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Crashkurs Balkan
Sonntag, 8. Juni 2008
Gelegentlich gewinnen Filmadaptionen von Romanen wie „Jenseits von Afrika“ oder „Der englische Patient“ einen oder auch mehrere Oscars. In den meisten Fällen ersetzt die Spekulation mit der Leserschaft dabei die medienspezifische Verdichtung der Vorlage.

Der ästhetische Reiz der Wiederverwertung besteht vor allem im Erkennen einzelner Romanpassagen und soliden schauspielerischen Leistungen. Ähnliches lässt sich auch von den Adaptionen sagen, die das Theater in seinem Aktualitätshunger verstärkt anbietet. Auch hier muss die Qualität der Vorlage häufig eine angemessene künstlerische Investition ersetzen.

Ensemble rast durch den Abend. Die Dramatisierung des ausgezeichneten Buches von Saša Stanišić „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ auf der Grazer Probebühne ist da keine Ausnahme. Stanišićs autobiografische Geschichte vom jungen Aleksandar, dessen Familie zu Beginn des Endes von Jugoslawien aus dem bosnischen Višegrad nach Deutschland flieht, ist einfach zu bildermächtig, um in die Probebühne gequetscht zu werden. Für diesen großen Stoff wäre die Hauptbühne vielleicht grade groß genug gewesen. Stattdessen bürdet Regisseurin Christine Eder im Vertrauen auf Stanišićs poetische Sprachwelten, in denen sich Magisches mit Politischem verbindet, ihren Schauspielern jede Menge Text auf. So ersetzt eine im Übrigen kompetente Regie mit Hektik und Wortlastigkeit mögliche Stimmungen und Erfahrungen und verzichtet auf Licht- und Tempowechsel. Daran kann auch ein ausgezeichnetes, durch einen ziemlich lauten Abend rasendes Ensemble wenig ändern. Allen voran der wirklich großartige Sebastian Reiß als intensiver, aber nie überzeichnender Titelheld und Martina Stilp als seine facettenreiche Mutter. Thomas Frank, Jan Thümer, Dominik Maringer sind ihnen dabei schauspielerisch knapp auf den Fersen. Franz Solar als Künstler, Sophie Hottinger, die sich am Dachboden, und Steffi Krautz, die sich als Fluss Drina (auch so ein verschenkter Einfall) unter dem Tisch verstecken müssen, hatten bei all der Textdichte kaum Chancen, sich auszuspielen. Erik Göller und noch mehr Gerti Pall hatten da als Großeltern mehr Gelegenheiten, aber für bosnisch-serbische Balkantypen sind sie eigentlich zu feine Schauspieler. Vielleicht irrt der Rezensent auch, der Beifall war jedenfalls gewaltig. Oscar-Verdacht eben.

Für Liebhaber des atemlosen Spiels, des Romans von Stanišić und guter Schauspieler. Auf der Grazer Probebühne noch am 12.6. und am 25.6.
Willi Hengstler

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