gelder detailliert Rechenschaft ablegen müssen. Andererseits müssten für weiterführende Untersuchungen der Krankenhäuser auch Faktoren wie die Qualität der Einrichtungen bzw. die Versicherungskonditionen von Kassen- und Privatpatienten genauer unter die Lupe genommen werden. Als bereichernder Denkanstoß zur aktuellen Diskussion, ob Privatisierung bei der Versorgung von gesellschaftlichen Bedürfnissen ein sinnvolles Modell ist, vermag die Studie aufgrund ihrer umfangreichen statistischen Untermauerung bereits in der vorliegenden Form äußerst dienlich sein.

Die Psychologie des „Homo oeconomicus“.
Wirtschaftliche Systeme sind keine monolithischen, nach Naturgesetzen geformten Gebilde, die von sich heraus zu Selbstheilungsprozessen fähig sind, wie die jüngste Finanzkrise beweist, deren Folgen jeden Tag dramatischer absehbar werden. Mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen beschäftigten sich u.a. die hochkarätigen Wirtschaftsforscher Prof. Simon Gächter (Nottingham), Prof. Ernst Fehr (Zürich) und Prof. David Laibson (Harvard). „Die Handlungen der Menschen sind auch im wirtschaftlichen Kontext eben nicht immer rational“, betonte der in diesem Jahr in Graz mit dem Gossen-Preis (nach dem Ökonomen Hermann Heinrich Gossen) ausgezeichnete Prof. Armin Falk (Bonn). In diesem Kontext geht es um eine psychologische Fundierung des ökonomischen Entscheidungsmodells. Mittels Experimenten will Falk die Strategien menschlichen Handelns unter kontrollierten Laborbedingungen erforschen. Ähnliches rät er dem lethargisch gewordenen Sozialstaat, der der neoliberalen Logik wenig entgegensetzt: „Der Staat soll mal wieder mehr Mut zeigen, Sozialexperimente zu machen und sehen, was dabei an Brauchbarem herauskommt.“
    
Josef Schiffer
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