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Ein Dichter der Ambivalenzen: Bruno Ertler (1889 bis 1927) |
Mittwoch, 12. Dezember 2007 | |
In der Novembernummer des KORSO hat Antje Senarclens de Grancy die Grazer Architektur der Zwischenkriegszeit in überaus erhellender Weise als „bodenständige Moderne" charakterisiert. Mit dieser Kennzeichnung lässt sich auch ein Teil der Grazer Literaturszene jener Jahre erfassen, vor allem die Autoren, die sich gleich nach dem Ersten Weltkrieg im Künstlerbund „Freiland" einfanden und sich später im Umkreis der 1924 gegründeten Sezession bewegten. Zu nennen sind hier vor allem drei Namen: Julius Franz Schütz (1889-1961), Hans Leifhelm (1891-1947) und Bruno Ertler, dessen Todestag sich am 10. Dezember zum achtzigsten Mal jährt. Anlass genug, zu fragen, wer er war, welche Positionen er einnahm und was er geschrieben hat. Kaum ein Autor gerät über Nacht in Vergessenheit. Auch das Vergessen vollzieht sich in der Regel schleichend, Schritt für Schritt, Station um Station: Sind erst einmal alle seine Titel aus dem Buchhandel verschwunden und ist kein Verlag mehr dazu bereit, eine Neuausgabe zu riskieren, so tauchen immerhin noch da und dort einzelne seiner Texte in Antholo-gien auf. Verweigert ihm eine neue Generation von Anthologisten das Gastrecht, so bleibt ihm immer noch die Möglichkeit, als Frage in Kreuzworträtseln vorzukommen, und wollen auch die Verfasser der Kreuzworträtsel nichts mehr von ihm wissen, so bleiben immer noch Straßen und Wege, die irgendwann vor langer Zeit nach ihm benannt worden sind. Eine Straßenbenennung ist auch das einzige, was hierorts noch an Bruno Ertler erinnert. Sein Nachlass ruht unbeachtet in der Steiermärkischen Landesbibliothek, die letzte Buchausgabe – ein Taschenbuch, erschienen in der legendären Österreich-Bibliothek des Stiasny-Verlages – stammt aus dem Jahr 1957. Heribert Schwarzbauer war es, der damals diesen Band herausgegeben hat und der auch späterhin nicht müde wurde, an Ertler zu erinnern und auf sein Werk hinzuweisen; mit geringem Erfolg allerdings, denn Ertler blieb vergessen.
Die „bodenständige Moderne". Wie fast alle interessanten Erscheinungen, die Graz im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auf literarischem Gebiet hervorgebracht hat, war auch er kein gebürtiger Grazer. Er stammte aus dem niederösterreichischen Dorf Pernitz, übersiedelte allerdings bereits 15-jährig, im Jahr 1904, mit seinen Eltern in die steirische Landeshauptstadt, in der er ohne größere Unterbrechungen bis zu seinem frühen Tod lebte. Hier beendete er seine Schulausbildung, maturierte 1908 am Lichtenfelsgymnasium, ging im Anschluss daran für drei Monate nach Ägypten und begann nach seiner Rückkehr ein Studium der Germanistik und Kunstgeschichte (das er 1916 mit einer Dissertation über den „Riesen im deutschen Epos" abschließen konnte). Geschrieben hatte er schon als Schüler, jetzt aber nahmen seine literarischen Ambitionen ernsthaftere Formen an und er hatte das Gück, Gleichaltrige kennen zu lernen, die diese Ambitionen teilten. Rasch fand er Zugang zur Grazer Bohème und schloss dort manche Freundschaft, so etwa zu dem bereits erwähnten Julius Franz Schütz, der zweifellos einer der schillerndsten Vertreter der „bodenständigen Moderne" in der Steiermark ist. Von Ertler und Schütz existiert eine Gemeinschaftsarbeit aus dem Jahr 1917: der Einakter „Die tote Frau", den sie ihrem gemeinsamen Freund Ernst Goll widmeten, jenem verspäteten Romantiker aus Slovenj Gradec/ Windischgrätz, der fünf Jahre zuvor Selbstmord begangen hatte und dessen lyrischer Nachlass, von Schütz geordnet und in einem Berliner Verlag untergebracht, als Buch unter dem Titel „Im bitteren Menschenland" auf breite Resonanz stieß. „Die tote Frau" erschien in der kurzlebigen „Freien Folge" des Leykam-Verlages; sie war noch während des Ersten Weltkrieges als Forum für den literarischen Nachwuchs eingerichtet worden und „deute einen gewissen (…) inhaltlichen und formalen Aufbruch an" (Gerhard Fuchs).
Werke ohne Ablaufdatum. Ebenfalls noch in der Kriegszeit wurde Ertler Theater- und Kunstkritiker des „Neuen Grazer Tagblatts" und als solcher alsbald eine Instanz im kulturellen Leben der Stadt. Gerade seine Arbeit als Kritiker zeigt, wie sehr er sich mit den damals modernsten Strömungen und Autoren – von Gorki bis Pirandello – auseinandergesetzt hat. Sein Standpunkt war dabei weder ein betont progressiver noch ein betont konservativer und so blieb er nach verschiedenen Richtungen hin offen, konnte immer wieder über seinen Schatten springen und Werke, die nicht auf seiner eigenen Linie lagen, gelten lassen und würdigen. Doch nicht nur als Kritiker, auch mit manchen seiner literarischen Arbeiten befindet sich Ertler „an der Schwelle der Moderne" (Schwarzbauer). Sah er sich auch in erster Linie als Dramatiker – sein „Spiel vom Doktor Faust" wurde 1923 mit einigem Erfolg in Graz uraufgeführt –, so sind es doch seine Erzählungen und Novellen, in denen sein Personalstil, seine Qualitäten ebenso wie seine Grenzen, am deutlichsten sichtbar werden, und nicht von ungefähr waren es auch seine erzählenden Arbeiten, die seinem Werk in den ersten zehn Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg eine gewisse Renaissance bescherten. 1948 etwa erschien im Wiener Verlag Albrecht Dürer eine Auswahl unter dem unglücklichen Titel „Erlebnisse des Herzens"; darin finden sich einige kurze Erzählungen und Miniaturen, in denen der Autor eigene Kindheitserinnerungen verarbeitet hat, wie „Das Osterei" und „Die Königin von Tasmanien", kurze Prosastücke ohne Ablaufdatum, die man jederzeit wieder publizieren könnte.
Ein bipolares Frauenbild. Bei allen spätromantischen Anklängen vor allem in seiner Lyrik und in seinen Stücken war und blieb Ertler doch ein bürgerlicher Realist. Die Ängste und Obsessionen, die ihm die Feder geführt haben, sind durch und durch bürgerlicher Natur: die Angst vor der Revolution – in der 1921 erstmals erschienenen Novelle „Venus, die Feindin", die unter Revolutionären in St. Petersburg angesiedelt ist, kommt sie überaus deutlich zum Ausdruck – und die Angst vor der Frau als der Verführenden, Unberechenbaren, Undurchschaubaren. Im Zentrum nahezu aller seiner wichtigen Novellen stehen zwei nicht nur grundverschiedene, sondern geradezu gegensätzliche Frauengestalten, wobei Ertler – wohl nicht zuletzt unter dem Einfluss der damals grassierenden Weininger-Mode – sich an das bipolare Schema von Madonna und Dirne hält. Die männlichen Protagonisten in seinen Erzählungen, etwa der junge religiös inspierte Peter Karugin der Russland-Novelle oder der Maler Sonnacker im „Damenspiel", jagen meist einem Ideal hinterher, geraten dabei aber in den Bannkreis einer Frau, wechseln damit ungewollt vom vermeintlich hellen, rationalen Bereich in einen vermeintlich dunklen und irrationalen und werden mit einer Realität konfrontiert, mit der sie nicht umgehen können. Frauen werden von ihnen nicht selten wie Naturereignisse bestaunt; zwischen Vergötterung und Verachtung bleibt in der Regel nur ganz wenig Platz, ein vernünftiges Verhältnis auf Augenhöhe von vornherein ausgeschlossen.
Erotik. Ertler, der bereits mit 25 Jahren erfuhr, dass er nicht mehr lange leben würde – er starb schließlich 38-jährig an einem Leberkarzinom – war kein weltabgewandter Ästhet noch ein spießiger Moralist; sein Verhältnis zur Welt war ein zutiefst erotisches. In seinen besten Prosaarbeiten spiegelt es sich ungebrochen wider, und es ist ihm bei der ganzen Problematik seines Frauenbildes zugute zu halten, dass er als Erzähler über weite Strecken ambivalent bleibt und kaum einmal mit der Entschiedenheit eines Ideologen auftritt. Deshalb kann es in seinen Texten immer wieder zu so schönen Passagen kommen wie zu der folgenden (sie stammt aus der Novelle „Das klingende Fenster"), die bezeichnenderweise aus weiblicher Sicht erzählt ist und hier abschließend zitiert sei: „Dem Religionslehrer, einem jungen, sehr eifrigen Ordenspriester, der seinen Vortrag mit starken Gebärden unterstrich, sah sie so bannend auf die schmalen, weißen Hände, daß er plötzlich stockte, seine Finger besah und fragte, weshalb sie so nach seinen Händen schaue. ‚Weil sie so schön sind‘, sagte das Mädchen. Der Pater wurde rot, lächelte verlegen und fand den Faden seiner Rede nicht. Sie genoß aber ihren Sieg, kühl, ohne eine Miene zu verziehen, voll Geringschätzung für den eitlen Mann (…). Schon bei der nächsten Prüfung lenkte sie mit voller Absicht seine Aufmerksamkeit, indem sie vor jeder Frage ihren Blick an seine Hände heftete, und, während sie sprach, ihm fest in die Augen sah."
Christian Teissl
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