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Stammzellen: Forschung für die Medizin von übermorgen
Sonntag, 10. Februar 2008
Im Rahmen der Vortragsreihe „Wissen schafft Zukunft“, die auf eine Initiative von Wissenschaftsminister Dr. Johannes Hahn zurückgeht, hielt der Wiener Univ.Prof. Dr. Markus Hengstschläger an der Alten Universität Graz im Dezember einen Vortrag zum Thema „Stammzellenforschung. Segen oder Fluch?“

Seit 2005 leitet der Wissenschafter die Abteilung für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien und die genetische Abteilung des Instituts für Kinderwunsch. Sein 2006 erschienenes Buch „Die Macht der Gene“, das die Grundlagen seines Forschungsgebiets allgemein verständlich und mit Hilfe zahlreicher Beispiele anschaulich erklärt, schaffte Spitzenplätze auf deutschsprachigen Bestsellerlisten. Für eine auch von der internationalen Forscher-Community breit wahrgenommene Sensation sorgte seine Entdeckung von Stammzellen im Fruchtwasser von menschlichen Föten.

Uneinigkeit um Lockerung der Gesetze. Erst vor wenigen Tagen ist die Diskussion um die Zulassung von embryonalen Stammzellen für die medizinische Forschung wieder aufgeflammt. Während diese Art der Stammzellenforschung in den USA zurzeit von staatlicher Seite nicht gefördert wird, sehr wohl aber in privaten Institutionen erlaubt ist, sind die Positionen in den Staaten der Europäischen Union äußerst unterschiedlich: Während sie in Großbritannien und Spanien legal ist, bestehen in anderen Ländern gesetzliche Restriktionen bis hin zum totalen Verbot. In Deutschland gibt es Vorstöße die strikte Ablehnung zu lockern, da die Forschung auf ausländische Institutionen ausweiche und so zur Schwächung des eigenen Standortes beitragen würde.

Öffentlicher Diskurs braucht mehr Information. In Österreich scheint sich zurzeit die bisher strikt ablehnende Front ebenfalls zu lockern: Anlässlich eines Stammzellen-Symposiums in Wien zeichnete sich kürzlich eine Absichtserklärung seitens der politischen Parteien ab, nicht nur die Forschung an embryonalen Stammzellen, sondern auch deren Gewinnung im Inland gesetzlich zu genehmigen. Für problematisch darf gehalten werden, dass das Wissen um diese neue Technologie in weiten Teilen der Öffentlichkeit von vagen Vorstellungen einer „Wundermedizin“ geprägt ist: Mehr seriöse Informationen über die Methoden sowie deren Chancen und Gefahren sind jedoch die unabdingbare Grundlage für jeden weiteren Diskurs über eine Änderung der bestehenden Rechtslage, diese Position vertritt jedenfalls auch Wissenschaftsminister Hahn.

Pluripotente Stammzellen als Alternative. In der relativ jungen Forschungsrichtung setzt man seit ungefähr einem Jahrzehnt große Hoffnungen in die embryonalen Stammzellen, die sich prinzipiell zu jeder beliebigen Zellform des menschlichen Körpers entwickeln können und eines Tages Schäden an menschlichem Gewebe und Organen ausgleichen sollen. Hengstschläger befasst sich seit einigen Jahren mit Stammzellen, die im menschlichen Fruchtwasser vorkommen. Da sich diese noch nicht spezialisiert haben, hegte er die Vermutung, dass die Fruchtwasserzellen genauso vielseitig sind wie jene Stammzellen, die aus Embryonen gewonnen werden. Hengstschläger gelang der Nachweis, dass auch die Fruchtwasserzellen sich zu unterschiedlichen Zelltypen weiterentwickeln können, damit also pluripotent sind, und daher in gleicher Weise als Hoffnungsträger für die Medizin der Zukunft dienen könnten. Die Zahl der vielseitigen Zellen im Fruchtwasser ist allerdings relativ gering: Denn nur rund 0,1 bis 0,5 Prozent der an sich schon geringen Anzahl von Zellen im Fruchtwasser zählen zu den stammzellähnlichen Zellen.
Erfolg für österreichische Wissenschaft. Hengstschläger, der selbst auch längere Zeit an der Universität Yale in den USA geforscht hat, lieferte mit seinen innovativen Ansätzen und beeindruckenden Ergebnissen den Beweis dafür, dass sich die österreichische Wissenschafter-Community vor ihrer ausländischen Konkurrenz nicht zu verstecken braucht. Hengstschläger selbst ist zwar ein Gegner der embryonalen Stammzellenforschung und lehnt auch die Spätabtreibung aufgrund embryopathischer Indikationen ab. Er hält er es jedoch „für wichtig, dass vergleichende Forschung stattfindet, um Fortschritte zu erzielen“, und arbeitet daher auch im Projekt KidStem mit u.a. mit englischen Forscherteams zusammen, die an embryonalen Stammzellen experimentieren. Trotzdem ist er der Meinung, dass den adulten Stammzellen in der näheren Zukunft bessere Einsatzmöglichkeiten in der praktischen Medizin beschieden sind, weil sie aufgrund der geringeren Gefahr einer Tumorbildung für Anwendungen wie die Regeneration von Nerven- oder Nierengewebe wesentlich gefahrloser einsetzbar sind.

Erste Schritte zu neuen Therapien. Inzwischen sind weitere erfolgreiche Züchtungen von Stammzellen auch aus Haut- und anderen Körperzellen gelungen, wie erst vor kurzem Universitäten in Japan und den USA vermeldet haben. Während jedoch adulte Stammzellen, die aus dem eigenen (erwachsenen) Körper gewonnen wurden, bereits erfolgreich eingesetzt werden, z.B. bei Anämieerkrankungen, ist Hengstschläger in Bezug auf die konkrete Anwendbarkeit von pluripotenten Zellen noch sehr skeptisch: „Hier wird Forschungsarbeit für Überübermorgen geleistet, in naher Zukunft wird dabei noch nicht viel für die medizinische Anwendung herauskommen. Die Wissenschaft erzielt zwar immer wieder Durchbrüche, aber es gibt eben Bereiche, wo es nicht so schnell geht. Auch in der Stammzellenforschung müssen die Ergebnisse sorgfältig überprüft und vor einer Anwendung alle Risiko minimierenden Maßnahmen eingehalten werden.“
Utopischen Hoffnungen erteilt Hengstschläger somit eine eindeutige Absage, dennoch hält er es für wichtig, dass eine öffentliche Diskussion geführt wird, um die gesellschaftliche Transparenz zu erhöhen. Dazu trägt ein Paradigmenwechsel in den wissenschaftlichen Karrieremustern bei: „Die jüngeren Forscher müssen sich intensiven Evaluationen und Auswahlverfahren stellen, bevor sie Professuren erhalten und werden auch dann nicht auf Lebenszeit pragmatisiert. Ich halte das aber auch für richtig, weil das der richtige Weg ist, um die Wissenschafter aktiv und interessiert am Neuen zu halten.“

Ethische Verantwortung der Wissenschaft. Minister Hahn schätzt die Tätigkeit der unabhängigen Ethik-Kommission als Kontrollinstanz für medizinische Forschung als ausreichend ein, denn „ihr müssen schließlich alle Projekte zur Prüfung vorgelegt werden. Die Frage, dessen was geforscht werden darf und soll, bildet damit einen permanenten Gegenstand der öffentlichen Diskussion“.
Er hält eine gesetzliche Liberalisierung der embryonalen Stammzellenforschung in Österreich vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Europa für möglich: „In Deutschland läuft gerade jetzt eine sehr offensive Diskussion über eine Liberalisierung der embryonalen Stammzellen-Forschung. Insgesamt gibt es diese Tendenz aber in weiten Teilen der EU, so in Spanien, Portugal und Italien. Wir müssen diese Diskussionen auch hierzulande führen, um der globalen Dimension dieser Fragestellung gerecht zu werden. Als Europäer haben wir einen anderen Zugang als etwa Asiaten, der in unseren verschiedenen kulturellen Traditionen begründet liegt. Ich sehe aber auch Vorteile darin, sich wie in derzeitigen Forschungsprojekten im Inland auf adulte Stammzellen zu spezialisieren und hier Durchbrüche zu erzielen.“

Josef Schiffer

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