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Alle zehn Jahre wieder oder: Wie ich potenzielle KundInnen vertreibe |
Sonntag, 11. Mai 2008 | |
WoWagners Gartenlaube fortschrittlichen Schrifttums Seit nunmehr einem Monat zolle ich dem 68er-Jahrestag Tribut, indem ich von meiner Auslage aus ein paar Publikationen zu dem Thema in die Welt hinausstrahlen lasse. Die Folge ist, dass ich damit erheblich mehr verzwickte und ablehnende Gesichter hervorrufe, als ich ignorieren kann. Sollte mein Laden „den Löffel abgeben“, hat meine 68er-Auslage sicher ihren Teil dazu beigetragen. Allzu sehr erstaunt mich dies nicht. Als ich 1978 bewusst das erste 68er-Jubiläum erlebte, hörte ich nicht nur von sehr erschreckenden und anziehenden Dingen wie der „freien Liebe“, Drogen (Rock kannte ich schon), Straßenkampf und Ähnlichem, sondern erfuhr gleichzeitig vom totalen Scheitern dieses eigenartigen und verstörenden Durcheinanders, und zwar in nahezu jeder Hinsicht. Ein Muster wurde erkennbar. Im Regelfall wird aufwändig und geschäftsträchtig über ein Phänomen berichtet, das in seiner faszinierenden Bündelung gesellschaftsverändernder Aktionen und Lebensversuche eigentlich ein einziger Riesenirrtum gewesen sein soll. Darüber hinaus habe das Ganze nicht allzu viel bewirkt, war ohnehin nur ein Aufbegehren von mittelständischen Jugendlichen. In neuerer Zeit wird immerhin eingeräumt, dass die Ökologiebewegung direkt aus 68ff. herausgewachsen ist. Ah ja – und die Frauenbewegung, die Friedensbewegung, die verschiedenen Bürgerrechtsbewegungen ... das nimmt ja kein Ende! Aber „die Alt-68er“ sind ohnehin schon alle tot oder angepasst oder gar Regierungs- und Konzernchefs – oder doch nicht? Aber werden nicht alle zehn Jahre irgendwelche bekehrte frühere Radikale vorgeführt, die einräumen, dass sie damals Deppen gewesen sind, fast schon faschistisch in ihrer Verblendung? Gott sei Dank hätten sie gerade noch rechtzeitig die Kurve gekratzt und seien nun normal und sogar erfolgreich. Außerdem – und das scheint die wichtigste Botschaft zu sein – ist „so etwas heutzutage auf gar keinen Fall mehr möglich“. Ein Problem gibt es allerdings noch: die „Verklärung“, von der ich im Laufe der Jahrzehnte nicht viel bemerkt habe. Sollte meine Einschätzung, dass die „Aussteiger“ mehr waren als unreflektierte, apolitische Halbdebile, unbegabte Bauern oder gar die „Avantgarde des Massentourismus“ schon verklärend sein? In diesem Sinne empfehle ich hier das überaus sehenswerte Buch zum Prototyp der Kommunen in Deutschland, der K1. Das Buch ruft Ambivalenz hervor, insbesondere wenn man die Zeittafel am Ende beachtet, in der sich politische neben kommunen- bzw. beziehungsinternen Ereignissen finden. Zitat: „15. Februar 1969: Uschi ist eifersüchtig auf Langhans’ Freizügigkeit und fliegt nach London zu Jimi Hendrix ...“ (S. 192). Schnittstellen und Widersprüche werden sichtbar – und das ist gut so. Rainer Langhans und Christa Ritter: K1, Das Bilderbuch der Kommune. Blumenbar 2008, Preis 25,60 Euro. Zeitgleich erschien auch die Autobiografie von Langhans: Ich bin’s, die ersten 68 Jahre. Blumenbar 2008, Preis 20,50 Euro Rainer Langhans, geb. am 19. Juni 1940, lebt als Autor und Filmemacher seit 1976 in München-Schwabing. Mag. Wolfgang Wagner, Jg. 1963, Germanist, Autor, Aktivist und Sozialpädagoge führt seit Juli 2006 den Buchladen „Wendepunkt“ in der Josefigasse 1, 8010 Graz, Tel/Fax 0316/ 76 52 44, WoWagner@gmx.at
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