Es gibt bisher noch keine Kommentare.
Die Zeitung ist ethisch |
Samstag, 10. Mai 2008 | |
Kopfzeile von Martin Novak Grundsätzlich sind Österreichs Medien bestechlich und weniger frei als die Lettlands. Konkret veröffentlichen sie aus ethischen Gründen verfremdete Computersimulationen. Der Gratiszeitung „Heute“ sei Dank. Nach deren Veröffentlichungen geheimer Kampusch-Akten kam so etwas zustande wie eine mediale Debatte um die Medienethik. Sogar die im Vorjahr gegründete Leseranwaltschaft brachte sich per Presseaussendung in die Diskussion ein und forderte „eine wirkungsvolle, auf breiter Basis stehende, unabhängige Selbstkontrolle“. Was jetzt ein bisschen verwirrend ist, den genau das ist ja die Leseranwaltschaft laut Selbstdefinition auf der eigenen Website. Gut, von „wirkungsvoll“ steht dort nichts, aber auch die Stellungnahme zur Kampusch-Berichterstattung, immerhin die erste signifikante Aussage der Institution seit Bestehen, war auf dieser Website zwei Wochen nach Veröffentlichung noch nicht zu finden. Da kann man sich schlecht als wirkungsvoll bezeichnen. Zur Berichterstattung über den Inzest-Fall von Amstetten gab es dann keine Stellungnahme der Leseranwaltschaft mehr, aber immerhin hat dieses Ereignis die Debatte darüber, was Medien dürfen, wieder kurzfristig entfacht. Kurzfristig, das ist das Problem. Medien brauchen saftige Anlässe, um ihr Augenmerk auf Grundsätzliches zu legen. Man kann es ja nicht einmal verdenken. In diesem April 2008 gab es in Österreich mit der Unterzeichnung des EU-Reformvertrages und dem Nationalratsbeschluss zur Mindestsicherung zwei Ereignisse, die in 20 Jahren vermutlich in den Geschichtsbüchern für AHS-Oberstufenschüler ihren Niederschlag finden werden. Aber die öffentliche Aufmerksamkeit fand stattdessen das halbweiche Verbot der Mobiltelefonie in Grazer Straßenbahnen und Bussen. Wobei einige Medien sich wirklich um angemessene Berichterstattung bemüht haben, nur die Zeitungskonsumenten haben einfach darüber hinweggelesen. Das frustriert auch den engagiertesten Journalisten. Es erklärt aber auch einiges: Im Dezember des Vorjahres veröffentlichte Transparency International die Österreich-Ergebnisse des „Global Corruption Barometer“: Demnach stehen die Medien in der Einschätzung der Bevölkerung auf diesem Korruptionsindex ganz oben, nur geschlagen von den politischen Parteien. Grundsätzlich wäre das schon eine Diskussion wert, aber welche Leser haben schon praktische Erfahrungen mit dem Bestechen von Medien? Telefonieren tut man doch öfter. Auch, dass Österreich im Welt-Pressefreiheits-Index 2007 der „Reporter ohne Grenzen“ nur an 16. Stelle liegt, hinter Estland, Lettland und der Slowakei, könnte zu denken geben. Aber eine Diskussion um den Zustand der Pressefreiheit wäre wohl auch zu abstrakt, um die Leser für das Thema zu begeistern. Da ist eine Tageszeitung wie „Österreich“ schon konkreter. Sie veröffentlicht ein per Computersimulation gealtertes Jugendfoto des Inzestopfers von Amstetten. Allerdings, wie die Zeitung versichert, so verfremdet, dass die betreffende Person nicht zu erkennen ist. Das ist jetzt allerdings kein Beispiel angewandter Medienethik, sondern schwer nachvollziehbarer Medienlogik. Warum veröffentlicht die Zeitung eine Simulation, die vorsätzlich so verfälscht wurde, dass sie nicht die Wirklichkeit wiedergibt? Da gibt es nur eine Erklärung: Sie will beweisen, dass sie böse sein könnte, aber freiwillig darauf verzichtet. Das wäre nun aber wirklich nicht notwendig gewesen: Wer wäre je auf die Idee gekommen, „Österreich“ könne einen Grundsatz der Medienethik verletzen wollen? Nicht einmal die Kronenzeitung.
» Keine Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.
» Kommentar schreiben
Nur registrierte Benutzer können Kommentare schreiben.
Bitte melden Sie sich an oder registrieren Sie sich. |
< zurück | weiter > |
---|