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Manuskripte 177: Ent- und Verfremdung. |
Samstag, 10. November 2007 | |
Manuskripte. Zeitschrift für Literatur 177/2007. 166 Seiten, 10,- Euro Wenn der Rezensent nach einem Titel für die aktuelle einhundertsiebenundsiebzigste Ausgabe der manuskripte gefragt würde, so könnte er wohl antworten, dass ein Gutteil der darin versammelten Beiträge den gern zitierten „fremden Blick" auf die conditio humana wirft; bei weitem nicht die Mehrheit, aber doch eine überraschend große Zahl. Das beginnt – auf durchaus heitere Weise – bei Anselm Glücks „kurzgeschichten"; pointierten Apercus, die durch besondere Sichtweisen die Lächerlichkeit unseres Alltagshandelns an den Tag zerren. Andrea Stift beschreibt in „meet and greet" ohne ästhetisierende Abschweifungen deformierte Charaktere und milieubedingte Chancenlosigkeit; Bodo Hell nimmt unter dem viel sagenden Titel „Halt auf Verlangen" die Alpenlandschaft primär als Kulisse für Outdoor-Beischlafgelegenheiten wahr – und Günter Brus’ genialer Text „Angefaulter Pyjama" setzt sich auf unter die Haut gehende und dennoch witzige Weise mit dem Altwerden als zunehmende Entfremdung von sich selbst auseinander. Michael Hammerschmids Erzählung „Hinaus" behandelt das klassische Topos der Flucht vor sich selbst und einem als unerträglich empfundenen Alltag. Historisch doppelt gebrochen und auch daher extrem distanziert der Beitrag „Lord Roystons Tour", der die Sibirien-Expedition des Genannten Anfang des 19. Jahrhunderts beschreibt, die mit dem Tod des Protagonisten endet – der Text beruht zur Gänze auf einer 1838 erschienenen Lebensgeschichte des Lords, die sich wiederum auf dessen Korrespondenz stützt. Heiter, aber auch nicht mehr, ist Franzobels Paraphrase auf Shakespeares Sommernachtstraum. Werner Fritsch spannt in „Die Sonne auf der Zunge" – einem eigens für das Projekt „Femmes, blanches et noires" des Landestheater Schwaben verfassten Text (ein Hinweis, der leider in den manuskripten fehlt) – einen mythologischen Bogen vom alten Ägypten über die Persephone-Sage und Au-schwitz bis hin in eine Zukunft, die mit dem „Taumeln Babels" (des amerikanischen Imperiums, what else) beginnt; im Zentrum steht dabei die offenbar als überzeitliche Konstante begriffene Situation der Frau. Der Lyrikteil des vorliegenden Bandes bringt unter anderem Neues von der sprachgewandten Ann Cotten und vom Grazer Autor Stefan Schmitzer und ein offenbar als Gemeinschaftswerk von Bruno Steiger, seinem Namensvetter Dominik und Oswald Wiener entstandenes Gedicht „Verschärfte Verständlichmachung", über dessen Genese wir gerne Näheres erfahren hätten. Amüsant und vom Verfasser dieser Zeilen mit klammheimlicher Zustimmung gelesen: Felix Philipp Ingolds Beitrag über den „neuerdings in der deutschsprachigen Lyrik gepflegten intellektuellen Plauderton". Der vorliegenden Ausgabe liegt eine Broschüre anlässlich des 40. Geburtstages des „steirischen herbst" mit Kurztexten von BeiträgerInnen zu herbst-Projekten bei; im Vorwort der manuskripte geißelt Herausgeber Alfred Kolleritsch die Unterminierung der Grazer Literatur-Identität durch das Lorenzsche Kulturhauptstadt-Jahr und die Vernachlässigung der Literatur durch den steirischen herbst. Christian Stenner
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