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Karl Marx in St. Veit
Sonntag, 10. Februar 2008
Karl Wimmler: Meine heimatliche Fremde

Zum ersten Mal hatte ich schon vor Jahrzehnten davon gehört. Ein Freund hatte diese Kirche im südsteirischen Grenzland erwähnt, in der es ein Gemälde gäbe mit Karl Marx in bedeutender Position. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, warum ich das damals zu uninteressant fand, um es einmal unter die Lupe zu nehmen. Denn Kirchen haben mich immer schon angezogen. Sie verkörpern nicht nur das Alte, sondern auch das Dauerhafte, das ewig Irrende, das Notwendige und Vergebliche des Hoffens. Und Karl Marx wäre allein deshalb schon reizvoll gewesen, weil er verfemt war. Aber vielleicht war mein Sinn damals weniger auf Dörfer, sondern auf das Große und Weite gerichtet. Weltrevolution war das Mindeste. Oder so ähnlich.

Eigenartigerweise erinnerte ich mich erst vor einigen Jahren in Finnland wieder an diese Kirche. Der Reiseführer hatte bei der Beschreibung des Altarbildes der Holzkirche von Kajaani im tiefen Inneren Finnlands in einer Nebenbemerkung darauf aufmerksam gemacht, dass es Ähnlichkeiten mit einem Altarbild in Maria Saal in Kärnten aufweise, nur dass dort Jesus mit den Zügen von Stalin dargestellt sei und ein versinkender Petrus mit jenen Lenins. Ich beschloss also in Finnland, nach Maria Saal zu fahren, um Lenin und Stalin zu besichtigen. Darüber vielleicht ein andermal. Zuerst nach St.Veit am Vogau! Rund dreißig Kilometer südlich von Graz gelegen, nicht weit von der Autobahn und der slowenischen Grenze entfernt. Der zweitürmige Barockbau aus der Mitte des 18.Jahrhunderts bildet auch heute noch das Zentrum des Ortes.

Aber noch bevor ich im Inneren der Kirche auf die Suche nach Karl Marx gehen konnte, wurde meine Aufmerksamkeit vom Devotionalien- und Propagandatischchen in Anspruch genommen. Unwillkürlich sticht mir eine Sondernummer des Pfarrblatts ins Auge. „Homosexualität“ leuchtet fett gedruckt die DIN A4-Titelseite entgegen. Unterlegt von einem Auszug aus dem Weltkatechismus zum Thema (Ziffer 2357) als programmatischem Klartext: „Gestützt auf die heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet, hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, dass homosexuelle Handlungen in sich nicht in Ordnung sind. Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen.“ – Die Beschreibung von Sexualität als „affektive und geschlechtliche Ergänzungsbedürftigkeit“ ist an sich schon ein beachtlicher Beitrag zur linguistischen Bildung. Und auch die danach folgenden sechzehn Seiten sprachlicher Bocksprünge sind von beeindruckender Eindeutigkeit. Sie stammen nicht aus dem 18.Jahrhundert, wie das kirchliche Bauwerk, in dem sie verbreitet werden. Auch nicht aus den 20-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wie die Deckenmalerei, sondern vom Dezember 2007. Getrieben von der immerwährenden Geschlechtsangst, die das Christentum seit Paulus prägt, ist in diesem Blatt alles versammelt, was an katholischer Irrlehre durch die Lande geistert: „Homosexualität ist nicht angeboren“, „Homosexualität ist heilbar“, „die Homo-‚Ehe’ ist eine gehässige, eifersüchtige Provokation des natürlichen sexuellen Gefühls und der echten Ehe“, „Bericht eines geheilten Homosexuellen“, „Homosexualität und Pädophilie sind miteinander verwoben“ und so weiter. Dazu Stellungnahmen des einschlägig berüchtigten deutschen Bischofs Dyba und zwei Seiten kabarettistisch wertvoller Appelle des Salzburger Weihbischofs Laun an die Adresse der vom Umfallen bedrohten ÖVP. Titel: „Es gibt keine Diskriminierung homosexueller Paare“. Schließlich noch, immer wieder eingestreut, einige auf Homosexualität bezogene Bibelzitate, die mit identer Aussage wohl auch aus dem Koran hätten bezogen werden können. Nur am Rande zitiert werden Bibelstellen, die generelle Lustfeindlichkeit zum Ausdruck bringen. Jedenfalls nicht: „Denn das Trachten des Fleisches bedeutet Tod“ (Paulus, Römerbrief). Und unpassend wäre es auch gewesen, auf den „Leib der Niedrigkeit“ (Paulus, Philisterbrief) hinzuweisen, und dass es „für den Menschen ( = Mann, d.Verf.) gut (sei), keine Frau zu berühren“ (Paulus, 1.Korintherbrief).

Und wo ist Marx? – Man muss nicht lange suchen. Ein Deckenfresko beachtlicher Größe. Thema laut der in der Kirche aufliegenden Beschreibung: „Der Erlöser inspiriert Papst Pius X. zum Dekret über das Altarsakrament“. Für Unkundige: Das „Altarsakrament“ ist die Kommunion – die Verwandlung von Brot bzw.Oblate in den Körper Christi und dessen Verspeisung durch die Gläubigen. In nachahmender, an das Barock angelehnter Art war dieses Fresko wie andere Deckengemälde erst 1921 durch einen aus Italien stammenden Künstler namens Barazutti angefertigt worden. Im Zentrum des Bildes Christus, vor ihm und sinnigerweise größer als dieser der zehnte Pius. „Ringsum im Bild“, heißt es in der Beschreibung, „sehen wir die damals zerbrechende Welt. Standbilder des Kaiserreiches werden gestürzt, der letzte Habsburger-Herrscher seiner Insignien beraubt.“ – Untergang des Abendlandes also, wogegen Papst, Klerus und einige Gläubige als Bollwerk aufgeboten werden. Hingegen: „Im Hintergrund wiegelt Karl Marx die Arbeiter auf“, diagnostiziert der offiziöse Beschreiber treffsicher. Tatsächlich, Karl Marx in charakteristischem Outfit und Agitatorenpose. Kirche und Jenseits also gegen den Verfall von göttlicher und weltlicher Macht auf Erden, mit Marx als besonders herauszuhebendem Feindbild. Wer sich ein wenig mit österreichischer Geschichte befasst hat weiß, dass dies der klassischen Frontstellung der katholischen Kirche hierzulande bis in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts entspricht. Getreu dem ersten Paulus-Brief an die Korinther: „Wenn du als Sklave berufen wurdest, soll dich das nicht bedrücken; auch wenn du frei werden kannst, lebe lieber als Sklave weiter.“ – Da verwundert es dann auch nicht mehr, wenn der Betrachter dazu in der zitierten Beschreibung der Malerei noch liest: „Man mag zu den Malereien stehen, wie man will, fest steht dass wir es heute hier mit einem für die Zeit äußerst aktuellen politisch und kulturgeschichtlich hochinteressanten Programm zu tun haben.“

Das finde ich auch. Äußerst aktuell, wenn ich an das obskure Dunkelmännertum im Pfarrblatt über Homosexualität denke. Und mich beschleicht das Gefühl, dass uns auch in anderer Hinsicht weniger trennt als wir ahnen von den Katastrophen des letzten Jahrhunderts. Und ich schlage nach und finde zwei erfrischende Strophen des neunzehnjährigen Karl Marx:

Darum lasst uns alles wagen
Nimmer rasten, nimmer ruh’n
Nur nicht dumpf, so gar nichts sagen
Und so gar nichts woll’n und tun.
Nur nicht brütend hingegangen
Ängstlich in dem niedern Joch
Denn das Sehnen und Verlangen
Und die Tat, sie blieb uns doch.


Karl Wimmler, Jahrgang 1953, Angestellter, Historiker, Gelegenheitsschriftsteller, lebt in Graz. Mit dem hier abgedruckten Beitrag startet Wimmlers Feuilleton-Serie „Meine heimatliche Fremde“, die Sie das Jahr über begleiten wird.

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