Teil 2: Prinzipien und Strukturen
MCC (Corporacion Cooperativa Mondragón) gilt als das weltweit erfolgreichste genossenschaftliche Unternehmen. In weniger als 10 Jahren wurde die Anzahl der Beschäftigten verdoppelt. Mit ca 74.000 Beschäftigten (davon die Hälfte GenossenschafterInnen) erwirtschaftet es im Jahr 2004 500 Mio. Euro Gewinn. Trotz seiner Größe wird Mondragón als demokratisches Unternehmen bezeichnet. Auf welchen Prinzipien und Organisationsstrukturen beruht dieser Erfolg und welche Schlussfolgerungen können daraus für eine gesellschaftsdienliche Organisation wirtschaftlicher Aktivitäten gezogen werden?
Sechs Prinzipien für eine andere Ökonomie. Die Unternehmenskultur von Mondragón beruht auf wenigen Grundprinzipien, die wichtigsten: 1. Freier Beitritt für alle, die die Grundprinzipien akzeptieren und die erforderlichen beruflichen Fähigkeiten aufweisen. 2. Demokratische Organisation, d.h. „eine Person, eine Stimme", Wahl der Leitungsorgane, Letztentscheidung der Vollversammlung der GenossenschafterInnen in allen Fragen 3. Geld/Kapital hat eine untergeordnete Stellung: Kapital ist ein Instrument zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zur Entwicklung der Region 4. Teilhabe der Arbeitenden an der Geschäftsführung 5. Lohnsolidarität: während bis Mitte der 80er Jahre das Verhältnis zwischen dem höchsten und dem niedersten Einkommen innerhalb einer Genossenschaft 3 zu 1 betrug, liegt des derzeit bei ca. 6 zu 1 – in einigen Genossenschaften gilt allerdings auch absolute Lohngleichheit unabhängig von der Position und Tätigkeit. 6. Gesellschaftliche Veränderung: Verpflichtung gegenüber dem gesellschaftlichen Umfeld und Reinvestition der Nettogewinne in regionale Arbeitsplätze, Bildungseinrichtungen etc.
Die MitarbeiterInnen wählen den Vorstand. Eigentlich müsste man von zwei „Mondragóns" sprechen: Arbeitsplatzverluste in den 80er Jahren und verschärfte Konkurrenz durch internationale Konzerne führten zu einer Reorganisation des Genossenschaftsverbundes gegen Ende der 80er Jahre. Heute ist die MCC in drei Wirtschaftssektoren aufgeteilt: die Finanzgruppe, die Industrie- und die Handelsgruppe. Insgesamt finden sich 218 Unternehmen und Einrichtungen unter dem Dach der MCC – die Hälfte davon sind Genossenschaften. Unterstützt werden die Genossenschaften dieser drei Sektoren durch mehrere Forschungszentren, Ausbildungszentren und eine Universität (mit ca. 4000 Studierenden), allesamt ebenfalls genossenschaftlich organisiert.
Das oberste Organ der einzelnen Genossenschaften bildet die Generalversammlung der Mitglieder. Von ihr wird der Vorstand gewählt, der über die Besetzung der leitenden Positionen im Unternehmen entscheidet, aber den Vorgaben der Generalversammlung unterliegt. Ein Sozialrat nimmt zusätzlich die Interessen der GenossInnen als Arbeitende wahr. Auf der Ebene der Dachorganisation MCC wird diese Struktur kopiert: 650 VertreterInnen der einzelnen Genossenschaften treffen sich einmal jährlich zur Generalversammlung. Sie ist das oberste Vertretungs- und Entscheidungsorgan der genossenschaftlichen Unternehmensgruppe von Mondragón. Der Generalvorstand setzt sich aus den DirektorInnen der einzelnen Sektoren zusammen und ist für die Erarbeitung und Koordination der unternehmerischen Strategien und Ziele verantwortlich. Ein „Ständiger Ausschuss" wird von der Delegiertenversammlung beauftragt, die Geschäfte entsprechend den Vorgaben zu führen. Die Dachorganisation MCC fungiert als „Serviceeinrichtung" für die Genossenschaften bzw. ist als Übereinkommen zwischen den einzelnen Genossenschaften zu sehen. Die einzelne Genossenschaft bleibt funktional weitgehend selbstständig. Jede Ebene der Unternehmenshierarchie darf nur diejenigen Aktivitäten ausüben, die nicht auf einer niederen Ebene ausgeführt werden können. Dennoch hat die Reorganisation in den 90er Jahren zu einer Zentralisierung der Entscheidungsmacht und zur Stärkung der Hierarchien geführt. Das machte raschere Entscheidungen und stärkere Vernetzung und Koordination möglich, allerdings zu Lasten gewisser genossenschaftlicher Werte und der Selbstbestimmung einzelner Genossenschaften.
Beeindruckende wirtschaftliche Erfolge. Das Modell Mondragon weist eine beeindruckende Bilanz hinsichtlich der Schaffung von Arbeitsplätzen und der regionalen Entwicklung im Baskenland auf. Dieser Erfolg ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Erstens auf die demokratische Organisation, die eine Kultur des Mitdenkens und Mitentscheidens innerhalb der Unternehmen fördert, und zweitens auf eine ausreichende Kapitalbasis, die durch die privaten Anteilskonten der GenossenschafterInnen (die erst bei Austritt ausbezahlt werden) und die Umverteilung innerhalb des Genossenschaftsverbundes geschaffen wird. So kommen vom Nettogewinn jeder Genossenschaft 20% in den Gemeinschaftsfonds, vom Rest werden im Durchschnitt 45% den persönlichen Kapitalkonten der Genossenschafterinnen, 45% den Rücklagen zugeschlagen und 10% in einen Sozialfonds einbezahlt (in Summe für den gesamten Verbund zwischen 1999 und 2003 160 Mio. Euro – ein Großteil davon wird für Bildungseinrichtungen bzw. für die Förderung der baskischen Sprache und Kultur verwendet).
Ein Musterbeispiel für den Erfolg dieses Solidarmodells ist die Genossenschaft Irizar – ein Hersteller von Reisebussen. Seit 1962 ist Irizar Teil der Mondragón-Bewegung, Im Jahr 1991 war das Unternehmen mit 250 Beschäftigten bei einem Umsatz von 18 Mio. Euro fast bankrott. Die Arbeitskräfte wurden Großteils von anderen Genossenschaften übernommen. Mit der finanziellen und technologischen Unterstützung durch den Verbund gelang Irizar ein beeindruckender Aufstieg: 2005 erreichten die gegenwärtig 3000 Beschäftigten 364 Mio. Euro Umsatz. Die Gewinne stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 50%. Für den Erfolg von Mondragon ist allerdings auch eine starke Unterstützung der baskischen Nationalregierung mitverantwortlich: Die baskische Genossenschaftsgesetzgebung bevorzugt Genossenschaften gegenüber „normalen" Unternehmen. Schließlich bringt die enge gegenseitige Vernetzung zwischen Genossenschaften, Bildungseinrichtungen, eigenen Forschungsinstitutionen und der Politik gewaltige Synergien. Die Schattenseiten sollen nicht verschwiegen werden: Mit der enormen Größe und dem schnellen Wachstum entstand eine Tendenz zu weniger demokratischen Entscheidungsformen bzw. zu einer Formalisierung der Demokratie bei Mondragon. Die im Zuge der Globalisierung geschaffenen Unternehmen außerhalb des Baskenlandes sind allesamt Aktiengesellschaften. MCC rechtfertigt dies damit, dass in vielen dieser Länder eine geeignete Genossenschaftsgesetzgebung fehlt, andererseits dürfte auch die Überlegung mitspielen, dass diese Unternehmen eine wichtige Zulieferfunktion für die baskischen Genossenschaften übernehmen und deshalb in einer klaren Befehlsempfängerposition gehalten werden sollen. Hinsichtlich ihrer Globalisierungsstrategien unterscheidet sich Mondragón also kaum von klassischen Multis. Immerhin verabschiedete die Generalversammlung im Jahr 2003 eine Resolution, die die Geschäftsführung verpflichtet, nach Möglichkeiten zu suchen um die Beschäftigten auch dann an Einkommen und Entscheidungen teilhaben zu lassen, wenn diese nicht Genossenschafterinnen sind. Laut Expansionsmodell 2005 - 2008 sollen die Betriebe zu 30% in das Eigentum der Mitarbeiterinnen übergehen, wenn aus rechtlichen Gründen eine Transformation in eine Genossenschaft nicht möglich ist und 5 % des Gewinns dieser Unternehmen müssen für die regionale Entwicklung aufgewendet werden. Mondragón ist eine höchst effiziente „job-creation-machine" wie einer der leitenden Manager feststellte. Hervorzuheben ist auch die Einkommenssolidarität, die dazu führte, dass die Region um Mondragon keine Arbeitslosigkeit kennt und eine egalitäre Wirtschaftsentwicklung aufweist. Auch wenn die Größe von MCC und die damit verbundenen (Internationalisierung-)Strategien „Sachzwänge" bewirken, die das emanzipatorische Potential beschränken, so zeigt Mondragón doch eines sehr deutlich: dass gesellschaftsdienlichere Formen des Wirtschaftens als die heute vorherrschenden möglich sind – vor allem dann, wenn entsprechende Rahmenbedingungen durch die Politik geschaffen werden.
Der Autor Bernhard Ungericht ist Professor am Institut für Internationales Management der Karl-Franzens-Universität Graz.
» 1 Kommentar
1"Studienreise einer Gruppe niederösterrei" am Donnerstag, 1. Januar 1970 00:33
Von unserer Reise, die heuer im Februar stattfand, sthet ein interessanter Bericht im Industiemagazin. In der Arbeit und Wirtschaft erscheint in der Mai Ausgabe ebenfalls ein Bericht daüber. Rückfragehinweis: Rudolf Kernstock 0664/614 50 70
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben. Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich.
|