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Von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen bis zum Internationalen Strafgericht in Den Haag. |
Archiv - Lokales | |
Montag, 10. April 2006 | |
Am 23./24. März fand in Graz die internationale Tagung „Genocide on Trial. Von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag" statt. Ausgangspunkt waren Forschungsergebnisse österreichischer HistorikerInnen und JuristInnen, die mit Erkenntnissen aus anderen europäischen Ländern verglichen wurden.
Am Rande dieser Tagung, die vom Institut für Österreichische Rechtsgeschichte an der Universität Graz, dem Institut für Zeitgeschichte Innsbruck und der Zentralen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz veranstaltet wurde, sprach Heimo Halbrainer für KORSO mit einem der wissenschaftlichen Leiter der Forschungsstelle, Dr. Winfried Garscha, über den Dialog zwischen JuristInnen und HistorikerInnen.
Sie haben auf der Konferenz – als Historiker – mit einer Strafrechtlerin und einer Völkerrechtlerin über die Aktualität des österreichischen Kriegsverbrechergesetzes diskutiert. Was kann an einem vor fast fünfzig Jahren aufgehobenen Gesetz „aktuell" sein? Es geht um Verbrechen, deren (Nicht-)Bestrafung leider immer aktuell ist: 1975 ist der „Völkermord" als Straftatbestand in das österreichische Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Die wesentlich häufigeren Delikte – nämlich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – sind aber nach wie vor schwer zu ahnden. Und es gibt keine Garantie, dass sich nicht auch Österreicher an derartigen Verbrechen beteiligen, beispielsweise als Söldner in einem Bürgerkrieg. Österreich hat sich mit der Ratifizierung des so genannten „Rom-Statuts" des Internationalen Strafgerichtshofs verpflichtet, die dort vereinbarten Straftatbestände auch in nationales Recht umzusetzen. Das ist bisher nicht geschehen. In dem Fachgespräch, das ich auf der Grazer Tagung mit Anke Sembacher vom Völkerrechtsinstitut der Universität Graz und Romana Schweiger vom Strafrechtsinstitut der Universität Wien geführt habe, wurden zwei Möglichkeiten genannt: Nach deutschem Vorbild ein eigenes „Völkerstrafgesetzbuch" als strafrechtliches Nebengesetz zu schaffen oder an den letzten Paragraphen des geltenden Strafgesetzbuches, der das Verbrechen des Völkermords betrifft, weitere Paragraphen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit („Humanitätsverbrechen") anzuhängen. Das ist eine juristische Frage. Welchen Beitrag kann die Geschichtswissenschaft dazu leisten? Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sammelt historische Strafurteile wegen Kriegs- und Humanitätsverbrechen, um Vorzüge und Mängel der bisherigen Versuche zur Ahndung dieser meist vom Staat angeordneten oder zumindest geduldeten Verbrechen zu studieren. Es gibt bereits derartige Urteilssammlungen in Deutschland, den Niederlanden und Polen. Seitens der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz bereiten Claudia Kuretsidis-Haider und ich eine derartige mehrbändige Urteilssammlung auch für Österreich vor. Das österreichische Kriegsverbrechergesetz von 1945 enthält einige wichtige Erkenntnisse bezüglich der Besonderheiten des Verbrechens der Verletzung der Menschenwürde, die auch für die aktuelle Diskussion von Nutzen sein könnten. Das betrifft zunächst die Definition, dass das Verbrechen der Quälerei nicht nur durch eine empfindliche Misshandlung erfüllt wird, sondern auch dadurch, dass jemand unter Ausnutzung dienstlicher oder sonstiger Gewalt einen Menschen „in einen qualvollen Zustand versetzt". Der zweite Punkt, wo meiner Meinung nach die österreichischen Gesetzgeber des Jahres 1945 Erkenntnisse späterer Jahrzehnte vorweggenommen haben, ist der Stellenwert der psychischen Folter – im Gesetzestext ist von einer „gröblichen" Verletzung der Menschenwürde oder der „Gesetze der Menschlichkeit" die Rede. Sie wird mit derselben Strafe, nämlich der Todesstrafe bzw. nach deren Abschaffung mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe, bedroht wie die physische Tötung eines Menschen. Selbstverständlich ist der strafrechtliche Schutz der Menschenrechte heute bereits weiter vorangeschritten – etwa durch die UNO-Konvention gegen Folter und die Genfer Zusatzprotokolle aus den siebziger Jahren. Ich denke aber, dass es durchaus sinnvoll wäre, bei der notwendigen Diskussion über die Aufnahme entsprechender Bestimmungen ins österreichische Strafrecht auf diese Rechtstradition in unserem Land hinzuweisen: Die Tatsache, dass bestimmte Formen der Folter Spätfolgen haben können, die bis zum „sozialen Tod" des Opfers, d.h. seiner Unfähigkeit zur Rückkehr ins „normale Leben", gehen können, war den Schöpfern des Kriegsverbrechergesetzes bewusst. Während dieses Gesetz aus dem Jahre 1945 sich international sehen lassen konnte, ist später eine ausgesprochene Zögerlichkeit des österreichischen Gesetzgebers beim Nachvollzug der Entwicklungen im humanitären Völkerrecht festzustellen.
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