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Peter Eisenman: „Ich möchte nicht in China oder Dubai bauen“
Mittwoch, 8. Oktober 2008
Mit seinem Werkvortrag „On the problem of late style“ gastierte Peter Eisenmann am 24. September in Graz bei XAL. Der bedeutende amerikanische Architekt skizzierte  im Gespräch mit Manfred Hasler und Markus Bogensberger seine Philosophie von Architektur, seinen Bezug zum Star-Kult um seine Person sowie sein Faible für europäischen Fußball.

KORSO: Die meisten Menschen kennen Sie als den Architekten des Mahnmales für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Wie verändert sich Ihr Werk für Sie, wenn sie zurückkehren?
Ich freue mich, dort viele Besucher zu sehen, und ich freue mich auch, wenn sich die Menschen darüber beschweren. In den Staaten gibt es eine bedeutende Reisezeitschrift, “Travel and Leisure”. Darin war das Holocaust Mahnmal einer von drei Orten, der für Berlin empfohlen wurde. Sie haben ein Foto gemacht, das Kinder mit bunten Ballons auf den verschiedenen Stufen zeigt. Ich bekam Briefe von Menschen, die darüber schockiert waren und mich fragten, wie ich dazu stehe. Ich finde es wunderbar, manche Menschen verbringen ihre Mittagspause dort, sie sonnen sich, sie lieben sich dort. Das Mahnmal ist wie eine mittelalterliche Kirche, ein Ort, um den herum sich alles abspielt. Es ist Teil des Lebens in der Stadt. Kinder springen aus dem Schulbus und spielen Verstecken, und wenn sie nach Hause kommen erzählen sie, dass sie einen tollen Ausflug zum Mahnmal gemacht haben. Oder jemand anders führt seine Freundin zum Mittagessen dorthin. Das ist doch wunderbar – es ist Teil des alltäglichen Lebens und damit ein Erfolg. Man kann an das Mahnende denken oder auch nicht – es ist nicht vorgeschrieben.

Ist es denn noch immer Architektur?
Richard Serra sagte zu mir, dass es mein bestes architektonisches Werk wäre; immer sein würde. Ich fragte ihn warum, und er meinte, weil es kein Volumen hat. Ich denke, es ist Architektur, weil das, was es bewirkt, Architektur ist ...

Wenn man an die Ausstellung über dekonstruktivistische Architektur 1988 im New Yorker MOMA denkt, waren fast alle Teilnehmer wurden …

…zu Stars. Ja, das ist interessant, aber zum damaligen Zeitpunkt waren sie es noch nicht.

Sie waren damals wahrscheinlich der bedeutendste Star. Aber Sie haben sich rausgehalten…
…ja.

War das Ihre bewusste Entscheidung oder ist es einfach passiert? Warum bauen Sie keine Wolkenkratzer in Dubai und China?
Ich glaube, dass die Bauherren den Unterschied zwischen Peter Eisenman, Frank Gehry, Zaha Hadid oder Norman Foster kennen. Und ich glaube auch, dass ich viele Bauherren nervös mache, weiß aber nicht genau warum. Unsere Projekte sind ernsthafte Projekte, wie die Kulturstadt in Santiago de Compostela, das Holocaust Mahnmal in Berlin und ein Fußball-Stadion in Arizona. Es sind große Projekte, aber ich habe nur zwanzig Leute in meinem Büro. Ich möchte nicht nach China oder nach Dubai. Wir machen zum Beispiel gerade ein mittelgroßes Gebäude in New York mit dreißig Stockwerken. Und bei all den Einschränkungen frage ich mich, ob das wirklich ein interessantes Projekt ist. Ich denke, ich mache es, weil ich ein Projekt in New York haben möchte. Aber ist es wirklich interessant? Ist das Nazidokumentationszentrum wirklich ein interessantes Projekt? Ja. Ich möchte keinen Countryclub für ein paar Reiche am Roten Meer bauen, das ist keine interessante Arbeit, und ich will auch keine 300 Leute bei mir im Büro haben. Ich möchte die Arbeit steuern können. Ich weiß, was zu tun ist und meine Leute auch, und sie wollen das machen, was ich von ihnen will. Es ist also ein sehr anspruchsvolles Umfeld, auch für meine Studenten. Sie können sich nicht einfach hinsetzen und zeichnen, sie müssen zuerst nachdenken. Ich glaube, ich bin eine andere Art Star. Menschen, die mich kennen, machen mir große Komplimente – einer  sagte einmal, Peter Eisenman sei der letzte echte Architekt. Ich glaube, dass ich ein echter Architekt bin, aber kein Star. So sehe ich mich nicht. Ich möchte Architekt sein, ein lehrender und ausführender. Und dabei nicht mehr als fünf bis sieben Gebäude machen. Man muss nicht viele Projekte machen. Die Architektur ist mir wichtig, aber ich bin auch kein gesellschaftlicher Star, gehe nicht auf Parties, weder in London noch in New York.
Ich komme nach Graz, weil es interessant für mich ist junge Leute an verschiedenen Orten kennen zu lernen und zu erfahren, wie sie denken. Viele Stars tun nichts anderes als ihre Bilder vorzuführen, aber das ist weder interessant noch nützlich. Ich bin wohl auch nicht der Typ dafür, ich bin eben so wie ich bin. Und wohl außer Jacques Herzog der einzige Architekt, der sich für europäischen Fußball interessiert. Überall, wo ich bin, verfolge ich das Geschehen, ich lese auch die „Gazzetta dello sport”.

Das ist sicher ungewöhnlich.
Ja und steht für eine andere Lebensqualität. Ich habe eine Familie, die ich liebe, vier Kinder und eine Frau. Ich liebe meine Studenten und meine Arbeit. Ich habe ein erfülltes Leben, lese viel, denke über vieles nach.

Haben Sie einen Traum?
Ob ich einen Traum habe? Mal sehen, ob ich Ihnen diese Frage beantworten kann. Würde ich mein Leben anders gestalten wenn ich könnte? Nein. Liebe ich mein Leben? Ja. Gibt es Dinge, die ich gerne noch tun würde? Ja.

…zum Beispiel?
Ich würde gerne ein Hochhaus machen und eines Tages vielleicht ein Gefängnis. Ich möchte nicht fortwährend Museen und Stadien machen, das ist nicht interessant. Wissen Sie, ich würde gerne Dinge machen, die ich noch nicht gemacht habe. Das muss nicht viel sein. Ich möchte einfach leben, solange ich auf der Welt bin. Der Tod dauert nämlich sehr lange. Nein, eigentlich habe ich keinen Traum. Muss ich einen Wolkenkratzer machen? Nein, ich tue, was ich tue. Wäre ich interessiert, das Nazidokumentationszentrum in München zu machen? Ja, das ist wirklich interessant. Ich mag interessante Projekte, die eine Herausforderung darstellen. Würde ich gerne das Schloss in Berlin machen wollen? Ja, das wäre ein interessantes Projekt.

Anstelle des Schlosses, …
Anstelle des Schlosses, ja, da gibt es sicherlich einige interessante Dinge. Ich träume jedoch nicht davon. Ich bin eher ein Realist. Ich weiß, wer ich bin und was ich kann. Möchte ich in China bauen? Nein. Jeder sagt, man müsse in China bauen, aber das interessiert mich nicht. Möchte ich in Dubai bauen? Nein. Ich wache morgens auf und bin dankbar, dass ich noch da bin und sage mir: „ Du hast noch Dein ganzes Leben vor Dir“. Das ist eine echte Aussage.

 

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