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„Reben“
Sonntag, 10. Februar 2008
Andrea Stift, Reben, Erzählung, Verlag Kitab, Klagenfurt / Wien 2007, 122 Seiten

Reben haben Wurzeln, Stöcke und Ranken, Blätter und Beeren. Die Reben in der Geschichte von Andrea Stift wuchsen im Weingarten der Urgrosseltern, in der südsteirischen Landschaft bei Strass an der Mur, als die „Untersteier“ noch dazu gehörte und als in den dortigen Familien noch selbstverständlich Slowenisch und Deutsch gesprochen wurde. Der Trauschein der Urgrosseltern wurde zweisprachig ausgestellt, die Gebühr betrug einen Schilling bzw. zehn Dinar.
Die „Reben“ sind auch die Metapher für den Familienstammbaum. Es ist die Person der Urgrossmutter Anna, der es gelang, „durch mündliche Überlieferung lebendig zu bleiben“. Ihretwegen schreibt die Urenkelin dieses Buch.
Über die Vorfahrin sind viele Geschichten in der Familie im Umlauf. Der Autorin, die ein Jahr nach Annas Tod geboren ist, „liegen sie (die Erzählungen) in der Magengrube wie Haarbällchen, die von Katzen wieder nach oben gewürgt werden“ (S. 7). Daher muss sie schreiben, um sich frei zu machen.
Das tut sie nicht naiv, sondern sie reflektiert die Methode der Rekonstruktion eines Lebens und des Zustandekommens dieser Geschichten. Andrea Stift hat die gestalterische Kraft, als Nachgeborene jene Zeiten und Umstände zu zeichnen, und sie möchte den Personen gerecht werden, ohne sie zu beschönigen.
 Die Autorin richtet drei Erzählebenen ein; die eine erstreckt sich von der Kindheit Annas am Ende des 19. Jahrhunderts über Ehe und Familienleben bis zu ihrem Tod 1975; die andere Ebene ist sozusagen auf dem Schreibtisch von Andrea Stift angesiedelt und bedient sich der Ich-Form. Die Autorin über ihre Methode: „Ich stülpe sie (die Urgrossmutter) von innen nach aussen“ (S. 57 f), auch unter Benutzung von Tagebuchnotizen der Anna Stift.
Die dritte Stil-Ebene ist ausschliesslich den Reben gewidmet. Fachmännisch befassen sich Abschnitte, die von den Erzähl- und Reflexionsebenen sich auch stilistisch unterscheiden, mit den Reben „im Frühling“, „im Sommer“, „im Herbst“ bis zum Pressen mit allen Arbeiten, die der Weingarten erfordert.
„Im Oktober jedenfalls scheint eine gänzlich andere Sonne, sie gerbt die Blätter wie ein paar Monate zuvor die Haut der draußen Arbeitenden.“ (S. 60)
Über zehn Hektar Reben herrscht Anna, mitsamt den dazu notwendigen Arbeitern. Auch Ehemann und Familie werden im Hintergrund sichtbar, ebenso die wechselvolle politische Geschichte der Landschaft, die durch den Friedensschluss am Ende des Ersten Weltkrieges 1918 plötzlich an einer Staatsgrenze lag, die dann 1945 Eiserner Vorhang war und erst wieder in unserer Zeit offener geworden ist.
Auch wer die schöne südliche Steiermark, das Weinland an der Weinstrasse, nicht kennt, dem tut sich in der Erzählung „Reben“ das Panorama der Gegend mitsamt den kleinteiligen Veränderungen der letzten hundert Jahre auf.
Andrea Stift lebt in Graz und veröffentlicht Texte u. a.  in der Literaturzeitschrift „manuskripte“. „Reben“ ist ihr erstes Buch. Die Zitate belegen, dass die Autorin ihr Thema kräftig, farbig und authentisch angeht. Ihre Ausdrucksmittel sind nuancenreich und machen die Lektüre einfach lustvoll.
Hedwig Wingler

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