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Die Institution als Institution und Anti-Institution in einem
Samstag, 10. Mai 2008
Von Christian Eigner und Michaela Ritter

Mario Erdheim, Mitbegründer der Ethno-Psychoanalyse, kreierte Anfang April in einem Vortrag die Formel „Institution = Todestrieb“. Er wollte damit inspirieren – was ihm souverän gelang.

Institutionen sind in Theorie wie Praxis wieder schick geworden. Wohl auch deshalb, weil sie – allen superliberalen Phantasien vom superautonomen Subjekt zum Trotz – mehr als Freiheit oder Vereinzelung den Lebensalltag der meisten Menschen bestimmen: Kaum eine Stunde, in denen man in der westlichen Welt nicht mit öffentlichen oder auch privaten Institutionen (zu denen auch etwa große AGs und Publikumsgesellschaften zu zählen sind) zu tun hat; Institutionen sind faktisch überall.

Sicherheit und Einschränkung. Was eine Institution ist, lässt sich dabei gar nicht so einfach bestimmen. Auf jeden Fall kennzeichnen sie Regeln, die dafür sorgen, dass sich bestimmte Prozesse und Abläufe regelmäßig wiederholen; und zwar unabhängig davon, wer die Institution gerade leitet. Institutionen haben sich von ihren Gründern abgelöst und werden in ihrer Eigendynamik eher verwaltet als geführt – wie schon so mancher engagierte Reformer mit Enttäuschung feststellen musste. Sie haben etwas von Maschinen, die sich der Produktion von Sicherheit und Verlässlichkeit (im Sinne eines relativ stabilen Gefüges, das regelmäßig ähnliche Entscheidungen hervorbringt) verschrieben haben. Weshalb sie einerseits geschätzt werden (vor allem von jenen, die in Ländern den Zusammenbruch von Institutionen oder ganzen Institutionengefügen erleben mussten), andererseits aber auch stets den Groll jener auf sich ziehen, die in ihnen arbeiten oder ihren Effekten ausgesetzt sind. Schließlich bedeutet die Produktion von Wiederholung auch Einschränkung spontaner Lebendigkeit. Und das fühlt sich bekanntlich weniger angenehm an.

Subjektive Erklärungen für objektive Phänomene greifen zu kurz. Institutionen kennzeichnet aber noch etwas: In ihnen läuft es so gut wie nie rund. Irgendwo „knartscht“ und kracht es immer; entweder klappt das Zusammenspiel zwischen bestimmten Positionen nicht oder es liegen gleich ganze Prozessketten im Argen. Wenn dann auch noch die Atmosphäre schlecht ist, fühlen sich Akteure wie „Besucher“ der Institution nur allzu rasch an Franz Kafkas Roman „Das Schloss“ erinnert, in dem man hilflos und durch unspezifische Mächte bedroht zur sinnlosen Existenz wird.
Die Ursachen für diese Probleme werden in der Regel bei schlecht designten Abläufen, Rollen und anderen Faktoren gesucht, die sich rational verwalten lassen. Oder bei der Unfähigkeit und Irrationalität einzelner Institutions-Mitglieder, die „ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind“, wie es heute neutral und höflich heißt.
Allerdings sind diese Erklärungsmodelle für das regelmäßige und kontinuierliche Ächzen von institutionellen Gefügen wenig überzeugend. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich ausgerechnet in Institutionen alle Unfähigen und Irrationalisten dieser Welt treffen, ist äußert gering. Wie es auch wenig überzeugend ist, dass nur alle zig tausend Mal ein Institutionen-Design gelingt und ansonsten eben immer schlecht gearbeitet wurde: Die Quellen des Übels dürften an anderer Stelle zu suchen sein.
Konkret in den Substrukturen der Institution, in ihrem „Unterboden“, in ihrem „Unbewussten“, wie das heute zunehmend ganz psychoanalytisch formuliert wird.

Institution = Todestrieb. Inspiration für die Auseinandersetzung mit dieser im genannten Zusammenhang eher unscharfen Größe liefert hierbei die Psychoanalyse genug. Speziell die Ethno-Psychoanalyse hat sich über mehrere Jahrzehnte hinweg nun schon mit der Produktion von Unbewusstem oder „Unbewusstheit“ in größeren wie kleineren sozialen Zusammenhängen beschäftigt. Weshalb ihr Wissen für die Auseinandersetzung mit Organisationen wie Institutionen besonders hilfreich ist. Vor allem dann, wenn sich Vertreter der Ethno-Psychoanalyse weit hinaus wagen und Denkhorizonte eröffnen, die nicht unbedingt zu den Alltagsfeldern digitaler Lebenswelten gehören.
Wer das unlängst in der „Neuen Galerie Graz“ auf Einladung des „Grazer Arbeitskreises für Psychoanalyse“ tat, war der Schweizer Mario Erdheim, einer der Mitbegründer der ethno-psychoanalytischen Denkrichtung. In einem dichten Vortrag arbeitete er sich schließlich zu der Formel „Institution = Todestrieb“ hin, die nur auf den ersten Blick hin rätselhaft erscheint – haben doch Institutionen immer auch etwas fürchterlich Lähmendes und Blockierendes an sich, das der Begriff des „Todestriebs“ direkt anspricht.
Doch Erdheims Formel ist noch viel subtiler zu verstehen. Er gewinnt sie aus der Lektüre der beiden Freud-Klassiker „Jenseits des Lustprinzips“ und „Massenpsychologie und Ich-Analyse“, die der Begründer der Psychoanalyse zeitgleich schrieb. In beiden geht es um Mechanismen, die die Bewegung hin zu unspezifischen Zuständen vorantreiben; ergo zu Zuständen, die tote Materie kennzeichnen. In „Jenseits des Lustprinzips“ führt das zur Konzeption des „Todestriebs“, der dafür sorgt, dass das Individuum um frühere, alte, weniger ausdifferenzierte (Seelen-)
Zustände ringt; in der „Massenpsychologie“ zum Bild der „Masse“ oder „Institution“, in der das Individuum seine Individualität und Eigenheit zugunsten eines sehr unspezifischen Teil-Seins-von-einem-Ganzen-und-Großen verliert. Was eben auch jene von Erdheim präsentierte Gleichsetzung von Todestrieb und Institution erlaubt; als Mechanismen der Entdifferenzierung, die zu lebenden Systemen dazu gehören.

Die Institution verdrängt den Todestrieb. Weitergedacht bedeutet das aber nichts anderes, als dass jede Institution zwar Wiederholung sichert, zugleich aber mit ihrem „Todestrieb“ die Tendenz haben kann, die Sinnhaftigkeit dieser Sicherstellung von Wiederholung in Frage zu stellen. Was speziell passieren wird, wenn die Institution im gesamtgesellschaftlichen Gefüge eigentlich mit ihrer Wiederholung die Ausdifferenzierung der Gesellschaft und ihrer Akteure vorantreiben soll (was z.B. jedes moderne Gerichtswesen mit seinem komplexen Gesetzessystem tut): Es wird sich dann die Frage stellen, wozu diese Ausdifferenzierung nach außen mit ihrer Stärkung des Subjekts voranzutreiben ist, wenn intern doch das Gegenteil erfolgt, nämlich eben eine Reduktion von Differenzierung und Differenz, ein Abbau von Individualität (= Todestrieb).
Diese Paradoxie ist für jede Institution einer modernen Gesellschaft kennzeichnend, weshalb in ihr der Todestrieb verdrängt werden muss. Oder (die Erdheim’sche Formel nutzend) anders formuliert: Jede Institution muss das Faktum, dass sie eine Institution ist, ins Unbewusste abschieben. Was in der Tat passiert und sich u.a. darin zeigt, dass niemand weniger den „Institutionen“-Begriff nutzt als Institutionen selbst. Oder auch niemand lieber eine nette  durch Freundschaftsbande gebundene Kleingruppe simuliert als Abteilungen von Großinstitutionen.

Symptomkuren bleiben wirkungslos. Mit dieser Verdrängung des Instititutionen-Charakters ist allerdings jede Institution automatisch immer beides – Institution UND Anti-Institution. Wie in ihrem Verhalten nur allzu deutlich wird: Regeln und Abläufe werden erzeugt, forciert – und zugleich unterlaufen. Woraufhin umgehend wieder der Ruf nach einer Verbesserung der Abläufe erfolgt, der aber nur allzu oft ein Ruf bleibt, weil es weniger das „Bewusstsein“ der Institution als vielmehr das Unbewusste derselben mit seinem verdrängten Institutionen-Charakter ist, das sich hier zu Wort meldet. Und jenen Organisationsentwicklern zur Falle wird, die meinen, mit neu designten Abläufen „das Problem“ in den Griff bekommen zu können.

Elegant lässt sich auf der Basis von Erdheims Überlegungen also die Frage beantworten, weshalb Institutionen so eigenartig und mühsam sind und eine solch überaus starke „Beratungs-Resistenz“ aufweisen. Freilich ist damit noch nichts gewonnen, wenngleich auch denkbar wird, wie sich klug mit Institutionen umgehen lässt, nämlich eben „psychoanalytisch“: Wo das Unbewusste eine solch gewichtige Rolle einnimmt, muss es auch in die Institutionen-Arbeit inkludiert werden.

Doch das ist wiederum ein ganz eigenes Thema – jenseits des Todestriebs.


Christian Eigner und Michaela Ritter betreiben in Graz das „Büro für PerspektivenManagement“, das sich u.a. auf psychodynamisch-systemische Organisationsentwicklung spezialisiert hat.

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