670. 000 EinwohnerInnen und eine geringere Fläche als die Steiermark: Montenegro ist eines der kleinsten Länder Europas. Wie leben die Menschen in dem Bal-kanland, das vor zwei Jahren aus dem Staatenbund mit Serbien ausgetreten ist? Wie ist die politische und ökologische Situation in dem jungen Staat? Diesen Fragen waren die TeilnehmerInnen einer Reise der Grünen Akademie auf der Spur.
Sveti Stefan ist eines der beliebtesten Fotomotive an der montenegrinischen Adriaküste. Auf der darüber liegenden Hauptstraße gibt es eine Parkmöglichkeit für Busse, von hunderten Gästen täglich genutzt, um die kleine Insel mit ihren Steinhäusern kameratechnisch festzuhalten. Der Blick aus der Ferne muss genügen, denn was wie ein idyllisches Fischerdörfchen anmutet, ist schon längst keines mehr. Hinter den alten Mauern verbirgt sich heute eine exklusive Hotelanlage, Zimmer sind kaum unter 600 Euro pro Nacht zu haben und wer die noble Anlage betreten will, muss sieben Euro Eintritt zahlen. Profiteur ist das Investorenkonsortium „Aman Resorts“ aus Singapur, das die Insel für 25 Jahre geleast hat. Zig andere einst staatliche Hotelbauten sind an der 270 Kilometer langen montenegrinischen Küste in den letzten Jahren an ausländische Investoren gegangen. Über eine Billion Euro sollen 2007 an direkten Auslands-investitionen ins Land geflossen sein, ein großer Teil davon in Immobilien an der Küste.
Wandlungsfähiger Premier. „Montenegro ist in der Geiselhaft des russischen Kapitals“, bringt es Branko Radulović auf den Punkt. Der Vizepräsident der „PzP – Pokret za Promjene“ (Bewegung für Veränderung) empfängt die BesucherInnen in einem gepflegten Büro mit dunklen Möbeln und schwarzen Lederfauteuils am Rande der Hauptstadt Podgorica. Kein Vergleich mit den betont einfachen Räumlichkeiten der heimischen Grünbewegung in ihren Gründungsjahren. Und bei einiger inhaltlicher Ähnlichkeit ist doch die Erfolgskurve der PzP eine weit steilere als die der Europäischen Grünen, mit denen sie sich laut Radulović „verwandt fühlt“: 2002 als NGO gegründet, hat die PzP vier Jahre später als politische Partei kandidiert und erlangte bei den ersten Parlamentswahlen im unabhängigen Montenegro im September 2006 stolze 13 Prozent. Elf Abgeordnete sitzen seither im 80-köpfigen Parlament, dem der Langzeit-Premier Milo Đukanović mit seiner „Koalition für ein europäisches Montenegro“ vorsitzt. Der wandlungsfähige Regierungschef Đukanović steht seit 1991 mit zwei kurzen Unterbrechungen an der Spitze der Regierung und der einstige Verbündete des serbischen Nationalistenführers Slobodan Milošević, mit dem er 1997 gebrochen hat, bekam auch nach der Unabhängigkeitserklärung vom Staatenbund mit Serbien ein starkes Votum des montenegrinischen Volkes: Bei den Parlamentswahlen 2006 erreichte seine Koalition die Hälfte der Mandate.
Ökobombe Aluminium. Die Oppositionspartei PzP, deren Aktivisten zu einem Gutteil aus der Anti-Kriegs-Bewegung stammen, hat keine leichte Aufgabe in einem Land, in dem die demokratische Kultur schwach ausgeprägt ist. „Es herrscht eine Art Minimaldemokratie“, konstatiert Branko Radulović. Montenegro sei ein kleines Land, das leicht zu kontrollieren und zu manipulieren sei. Als Beispiel nennt er die Aluminium-Fabrik in Podgorica, einst größter Staatsbetrieb, die 2005 an die russische RusAI-Gruppe verkauft wurde. Die Riesenanlage liefert nicht nur 50 Prozent der industriellen Produktion des Landes, sondern sorgt auch nach wie vor für mehr als 50 Prozent des Stromsverbrauchs Montenegros. Seit 20 Jahren wurde nicht in neue Technologien investiert. „Ein ökologischer Genozid“, findet der Oppositionspolitiker starke Worte. „Wir haben diese Situation in Frage gestellt und eigene Untersuchungen angestellt. Wir sind auch vor Gericht gegangen, aber die Klage wurde vom Kapital abgewürgt.“ Auch Ljubiša Perovićs Gesicht nimmt einmal mehr einen verzweifelten Ausdruck an, als das Gespräch auf die Aluminiumfabrik kommt: „Sie sollte möglichst rasch geschlossen werden. Wir sind auf der Suche nach Alternativen.“ Obwohl er den Botschafter-Titel trägt und auch bei seiner derzeitigen Beschäftigung als Leiter des Regierungsbüros für nachhaltige Entwicklung, das Premier Đukanović direkt unterstellt ist, diplomatisches Geschick durchaus brauchen kann, wird Ljubiša Perović bei diesem Thema sehr klar: „Aluminium ist eine ökologische Bombe.“ Der Mitbegründer der Grünen Bewegung ist überzeugt von der ökonomischen Bedeutung der Ökologie und war bei vielen internationalen Konferenzen und Vertragsabschlüssen dabei. Doch die Realität ist eine andere: „Wir unterzeichnen alle Abkommen, aber das Umsetzen und Einhalten ist das Problem.“ Mittlerweile hat die Ernüchterung auch in den Gesetzestexten ihren Niederschlag gefunden. In der ersten Verfassung Montenegros 1992 war noch der „ökologische Staat“ festgeschrieben. Im neuen Verfassungstext, der letzten Herbst mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde, ist die Formulierung nicht mehr zu finden. „Es ist genauso wie mit dem strengen Anti-Raucher-Gesetz, das vor einigen Jahren beschlossen wurde: Keiner hält sich daran“, seufzt der Botschafter.
Schnelles Geld. Von der mangelnden Rechtsstaatlichkeit kann auch Milka Tadić Mijović ein Lied singen. Sie ist Redakteurin bei „Monitor“, der einzigen unabhängigen Wochenzeitung Montenegros, die sich mit dem Aufzeigen von Korruptionsfällen, Umweltskandalen und der kritischen Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit des Landes einen Namen gemacht hat. Von den politischen und wirtschaftlichen Machthabern, die oft schwer zu unterscheiden seien, werde sie dafür alles andere als geliebt, berichtet die couragierte Journalistin: „Đukanović hat eine Bewegung gegen die freie Presse gestartet.“ Etliche Fälle so genannter „Verleumdung“ wurden vor Gericht gebracht, erst kürzlich musste die unabhängige Tageszeitung „Vestij“ 20.000 Euro Strafe zahlen, weil sie Premier Đukanović verdächtigt hatte, hinter dem Attentat auf einen Journalisten zu stehen. „Wenn wir unabhängige Richter hätten, wäre es leichter, mit unseren Problemen fertig zu werden“, konstatiert Milka Tadić Mijović. Zu diesen zählen vor allem Korruption, das organisierte Verbrechen und ökologische Themen. „In den 90ern haben sie unsere Geschichte zerstört, heute zerstören sie unsere Geographie“, weist die „Monitor“-Redakteurin auf die vielfach ohne Baugenehmigung errichteten Hotelburgen hin. Schuld seien verantwortungslose Kriminelle, die in den 90ern viel Geld mit Zigarettenschmuggel und anderen illegalen Geschäften gemacht hätten: „Das investieren sie jetzt und wollen dabei das Land nicht entwickeln, sondern immer nur mehr und schneller Geld verdienen.“ Masterpläne und Gesetze werden dabei von höchster Stelle gebrochen.
Verwandtschaftliche Verflechtungen. Als positiv bezeichnet Milka Tadić Mijović die zunehmend besser werdenden ökonomischen Bedingungen. Tatsächlich sprechen die Zahlen von einem Wirtschaftsaufschwung: Die Inflationsrate ist von fünf Prozent im Jahr 2005 auf drei Prozent 2006 gesunken, die allgemeinen Staatschulden sind von 2002 bis 2006 von 88 auf 36 Prozent des Bruttoinlandsproduktes geschrumpft. Auch die Arbeitslosigkeit beträgt nach offiziellen Angaben nur mehr 14 Prozent, wobei seriöse Schätzungen von mehr als dem Doppelten ausgehen. Die Wirtschaft hat vor allem von enormen Steuersenkungen profitiert, was wiederum eine starke Anziehungskraft auf Auslandsinvestoren hat. Das beschwerliche Leben der DurchschnittsbürgerInnen hingegen hat sich kaum verbessert. „In Montenegro gibt es die größte Kluft zwischen Arm und Reich der ganzen Region“, stellt die „Monitor“-Redakteurin fest. „Die Lebensmittelpreise sind heute um ein Vielfaches höher als vor einigen Jahren.“ Die Preise sind mit denen in Österreich vergleichbar – bei einem Durchschnittsgehalt von 300 Euro im Monat. Kein Wunder, dass viele einen zweiten Job zum Überleben brauchen. Und dass die Schwarzgeschäfte blühen. Ein Rettungsanker im täglichen Überlebenskampf ist der starke Familienzusammenhalt. „Generationen leben unter einem Dach und bauen auf einem kleinen Stück Land Gemüse an“, erzählt Milka Tadić Mijović. Wo den Armen der Clangedanke ein menschenwürdiges Leben sichert, kehrt sich diese Tradition in der schmalen Schicht der Reichen ins Korrupte. „Durch die engen Verflechtungen in der Verwandtschaft besitzen wenige Familien die Mehrzahl der Unternehmen und leiten die mächtigen Institutionen“, so die Journalistin. Diese Strukturen seien sehr schwer zu durchbrechen, eine starke Mittelschicht, die für Veränderungen kämpfe, fehle noch.
„Liebe Bürger“. Nicht mehr als 300 Euro netto verdient auch ein parlamentarischer Mitarbeiter. Auf viele Ausschreibungen melden sich keine BewerberInnen. Warum auch, wenn gut Qualifizierte in der Privatwirtschaft um einiges mehr verdienen? Das niedrige Lohnniveau ist nur eine von vielen Hürden, will man eine gut funktionierende parlamentarische Struktur aufbauen. Damit ist der deutsche Politologe Axel Jännicke von der OSZE und der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit beauftragt. In vier Jahren und mit 600.000 Euro ausgestattet soll vor allem die Ausschussarbeit professionalisiert werden. „Derzeit lauft die Parlamentsarbeit vor allem über die Plenarsitzungen“, erklärt Jännicke. Diese werden vom öffentlichen Rundfunk übertragen und daher vor allem zur Selbstdarstellung genutzt. Tritt ein Abgeordneter ans Rednerpult, begrüße er nicht seine Kollegen, sondern zuerst die „lieben Bürger“. Die 80 Abgeordneten müssen in elf, teils sehr breit angelegten Ausschüssen werken. Da viele daneben aufwändige Jobs ausüben, wird die Tätigkeit an bezahlte MitarbeiterInnen ausgelagert – und die Spirale dreht sich, denn auch diese brauchen zumindest einen zweiten Posten, um überleben zu können. „Der Vorsitzende des Raumordnungsausschusses ist gleichzeitig Direktor des Untersuchungsgefängnisses und Vorsitzender des Boxverbandes. Ich versuche seit Wochen vergeblich, ihn zu erreichen“, schildert Axel Jännicke das Dilemma. Stolz auf Toleranz. „Die täglichen Probleme sind groß“, gesteht die stellvertretende Premierministerin Gordana Djurović ein. Stolz sei sie aber auf die multiethnische Gesellschaft, die friedlich zusammenlebe. Mit Montenegrinisch, Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und Albanisch gibt es fünf offizielle Sprachen im Land. Die beiden größten Bevölkerungsgruppen sind die Montenegriner mit 40 Prozent und die Serben mit 30 Prozent. 1999, während der Kosovokrise, hat Montenegro 120.000 Flüchtlinge aufgenommen, ein Fünftel der eigenen Bevölkerung. Sie selbst sei das beste Beispiel für ein gutes Miteinander, erklärt die Politikerin lachend: „Mein Vater ist Serbe, meine Mutter Bosnierin – und mein Mann zu 200 Prozent Montenegriner.“
Eva Reithofer-Haidacher
» 1 Kommentar
1"Ökologie in Montenegro" am Mittwoch, 25. Februar 2009 08:28
Sehr geehrte Damen und Herren, im Artikel "Montenegro: Vom Auslands-Kapital regiert" verweist Herr Ljubiša Perovi? darauf, dass in der neuen montenegrinischen Verfassung die Ökologie als Staatsziel gestrichen sei (siehe Kapitel "Ökobombe Aluminium"). Ich habe folgenden Text des Artikel 1 dieser Verfassung vom 22.10.2007 gefunden, "?lan 1: Crna Gora je nezavisna i suverena država, republikanskog oblika vladavine. Crna Gora je gra?anska, demokratska, ekološka i država socijalne pravde, zasnovana na vladavini prava." Worauf bezieht sich also Herr Ljubiša Perovi?? Gab es möglicherweise in der 1992er Verfassung noch einen zusätzlichen Artikel, der jetzt fehlt und damals das Thema Ökologie konkretisierte? Oder ist der Verfassungstext vom Oktober 2007 nicht mehr gültig, weil die Verfassung geändert wurde?
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