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Umstände und Widerstände – Frühlingsvorlesung von Doron Rabinovici |
Dienstag, 8. April 2008 | |
Im Unterschied zur Revolution steht beim Widerstand gegen die Staatsgewalt nicht die Utopie im Zentrum, sondern die Rückkehr zu einem Recht, das über den Gesetzen steht. Rebellische und konservative Motive liegen nahe beieinander. Am Abend des 1. Februar 2000 kamen etwa zweihundert Menschen vor dem Parlament in Wien zusammen, wo Wolfgang Schüssel und Jörg Haider eine Pressekonferenz anlässlich ihrer vereinbarten Koalition gaben, während die Demonstration nah einem Nebeneingang des Parlaments einem skurril absurden Szenario glich: Ein Staatspolizist notierte den Wortlaut erster skandierter Parolen. Als einige Demonstranten dies bemerkten, erfanden sie sofort weitere Slogans und sagten diese in zunehmend schnellerem Tempo auf, schneller, als der Beamte in Zivil mitschreiben konnte. Darauf begann eine Demonstrantin mit einem Schlüsselbund zu klingeln und andere folgten. Den meisten der jungen Leute dürfte dabei die Symbolkraft dieser Geste nicht bewusst gewesen sein, die aus den späten 1980er Jahren stammte, als eine Menge auf dem Prager Wenzelsplatz mit ihren Schlüsselbünden den damaligen Machthabern bedeutete, dass ihre Stunde nun wohl geschlagen hatte. Die Wiener Demonstranten dagegen richteten ihren Protest gegen eine Politik hinter verschlossenen Türen, während die Hoffnung auf eine politische Neukonstellation nur marginal gewesen sein dürfte, was die folgenden Jahre bestätigten. An diesem Abend, erinnert sich der damals an der Demonstration beteiligte Schriftsteller, Essayist und Historiker Doron Rabinovici, sei zum ersten Mal der Ruf „Widerstand“ skandiert worden. Ein Statement, das auch mit den bald regelmäßig abgehaltenen Donnerstagsdemos nicht mehr als ein Zeichen der Unzufriedenheit bleiben sollte. Parole „Widerstand“. Auf Einladung der Akademie Graz hielt der 1961 in Tel Aviv geborene und seit 1964 in Wien lebende Doron Rabinovici die schon traditionelle Frühlingsvorlesung an drei Abenden im Kulturzentrum bei den Minoriten. Von den verschiedenen Formen des Widerstandes referierte Rabinovici unter dem Titel Der ewige Widerstand; zentral setzte er sich mit Fragen um den Widerstand im Dritten Reich auseinander. Speziell das österreichische Engagement ging dabei nicht von einer einheitlichen Bewegung mit gemeinsamen Strategien aus, jedenfalls aber agierten diverse Gruppen in Österreich unabhängig von anderen im so genannten Altreich. Die österreichischen Widerstandsgruppen – und Rabinovici nannte als größte die Kärntner Partisanen, denen gleichwohl Fememorde noch nach Kriegsende anzulasten sind – wurden nur in geringem Maß von ihren Landsleuten unterstützt. In einem Umfeld von Mitläufern, Spitzeln und Denunzianten beziehungsweise Amtsträgern des Regimes kämpften sie für eine Heimat, die aus dem Feindesland erst wider hervorgehen musste. Mit der Parole „Widerstand“ des Jahres 2000, differenziert Rabinovici, war eine Überidentifikation verbunden, die antifaschistische Werte einmahnen wollte und so Teil eines Problems wurde, als dessen Lösung sie sich ausgab. Aber nichts, setzt er dem entgegen, was sich heute auf antinazistischen Widerstand beruft, ist mit ihm gleichzusetzen: Zeit und Umstände sind schlicht neu und erfordern neue Lösungen. Bei aller Wertschätzung grundsätzlicher Haltung geschieht hier doch ein unsensibler Verstoß, der dem lockeren Umgang einer jungen Generation mit historischen Zitaten, einem unreflektierten Faible für Retromode oder Musik aus Samples entspricht. Mutmaßungen einer Entwicklung. Die Diskussion des politischen Widerstandes nimmt ihren Ausgang in der Aufklärung. Eine durchaus plausible Hypothese sind die Erfahrung und das Wissen um naturwissenschaftliche Phänomene wie elektrischen Widerstand oder magnetisches Feld, welche in die theoretische Auseinandersetzung derselben Protagonisten in Bezug auf politischen Widerstand führte. Thomas Hobbes verwendet in seiner 1640 verfassten Schrift zu Naturphilosophie und Staatsrecht resistance sowohl für Rebellion als auch für die Reaktion des Gehirns auf das Licht. Friedrich Wilhelm August Murhard (1778-1853) – Rechtsgelehrter, Mathematiker, Schriftsteller und Bibliothekar in Kassel – veröffentlichte zunächst naturwissenschaftliche Arbeiten, bald wurde ihm aber vorgeworfen, ein Plagiator zu sein. Nun kaprizierte er sich in seinen folgenden Schriften auf Themen der Volkssouveränität und gegen die Fürstenmacht, was ihn mehrfach, und dazu wegen Majestätsbeleidigung, ins Gefängnis brachte. Wiederum kam er in den Ruf, ein Kompilator zu sein. Egon Friedell hätte hier wahrscheinlich mit seiner Auffassung pariert, ein Wesenszug des Genies sei die umfassende Kenntnis relevanter Literatur und nur das Genie sei in der Lage, themenadäquat entsprechend eigenem Verständnis neu zu kompilieren, was ohnehin bekannt sein sollte (aber eben nicht ist). 1832 jedenfalls erschien Murhards Über Widerstand, Empörung und Zwangsübung der Staatsbürger gegen die bestehende Staatsgewalt in sittlicher und rechtlicher Beziehung. Rabinovici vermutet hier eine Beziehung zwischen Murhards naturwissenschaftlicher Auseinandersetzung und dem Prinzip Widerstand, das sich mehr und mehr in der öffentlichen Debatte als Terminus politischer Agitation durchsetzte. Dass Widerstand nicht nur ein historisches Phänomen ist und Überschneidungen und Differenzen zu Terror (wie wäre Widerstand um Robespierre zu diskutieren?) und Revolution bestehen, wird wohl auch Inhalt der Publikation in der Reihe Bibliothek der Unruhe und des Bewahrens (Styria) sein, die voraussichtlich im Juni erscheint. Vielleicht ist dann bei Rabinovici auch zu lesen, dass die Voraussetzung für Widerstand eine individuell praktizierte Skepsis gegenüber Information sein müsste, die ohnehin alles Dogmatische zunächst in Zweifel zieht. Wenzel Mraček
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