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Alternativen: „Was fehlt, ist die Vorstellung davon, wie es anders sein könnte“
Samstag, 10. Mai 2008
Alternativen sind wieder gefragt: Beim äußerst gut besuchten „Alternativenkongress“ Anfang April im Grazer FORUM Stadtpark – Anlass war die Präsentation des soeben erschienenen Buches „ABC der Alternativen“ (siehe Rezensionsteil) – kamen AktivistInnen und WissenschafterInnen aus verschiedensten Bereichen zusammen; von VertreterInnen lokaler Arbeitsloseninitativen bis zu international renommierten ExpertInnen waren Menschen vertreten, die eines einte: Die Ablehnung des Status quo des neoliberalen Ungerechtigkeits-Regimes.

Weniger einheitlich waren die vorgeschlagenen Alternativen – denen es zudem zumeist an radikal-realistischen system-überschreitenden Perspektiven mangelte.
Darüber sprach Christian Stenner am Rande des Kongresses mit dem Frankfurter Emeritus der Politikwissenschaft Joachim Hirsch, Autor u.a. einer Reihe von international rezipierten Arbeiten zur Zukunft von Staat und Demokratie im Zeitalter der Globalisierung.

Sie haben gerade zum Thema „Die Welt verändern, aber wie?“ diskutiert. Man gewinnt den Eindruck, dass diejenigen, die meinen, sie wollten die Welt verändern, gewaltige Artikulationsschwierigkeiten haben, wenn’s konkret wird. Wenn etwa der deutsche Banker Ackermann angesichts der Bankenkrise nach dem Staat ruft, der die Finanzinstitutionen retten soll, findet sich auf der Linken kaum jemand, der diesen aufgelegten Ball aufnimmt, die Legitimität des Finanzkapitals grundlegend in Frage stellt und systemüberschreitende, eben weltverändernde Vorschläge macht.
Es gibt die Erfahrung, dass Krisen keine besonders gute Grundlage für gesellschaftliche Alternativen darstellen, die demoralisieren erst mal. Man kann das daran sehen, dass emanzipatorische Bewegungen in konjunkturell besseren Situationen entstanden sind, wo die Menschen auch mehr Freiheit haben sich den Kopf zu zerbrechen. Und, schlicht ausgedrückt, weniger Angst haben.
Zum anderen fehlen zum Teil einfach die konkreten Vorstellungen, wie eine andere Gesellschaft aussehen soll. Da würde ich auch nicht mit den Banken anfangen, sondern bei den einfacheren Dingen des Lebens, bei der sozialen Sicherung, bei der Frage, was Arbeit bedeutet und welche Arbeit wichtig ist.

Man könnte es aber auch so sehen: Die spekulierenden Banken werden durch Staatsgelder gerettet, u.U. kommt es dadurch zu einem inflationären Prozess, der auf Kosten der kleinen Leute geht – ganz abgesehen vom Gerechtigkeitsaspekt: Große Spekulanten werden mit öffentlichen Geldern gerettet, der kleine „Modernisierungsverlierer“ kann sehen, wo er bleibt. Das ist doch ein ideales Topos für aufklärende Argumentation.
Es hat sich ja schon was verändert: Für eine bestimmte Zeit hat der Erfolg der neoliberalen Strategie auch darauf beruht, dass ihre Versprechen von vielen Menschen geglaubt wurden – wenn dereguliert wird, hieß es, dann geht es allen besser, weil dann die Preise sinken. Das glaubt niemand mehr. 80% der Bevölkerung sind von der Ungerechtigkeit dieser Maßnahmen überzeugt und wissen, dass sie selbst nicht davon profitieren – darum hört man diese Versprechungen auch nicht mehr. Was fehlt, ist die Vorstellung davon, wie es anders sein könnte. Und da gewinnt der Ausspruch von Thatcher, dass es keine Alternative gebe, eine ganz andere Bedeutung: Was sie noch positiv meinte, ist heute negativ konnotiert, im Sinne von: Was soll man denn tun, als die Banken zu retten, damit nicht alles zusammenbricht und alle ihre Arbeitsplätze verlieren? Auch wenn allen inzwischen klar ist, dass das Geld, das die Banken bekommen, ihr Steuergeld ist.

Sie sind sehr skeptisch, was die Rolle des Staates angeht. Nun fordert etwa ATTAC, bestärkt durch die aktuelle Finanzkrise, eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte – ist das Ihrer Ansicht nach eine falsche Strategie, weil sie den Glauben an den Staat stärkt?

Zunächst: Deregulierung im Finanzbereich bedeutet, dass die Staaten dem Kapital mehr Spielraum lassen – und das ist in Wirklichkeit eine Form von Regulierung. In der jetzigen Krise, die das System in der Tat bedroht wie jene in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, rufen die Deregulierungsprofiteure selbst wieder nach mehr Regulierung, um die bestehenden Verhältnisse zu retten. Insofern ist der Ruf nach mehr staatlicher Regulierung alleine erst mal nicht ausreichend, bei ATTAC steckt dahinter die Vorstellung, der Staat sei eigentlich dem Gemeinwohl verpflichtet. Davon, finde ich, sollte man Abstand nehmen. Veränderungen müssen auf einer anderen Ebene stattfinden. Noch einmal: Ich bin nicht gegen Konsolidierung, weil ich nicht glaube, dass Krisen fortschrittliche Bewegungen stärken. Aber: Das sind defensive Forderungen, wenn man über Veränderungen nachdenkt, muss man auf einer ganz anderen Ebene ansetzen.

Sie halten morgen hier noch ein Seminar über eines ihrer zentralen Themen, nämlich das Ihrer Ansicht nach nahende Ende der liberalen Demokratie. Die Behauptung, 89/90 habe die Demokratie über den Totalitarismus gesiegt, haben Sie wiederholt kritisiert – das Gegenteil sei der Fall, die „Wende“ im Osten markiere gleichzeitig die Niederlage der liberalen Demokratie im Westen.
Die neoliberale Strategie war in erster Linie ein Angriff auf die Demokratie. Bis in die 70er Jahre hatten sich in größeren Teilen der Welt wohlfahrtsstaatliche Verhältnisse durchgesetzt, die sich mehr und mehr als Hindernis für die Kapitalverwertung erwiesen – die wollte man also beseitigen. Das geht nicht demokratisch, es bedarf eines Staatsstreichs, wenn man so will. Und der hat auch stattgefunden, und zwar in einer doppelten Weise, nämlich auf der einen Seite durch Deregulierung und damit Freisetzung der Weltmarktkonkurrenz, daraus folgt die Standortpolitik, daraus wiederum Kapitalverwertung als erste politische Priorität, die sich alle anderen Politikfelder unterordnet.
Die zweite Form der Strategie war die Internationalisierung, also die Verlagerung politischer Entscheidungen, unter anderem auch in die EU – das ist ein Paradebeispiel dafür –, die weitgehend frei ist von institutionalisierten demokratischen Prozessen. Damit konnte ein politisches Institutionen- und Entscheidungssystem etabliert werden, das von nationalen, demokratischen Institutionen praktisch kaum mehr berührt wird. Und das war das, vielleicht unbewusste, eigentliche Ziel der neoliberalen Neustrukturierung, danach ist nämlich alles möglich. Wenn nationale Demokratien ausgeschaltet werden …

… und es keine supranationalen gibt …
Das ist der entscheidende Punkt: Wie schafft man demokratische Strukturen auf internationaler Ebene, wo die meisten Reformen nicht greifen. Das ist in der EU noch eher einfach, da gibt es staatsähnliche Strukturen, da gibt es auch Demokratisierungsansätze, aber weltweit gibt es die nicht und da müssen wir ganz neue Formen der Demokratie finden.

Sie charakterisieren die Degeneration der politischen Parteien als eine zentrale Begleiterscheinung des Demokratieabbaus: Diese seien nicht mehr wie früher Transmissionsriemen der Interessen ihrer Wählerschaft in die parlamentarischen Gremien, sondern dienten umgekehrt dazu, aus angeblichen wirtschaftlichen Sachzwängen a priori  getroffene Entscheidungen gegenüber ihrer Klientel zu legitimieren. Ein Musterbeispiel dafür scheint mir die Verweigerung einer Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag zu sein – stattdessen gab es „Informationsveranstaltungen“ vor der Ratifizierung im Parlament. Allerdings fragen sich viele Linke v.a. in Österreich, ob sie angesichts einer stark rechts dominierten Front gegen den Reformvertrag überhaupt gegen diesen auftreten sollen.
Richtig ist, dass der Reformvertrag im Grunde genommen gegenüber dem alten Verfassungsvertrag nur verbale Zugeständnisse macht. Weiterhin kann man sagen, wenn Rechte und radikale Linke sich gleichermaßen kritisch gegenüber etwas äußern, muss das kein Schaden sein – sie tun es ja aus anderen Gründen.
Trotzdem glaube ich, dass das Beharren auf der Frage des Reformvertrags zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich nicht weiterführt. Jetzt kommt es darauf an, ganz konkrete weitergehende Forderungen zu stellen und Kritik an der Militarisierung, an den Außengrenzen, an der Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik zu äußern, die ganze Konstruktion EU permanent wieder zur Debatte zu stellen und zu fordern, dass sich ihre Politik grundlegend ändert.

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