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Der zerbeulte Kopf der Nachtigall – Sonja Harters Liebes-Nachträge
Sonntag, 8. Juni 2008
Sonja Harter: einstichspuren, himmel. Gedichte. Mit einem Vorwort von Friederike Mayröcker. Graz: Leykam 2008, 104 Seiten, 14,90 Euro

Sonja Harters lyrische Sprache ist härter geworden, gewiss, doch immer noch von elegischem Ton durchzogen, wie früher. Aber es sind klirrende Elegien: das Vergangene, oft ein flüchtiges Liebeserlebnis, wird nicht mehr sehnsuchtsvoll erinnert, sondern als verronnen, wenn nicht gar erstarrt, festgestellt, als hätte das lyrische Ich mit seiner Erinnerung „auf den Gefrierpunkt gewartet“, bevor es diese montageartig zur Sprache bringt, ein „warten, bis alles getrocknet ist (sperma, klebstoff)“. Den Grundton der meisten dieser Gedichte macht eine Tristesse, eine Stimmung des unerbittlichen Nicht-Mehr, aus: „halbherzige liebeslieder kleben auf gehsteigen … und die postkarten verbrennen schneller, als der nächste Zug einfährt“. Wörter mit dunklen Bedeutungsfeldern überwiegen.  Es sind Mikroprotokolle augenblickshafter Empfindungen und alltäglicher Geschehnisse („das numerieren der messer oder / der weg zum zigaretten / automaten“), dem „vibrieren der ereignisse“, auch der inneren,  abgewonnen, die Sonja Harter hier in zwölf Abschnitten parataktisch anordnet. Aber es ist keine Alltagslyrik im bekannten Stil, wiewohl einmal R. D. Brinkmann sogar explizit genannt wird („brinkmann skandieren, als stünde die zeit still“), sondern die Poeme scheinen, wenn sich schon Vergleiche aufdrängen, eher der Poetik Friederike Mayröckers näher zu sein, etwa deren „Lob des Fragments“, besonders die Mayröcker-Dedikation „Das Lesen abgetragener Jahrzehnte“. Aber Harter findet souverän ihren eignen Stil: sie rundet weniger als vordem, setzt in der Folge ihrer Bilder harte Schnitte, auch Abbrüche: am Ende oft ein lapidarer Beistrich. Zusammen mit den dynamischen Brechungen in Syntax und Semantik schafft sie ihren unverkennbaren Rhythmus, ihre spezifische Sprachführung und die Kraft dieser Sprache. Ihre Gedichte wollen nicht entschlüsselt werden, sie stoßen Assoziationen an, die von Wort, Klang und Versbau evoziert werden. Disparate Ereignisse und Sinneswahrnehmungen erfahren keinen gerichteten Aufbau, die Autorin vertraut zu Recht dem Kombinationspotential ihres Materials, ihre Texte bewegen sich ins Offene, bleiben allesamt Fragmente. Neben der dunklen Poesie der Doors und Radiohead ist ihr der Maler Edward Hopper ein wichtiger Bezugspunkt: „zitate einer längst … abgeschriebenen blütezeit: hopper“. Genau wie dieser zeigt Sonja Harter den auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen („hocke im keller mit den zeilen, / im dunkeln, weiß niemanden anzurufen“), den Schmerz der unüberwindlichen Distanz zum Anderen, fokussiert Momente, in denen alles in Frage steht, besonders die Liebe. Das Bewusstsein um deren Nicht-Gelingen, deren Reglementierung („einordnen von umarmungen“) und Kalendarisierung  (zeitversetzt, / deine kalenderanrufe“) sowie um die Verletzungen der „schattenliebe“ verhindert jedoch nicht das unbedingte Begehren („den absoluten orgasmus verlangen“, „einmal so richtig liebe machen“): es ist neben dem steten Schmerz des Abschieds auch Kraft dieser nachdrücklichen Sehnsuchtszeichen, die Sonja Harters Lyrik nicht nur ansprechend machen, sondern sich Zeile für Zeile in den Leser einsprechen.
Günther A. Höfler

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