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Die Zeitung bezahlt
Freitag, 6. Juni 2008
Kopfzeile - von Martin Novak

Das ist eine Anleitung zur korrekten Behandlung von Journalisten  – als Gratisservice für Politiker, Sport- und Kulturveranstalter, Autoimporteure, Reisebüros, andere Unternehmer und Lebensabschnittspartner.

1. Sind Sie zum Beispiel Politiker und wollen auf einer Auslandsreise von Medienvertretern begleitet werden, ist das okay. Zeitungen tun das. Aber kommen Sie nicht auf die Idee, Flugtickets oder Hotelzimmer bezahlen zu wollen: Die Zeitung trägt die Kosten.
Falls Sie sich mit einem Journalisten zum Essen treffen, wählen Sie den Ort sorgfältig: Es sollte einer sein, wo die Zeitung bezahlen kann.
2. Laden Sie nie einen Journalisten zu einem Fußballspiel oder zu den Salzburger Festspielen ein  – außer er berichtet darüber und es handelt sich um Veranstaltungen, für die üblicherweise Pressekarten erhältlich sind. Jedenfalls muss es sich bei den Empfängern um Sport- oder Kulturjournalisten handeln. Aber bitte keine EURO-Karten für Kulturjournalisten und keinen Otello für Sportreporter.
3. Schenken Sie einem Journalisten unter keinen Umständen etwas. Zumindest nichts, das mehr wert ist als 16 Euro. Ihr Häferl mit Firmenlogo wird er vielleicht annehmen.
4. Wenn Sie einen Journalisten als Referenten einladen wollen, dürfen Sie das tun. Sie müssen aber wissen, dass die Zeitung die Kosten trägt und kein Honorar akzeptiert wird.
5. Bieten Sie dem Journalisten keinen Testwagen an, außer die Zeitung kann die marktüblichen Mietkosten bezahlen. Nur bei Rennautos, Oldtimern und Militärfahrzeugen, die sie nicht mieten kann, drückt die Zeitung ein Auge zu.
6. Laden Sie Reisejournalisten niemals zu kostenlosen Pressereisen ein. Niemals würde er kostenlose oder auch nur verbilligte Leistungen von der Tourismuswirtschaft akzeptieren. Nicht einmal gegen Bezahlung wird er Ihre offizielle Einladung annehmen: Um einen Reisebericht schreiben zu können, muss er seine Erfahrungen unter den selben Bedingungen machen wie ein normaler Tourist oder Konsument, verlangt die Zeitung.
7. Kommen Sie nie auf die Idee, für ein Interview (selbst wenn Sie Osama bin Laden sind) oder die Herausgabe eines Geheimdokument Geld zu verlangen  – die Zeitung würde für Interviews und unveröffentlichte Dokumente niemals etwas bezahlen.
8. Seien Sie nicht enttäuscht, wenn der Journalist sich nicht über den Preis freut, den sie ihm verleihen wollen. Ungebetene Preise von Institutionen, die nicht strengen Kriterien entsprechen, werden freundlich zurückgewiesen.
9. Wenn Sie mit einem Journalisten oder einer Journalistin zusammenleben, müssen sie damit rechnen, dass eine der beiden Karrieren eine ungeplante Richtung nehmen kann. Die Zeitung verpflichtet sie, jeden Anschein eines Konflikts zu vermeiden.

An diesen strengen Regeln sollten sich Politiker, Ärzte, Richter und Beamte ein Beispiel nehmen. Vielleicht auch Journalisten, die nicht bei der New York Times beschäftigt sind. Denn aus deren Regelwerk stammen die Zitate. „Das meiste gehört zum Common Sense“ bewertet ein NYT-Redakteur die Restriktionen gegenüber der deutschen „Welt“. Aber unter uns Autotestern und Reiseredakteuren: Ein bisserl deppert sind die Amis schon  –  negative Reiseberichte und Verrisse neu auf den Markt gekommener Autos kann man ja auch so schreiben.


Alle kursiv geschriebenen Textteile aus: „Ethical Journalism. A Handbook of Values and Practices for the News and Editorial Departments“ der New York Times.

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