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„manuskripte“: Höchst Lesenswertes.
Sonntag, 10. Februar 2008
„manuskripte“. Zeitschrift für Literatur 178/2007. 47. Jg. 190 S.,
10,-- Euro. In gewohnter Qualität präsentiert sich die aktuelle Ausgabe der Grazer Literaturzeitschrift „manuskripte“ – „alte Meister“ wie Rosei (mit einer ganz gewöhnlichen Nachkriegsgeschichte aus dem Burgenland, die Nazi-Vergangenheit und Gegenwart auf beklemmend-normale Weise verbindet) und Handke (dessen „Unwillkürliche Selbstgespräche“ ein weites Spektrum vom belanglosen Aperçu bis zum Aphorismus besetzen) sind ebenso vertreten wie jüngere AutorInnen – etwa der geniale Andreas Unterweger, dessen Beitrag „Wie im Siebenten“ drastisch die Tradierung traumatischer gesellschaftlicher Erfahrungen beschreibt: „Wir hatten ein Loch in der Brust. Das Loch war ein Einschussloch. Das Loch war die Summe der Löcher, die unsere Vorfahren im Krieg in andere Leute geschossen hatten – und umgekehrt.“
Grandios Birgit Pölzls „Das Weite Suchen“ über den Selbstmord eines von der neoliberalen Ausbeutungsgesellschaft Ausgemusterten; Oswald Eggers „Ich und Achilles“ erinnert an Morgenstern’sche Neologismen („und zirrn-Blitze quollen aus dem losnächtlichen K’molch“). Monique Schwitters „Die Qualle“ spiegelt die kleinbürgerliche Existenz zwischen Selbstverwirklichung durch Schwitzhüttenrituale und Verfolgungswahn; Sophie Anna Reyers „Weißes Rauschen“ ist ein bedrückender Text über die Deformation weiblicher Sexualität durch Gewalt- und Entfremdungserfahrungen.
Nostalgisch und doch mehr als berührend des Literaturprofessors Jörg Drews 15 Erst-Begegnungen mit dem „Genius“, deren er in seinem wissenschaftlichen Leben eine ganze Reihe erleben durfte – darunter das unerwartete Zusammentreffen mit Peter Weiss, das erhebende mit Gerhard Rühm, das beschämende mit Oskar Pastior, das tief berührende mit Gershom Scholem.
Unter den lyrischen Beiträgen hervorragend wie immer: Friederike Mayröckers vergangenheitssüchtige Gedichte; drei der vier abgedruckten sind geradezu um das Temporaladverb „damals“ herum konstruiert …
Mehr als lesenswert sind auch die in dieser Ausgabe versammelten Essays: Oswald Wieners „Über das ,Sehen‘ im Traum“ kommt anhand der Lösung einer klassischen Matrix-Aufgabe (zu zwei Darstellungen, die einen Spielwürfel aus verschiedenen Blickwinkeln zeigen, ist unter acht Möglichkeiten die einzig passende dritte herauszufinden) zum Schluss, dass im Gedächtnis nicht Bilder gespeichert sind, sondern „Verfahren, die Bilder erzeugen können, wenn sie geeigneten Zugang zu der Motorik meines Organismus erhalten“.
Für den Schreiber dieser Zeilen als bekennenden Verehrer der „Ästhetik des Widerstands“ von besonderem Interesse war schließlich Felix Philipp Ingolds „In Tagebüchern zugange“, der in seinem Beitrag an erster Stelle das „Kopenhagener  Journal“ Peter Weiss’ rezensiert, das nun erstmals in einer textkritischen Ausgabe vorliegt.
Christian Stenner

KORSO verlost in Kooperation mit den „manuskripten“ fünf Exemplare der aktuellen Ausgabe beim Kulturquiz unter www.korso.at!

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