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Killerprinzip – Zum Oscargewinner „No Country for Old Men“ |
Mittwoch, 12. März 2008 | |
Das Räsonieren über Gewalt im Film ist ein alter Hut. So alt, dass er bereits ziemlich „speckig“ ist. Gewalt und ihre Zwillingsschwester Sexualität sind die klassischen Verkaufsargumente für das Massenmedium, Ingredienzien für das Vaudeville. Die Regie-Brüder Ethel und Nathan Coen haben dieses Jahr für ihren Film „No Country for Old Men“ neben den zwei Hauptpreisen „beste Regie“ und „bester Film“ auch den Oscar für die beste Bearbeitung eines Originalstoffes – das gleichnamige Buch von Cormac McCarthy – und einen Oscar für die beste männliche Nebenrolle – Javier Badem als Killer Anton Chigurh – abgeräumt. Wenn dem Oscar-Gewinner also der Ruf besonderer Gewalttätigkeit vorauseilt, so what? Aber möglicherweise hat sich die Akademie mit jener hellsichtigen Intuition, die man gelegentlich an Hollywood schätzen gelernt hat, für „No Country for Old Men“ entschieden, weil der Film tatsächlich eine „neue Qualität“ der Gewalt, wie der alte Terminus lautet, zeigt. Die düstere Arbeit der Coens zeigt diesmal eben keine durch „höhere Ziele“ gerechtfertigte Heldengewalt, kein Endlosfeuerwerk infantiler Lust, auch keine reinigende, will heißen triebabführende, „Katharsis“. „No Country for Old Men“ legt eher eine unsichtbare Struktur der Gewalt aus. Die Frage ist, inwieweit sich in einem hoch gelobten, global wirkenden Kunst- und Industrieprodukt, wie es Film nun mal ist, die Struktur der Globalisierung überhaupt spiegeln kann … Globalisierung und Gewalt haben gemeinsam, dass sie weniger aus Dingen als aus Beziehungen, aus Spannungen, Entwicklungen und deren Opfern bestehen: unsichtbare Phänomene, deren Auswirkungen verheerend sind. Gewalt als Thema. Virulent ist das Thema spätestens, seit 2005 der elegante Gangsterfilm David Cronenbergs mit dem pompösen Titel „History of Violence“ Aufmerksamkeit erregte. Wie schon Gary Cooper 50 Jahre zuvor in Anthony Manns „Der Mann aus dem Westen“ lebt der wunderbare Viggo Mortensen in „History of Violence“ aber seinen amerikanischen Traum einfach weiter, nachdem er buchstäblich alle Menschen aus seiner Vergangenheit auslöscht hat. Aber dieser Traum – die Verfolgung des Glücks unter dem Dach von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – ist in Zeiten der Globalisierung blass geworden. Was spiegelt sich davon in einem Gangsterfilm der Coen-Brüder, der während der Achtzigerjahre im Südwesten der USA angesiedelt ist? Der Vietnamveteran Moss (Josh Brolin) stößt bei der Antilopenjagd auf den Schauplatz eines Massakers – verstreute Leichen, ein angeschossener, um Wasser bittender Mexikaner, zig Kilo Rauschgift und zwei Millionen Dollar. Moss schnappt sich den Geldkoffer, kehrt aber – großer Fehler – nächtens zurück, um dem Mexikaner Wasser zu bringen. Noch mehr mexikanische Gangster, sie nehmen Moss unter Feuer, er entkommt zwar, aber sein zurückgelassener Wagen verrät seine Identität … abgesehen davon, dass zwischen den Banknoten ohnehin ein Peilsender steckt. Moss schickt seine Frau Carla Jean zu ihrer Mutter, bevor er, die Mexikaner, das Syndikat in Gestalt der zwei konkurrierenden Killer Carson und Anton Chigurh am Hals, ziemlich vergeblich versucht sich in tristen Motels zu verstecken. Irgendwann, nach vielen, vielen Leichen, entdeckt Moss den Peilsender, schießt Chigurh an und entkommt seinerseits schwer verwundet. Während Moss in einem mexikanischen Spital regeneriert, erschießt Chigurh seinen Konkurrenten Carson. Per Telefon verspricht er Moss, den er jedenfalls umbringen wird, auch seine Frau Carla Jean zu töten, sofern er die zwei Millionen nicht rausrückt. Moss will seine Frau von El Paso aus mit dem Geld in Sicherheit bringen und es dann mit Chigurh aufnehmen. Aber bevor Carla Jean in El Paso einlangt, erschießen die Mexikaner Moss. Der Sheriff kommt wieder mal zu spät. Chigurh hält sein Versprechen und tötet Carla Jean, inzwischen Moss’ Witwe. Architektur der Gewalt. Bezeichnenderweise tötet Chigurh seine Opfer oft mit einem druckluftbetriebenen Schlachtschussapparat für Rinder. Augenscheinlicher lässt sich die Reduktion der Opfer auf das liebe Vieh nicht zeigen: Stimmvieh oder Opfer der Weltbank und des IWF, deren Entscheidungen Sozial-, Gesundheits- und regionale Wirtschaftssysteme matt setzen. Auch die Unverhältnismäßigkeit der Mittel entspricht. Wenn Chigurh einen Wagen braucht, einen Nachtportier passiert oder tankt, bringt er den Betreffenden einfach um, billiger geht es nicht. Das Stillhalten seiner wie hypnotisierten Opfer erinnert dabei an die bekannte Passivität gegenüber globalen Phänomenen. „No Country for Old Men“ präsentiert eine Architektur geschichteter Gewalt. Die Basis bildet das vergleichsweise ineffiziente, staatliche Gewaltmonopol, repräsentiert in der Person des Sheriffs Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones). Immer zu spät kommend, trauert der Veteran, ehe er in Pension geht, dem alten Westen nach und beklagt eine gewalttätige Zivilisation, die vor die Hunde geht. Aber solche Haltungen sind obsolet. Der Western, als Inbegriff agrarischer, feudaler Strukturen, wurde nicht nur abgelöst vom urbanen Thriller, auch die an ihn gebundenen „Erzählungen“ verlieren ihre Bedeutung. Moss’ Entschluss, dem Mexikaner Wasser zu bringen, bringt ihn erst mal nur in Todesgefahr. In „Getaway“ schafft es das Ehepaar McQueen und Ali MacGraw noch über die Grenze nach Mexiko. Moss und Carla, Niemandspaar der Gegenwart, hat keine Chance. Die unsichtbare Hand des Verbrechens und der Finanzmärkte. Effizienter als die Polizei ist da schon die rationale Gewalt des organisierten Verbrechens. Der Killer Carson zählt geradezu manisch Details seiner Umgebung und vergisst keine Daten. Die mexikanischen Drogentypen sind die irrationalere Variante dieser blutigen Erben des Fordismus. An nächster Stelle der Hierarchie rangiert der Todesengel Anton Chigurh, dem Geld gleichgültig ist, obwohl er das Prinzip der Globalisierung am reinsten verkörpert. Deren strukturelle, aber blinde Gewalt ist gewissermaßen seine Religion. Er lässt seine Opfer gottgleich Kopf oder Zahl um ihr Leben spielen und den Auftraggeber, der ihm Carson nachschickt, tötet er mit religiösem Furor. Gefährlicher als Anton Chigurh ist nur noch der blinde, nackte Zufall. Er wird als „verrückt“, aber auch nach eigenen Regeln handelnd beschrieben, als verletzbar, aber – fürs Erste jedenfalls – auch als unsterblich. Ist da die Ähnlichkeit mit der Irrationalität, Verletzbarkeit und Unvermeidlichkeit von Finanzmärkten nur zufällig? „No Country for Old Men“, zu überprüfen im Kinozentrum Rechbauer und in den Kinos der UCI. Willi Hengstler
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