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EU-Reformvertrag: „Der härteste politische Beton“
Dienstag, 11. März 2008
Der EU-Reformvertrag – also der nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden ein wenig modifizierte EU-Verfassungsvertrag – steht nun auch in Österreich wieder auf der politischen Tagesordnung: Ab 9. April könnte das Parlament ihn ratifizieren.

Bei einer von KORSO mitveranstalteten Podiumsdiskussion debattierten am 20. Februar im Forum Stadtpark Ing. Siegfried Bernhauser von ATTAC und Mag. Gerald Oberansmayr von der Werkstatt für Frieden und Solidarität mit der Europasprecherin der SPÖ, NAbg. Mag.a Elisabeth Grossmann, NAbg. Dr.in Beatrix Karl von der ÖVP und der grünen Landtagsabgeordneten Mag.a Edith Zitz unter der Moderation von Mag. Christian Stenner (KORSO) über die Inhalte des Vertrages – und darüber, warum in Österreich nicht der Souverän selbst über seine Annahme entscheiden darf.

Bernhauser ging einleitend auf die Genese des Reformvertrages ein und forderte einmal mehr die Volksabstimmung unter anderem  mit der Begründung, dass sich auch Verfassungsjuristen uneins darüber seien, ob eine solche angesichts der Abgabe von Rechten durch die Republik nun zwingend nötig sei oder nicht; aus demokratiepolitischen Gründen notwendig sei sie jedenfalls allemal.

Festlegung auf Liberalisierung, freien Wettbewerb und grenzenlosen Kapitalverkehr. Oberansmayr fokussierte auf die inhaltliche Schwerpunkte des Dokuments, u.a. auf die Tatsache, dass sich die Union in Artikel 119 auf die „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ verpflichte – ein einzigartiges Beispiel dafür, dass die Fixierung auf eine bestimmte Wirtschaftsform in ein Dokument mit Verfassungsrang aufgenommen werde. Noch mehr: Im Artikel 63 des Vertragsteiles über die Arbeitsweise der EU werde explizit festgelegt, dass „alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern“ verboten seien – damit werde der Wettlauf bei Unternehmenssteuern, Gewinnsteuern und Kapitalsteuern angekurbelt, der schon jetzt dazu geführt habe, dass in den EU-15-Staaten seit Einführung des Binnenmarktes die Steuern auf Unternehmergewinne von 45 auf 30%, die Spitzensteuersätze der Einkommenssteuer von 62 auf 48% und die durchschnittliche Besteuerung von Zinserträgen von 48 auf 33% gesunken seien. Oberansmayr: „Damit werden die öffentlichen Budgets ausgehungert – in der BRD sind z.B. die kommunalen Investitionen schon in den letzten 10 Jahren um 40% zurückgegangen.“ Diesbezüglich bringe der Reformvertrag weitere Verschärfungen: „Im Artikel 106 wird auch die gesamte Daseinsfürsorge dem Wettbewerbsrecht des EU-Binnenmarktes untergeordnet; der EU-Kommission wird es zum ersten Mal ermöglicht, Grundsätze und Bedingungen der öffentlichen Dienste auf europäischer Ebene zu regeln.“ Als erste auf der Liberalisierungsagenda stünden das Gesundheitswesen und die sozialen Dienste.

Verpflichtung zur Aufrüstung. Ganz explizit komme im Reformvertrag auch das Bestreben der Union zum Ausdruck, eine Militärmacht zu werden: Der Vertrag enthält die Formulierung, das sich alle Mitgliedstaaten dazu verpflichten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Oberansmayr: „Diese Aufrüstungsklausel wird uns über die nächsten Generationen in die Pflicht nehmen, das ist EU-Primärrecht, der härteste politische Beton, in den man solche Bestimmungen gießen kann, weil sie nur mit Zustimmung aller  27 Unterzeichnerstaaten wieder geändert werden können.“
Ebenso sieht der Vertrag eine militärische Beistandspflicht – auch schon im Fall so genannter terroristischer Bedrohung – vor.

Demokratiepolitische Verbesserungen. Die beiden Abgeordneten der Koalitionsparteien gewannen in ihren Statements dem Vertrag im Gegensatz zu ihren Vorrednern vor allem positive Seiten ab: Grossmann betonte die Stärkung der Position der BürgerInnen durch den im Reformvertrag enthaltenen Verweis auf die Grundrechte-Charta und die Aufwertung des EU-Parlaments, Karl nannte Details wie die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Parlament und die Möglichkeit eines Misstrauensantrages gegen die gesamte EU-Kommission. Zitz äußerte den Wunsch nach einer sozialen und ökologischen Union und nach einer EU-weiten Volksabstimmung über den Vertrag; weil eine solche nicht durchsetzbar gewesen sei, habe sie mit ihrer Fraktion einen Antrag auf Unterstützung der Forderung nach einer nationalen Volksabstimmung im Landtag eingebracht: „Dieser Vertrag ist ein großer Umbau und wir erwarten uns von politischer Seite, dass man den BürgerInnen zumutet sich damit zu beschäftigen.“

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