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Aufstand und Widerstand in Oaxaca
Dienstag, 11. September 2007
Relativ unbemerkt von der europäischen Öffentlichkeit hat im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca im letzten Jahr eine Entwicklung stattgefunden, die zu einer immer stärker werdenden Missachtung der Menschenrechte geführt hat. Oaxaca, ein mehrheitlich von indigener Bevölkerung bewohnter Bundesstaat, liegt im Süden Mexikos und grenzt unter anderem an Chiapas. Mit seinen 3.642.000 EinwohnerInnen zählt er zu den ärmsten Bundesstaaten Mexikos. Seit 2004 regiert mit Ulises Ruiz ein von der PRI (der Partei der Institutionellen Revolution) durch massiven Wahlbetrug eingesetzter Gouverneur, dem auch Korruption vorgeworfen wird (die PRI regierte Mexiko von 1929 bis 2000, Anm.).

Ein Interview mit den AktivistInnen Jaquelina López Almazán und Samuel Hernández Morales, die anlässlich einer Informationsveranstaltung im Spektral im August in Graz waren.

Hintergrund der Situation in Oaxaca ist, wie die beiden GewerkschafterInnen bei ihrem Vortrag im Spektral in Graz erklärten, dass die USA in der Region eine gefügige und lenkbare lokale Regierung brauchen. Ulises Ruiz wurde von ihnen genau zu diesem Zweck unterstützt. Oaxaca hat seit dem Auslaufen des Panamavertrages eine zentrale strategische Bedeutung für die USA. Da die Querung der Vereinigten Staaten von Ost nach West wegen der hohen Berge auf dem Landweg sehr beschwerlich ist, suchen sie nach einem Ausweg. Diesen Ausweg soll der „Plan Puebla – Panama“ darstellen, auch bekannt als der „trockene Kanal“. Die USA wollen im Bereich Oaxacas eine gut ausgebaute Eisenbahn und Straßenroute durch Mexiko schaffen. Die Umsetzung dieses Planes hätte weitreichende Folgen für die Region. Es würden riesige Flächen Landes enteignet und Tausende Indigenas verlören ihre Arbeitsmöglichkeiten. Neben der Route würde Industrie (in Form von Maquilladoras) mit extrem schlechten Arbeitsbedingungen und katastrophalen Folgen für die Umwelt entstehen. Weiters würden Golfanlagen, riesige Einkaufszentren, Flughäfen und Bordelle errichtet. All dies hätte enorme negative Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der BewohnerInnen Oaxacas.
Jaquelina López Almazán und Samuel Hernández Morales gehören beide der LehrerInnengewerkschaft Oaxacas an. Sie waren von Beginn an in die Protestbewegung involviert und sind MitbegründerInnen der APPO (Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca = Volksversammlung der Völker Oaxacas), einem Zusammenschluss von über 350 linken Gruppierungen, zu dem Gewerkschaften, Bauern-, Studenten- und Indigenaorganisationen gehören. Ihr Hauptziel ist der Rücktritt des Gouverneurs Ulises Ruiz.
Von Februar bis April 2005 waren beide als politische Gefangene inhaftiert. Sie leben aufgrund ihrer Verfolgung durch die mexikanische Regierung bereits seit einigen Monaten nicht mehr in Oaxaca.

Worauf begründet sich die breite Ablehnung von Gouverneur Ulises Ruiz durch die Bevölkerung Oaxacas?
Hernández Morales: Es gibt fünf wesentliche Quellen der Unzufriedenheit. Erstens beruht die Einsetzung von Ulises Ruiz auf einem enormen Wahlbetrug. Mehr als 800.000 Stimmen von Personen, die gegen ihn stimmten, wurden nicht gezählt. Das ist eine klare Quelle der Empörung.
Zweitens gibt es in Oaxaca traditionellerweise von Indigenas dominierte lokale Autoritäten. In Dutzenden Gemeinden wurden diese von Ulises Ruiz abgesetzt und durch seine Leute von der PRI ersetzt. Hier ergibt sich eine zweite Gruppe von Personen, die sich gegen Ulises Ruiz empören.
Drittens: In Oaxaca müssen die Gemeinden jedes Jahr aufs Neue Anträge an den Gouverneur stellen, dass dieser die Instandhaltung der infrastrukturellen Basisversorgung finanziert. Ulises Ruiz hat vielen Gemeinden diese Finanzierung verweigert. Dadurch können die Versorgung mit Trinkwasser, die Instandhaltung der Wege und Schulgebäude und vieles mehr nicht mehr gewährleistet werden. Diese Verweigerung der Finanzierung stellt eine weitere Quelle der Empörung dar.
Der Hintergrund für die Unterschlagung der finanziellen Mittel ist, dass der Gouverneur Budgetmittel für den kommenden Präsidentschaftswahlkampf für den Kandidaten der PRI abzweigen will.
Viertens hat Ulises Ruiz in Auftrag gegeben, Kulturdenkmäler in der Region zu renovieren. Für diese Renovierungsarbeiten hat er in einer Situation, in der die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet ist, 700 Millionen veranschlagt. Unabhängige Architekten haben uns gesagt, dass die Renovierungen höchstens 20 Millionen kosten können. Die Differenz wandert also in die Taschen der PRI. Dies bedeutet für Tausende Personen, die in städtischer Armut leben, eine große Frustration.
Fünftens: Als Reaktion auf beginnende Proteste hat Ulises Ruiz mit Repression gegen jede Opposition reagiert und sehr schnell ein Klima der Angst etabliert. Rede- und Versammlungsfreiheit wurden eingeschränkt, Oppositionelle wurden eingesperrt, die einzige Oppositionszeitung wurde zugesperrt. Doch gerade diese Repression stellt einen weiteren Grund für wachsende Unzufriedenheit eines großen Teils der Bevölkerung dar.
López Almazán: Diese allgemeine Situation der Empörung und der Unzufriedenheit erklärt, wa-
rum die LehrerInnengewerkschaft so große Solidarität erfahren konnte, als wir aller Repression zum Trotz einen Streik begannen und den Hauptplatz von Oaxaca de Juarez (Hauptstadt, Anm.) besetzten und in weiterer Folge zusammen mit vielen anderen die APPO gründeten.

Und wie zeigte sich diese Solidarität?
López Almazán: Seit dem 2. Juni 2006 fanden einige Großdemonstrationen mit bis zu 800.000 TeilnehmerInnen statt, die alle die Hauptforderung des Rücktrittes von Ulises Ruiz hatten. Diese Demonstrationen gipfelten in der Besetzung des Regierungssitzes, der Gerichte und des Senatsgebäudes. Laut der mexikanischen Verfassung gilt ein Bundesstaat in diesem Fall als unregierbar und der Gouverneur muss abberufen werden. Das war aber nicht der Fall. Die Besetzungen hielten im Oktober und bis zum 25. November 2006 massiven Angriffen seitens des Militärs und von Paramilitärs stand. Am 25. November wurde ein großer Angriff auf die Stadt mit einer massiven Repressionswelle durchgeführt. Es kam zu 350 Verhaftungen, zu Misshandlungen und Vergewaltigungen. 50 Personen sind verschwunden und 60 Tote sind zu beklagen. 500 APPO-AktivistInnen mussten aufgrund von Haftbefehlen untertauchen oder flüchten. Der 25. November war ein Schlag, aber die Bewegung wurde nicht vernichtet. Nach einer langsamen Phase der Reorganisierung waren am 1. Mai 2007 wieder mehr als 100.000 Menschen auf der Straße und am 14. Juni fand eine 15 Kilometer lange Demonstration statt. Die APPO führt jetzt auch wieder nationale Volksversammlungen durch und bemüht sich um eine nationale Einheit der Proteste.

Wie funktionierte die Koordination einer so großen Bewegung?
Hernández Morales: Hier spielte das Radio eine sehr große Rolle. Es gelang uns gleich zu Beginn, einen Radiosender zu besetzen. Damit hatten wir über weite Strecken einen eigenen Radiosender, über den alle Informationen verbreitet wurden. Und die Bevölkerung nutzte das Radio auch aktiv, indem Leute anriefen und im Radio ihre Meinung erklärten oder auf ihre Situation aufmerksam machten.
López Almazán: Bei der Kommunikation spielten auch die Frauen eine wichtige Rolle. In einem eigenen Protestmarsch der Frauen gelang es uns, einen lokalen Fernsehsender zu besetzen. Am 1. August haben wir einen Frauenmarsch organisiert. So sind wir mit 15.000 Frauen zur Direktorin des Fernsehsenders gegangen und haben gesagt: „Sie sagen immer, dass das der Fernsehsender der Bevölkerung ist. Also: Gib uns jeden Tag eine halbe Stunde.“ Die Direktorin wollte uns keine halbe Stunde geben. Da haben wir sie aus dem Haus begleitet und haben gesagt: „Nun gut, dann machen wir unsere Sendungen eben den ganzen Tag.“ Wir hatten den Sender dann 22 Tage bis zum 22. August. Da haben die Leute von Ulises Ruiz begonnen, auf die Sendeanlagen zu schießen, und haben alles zerstört. Danach haben wir aber Radiostationen besetzt und konnten so weiter senden.

Welche Ziele verfolgt die APPO?
López Almazán: Das wichtigste Ziel ist der Rücktritt von Ulises Ruiz und dass die Menschenrechte wieder gewahrt werden und natürlich die Umsetzung unserer gewerkschaftlichen Forderungen. Wir wollen wieder Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Auf nationaler Ebene ist unser Ziel die Vereinigung der kritischen Kräfte Mexikos. So ist es uns gelungen, die zwei Pole der Opposition, die Zapatisten und López Obrador (von der PAN = Partei der demokratischen Revolution, die 1989 eine linke Abspaltung von der PRI war, Anm.) zusammenzubringen.

Wie ist die APPO intern organisiert?
López Almazán: Die APPO ist auf zwei Ebenen organisiert. Es gibt auf staatlicher Ebene (damit ist Oaxaca gemeint, Anm.) die Volksversammlung mit 1500 Mitgliedern. Diese Mitglieder kommen aus den Indigenaorganisationen, der Frauenbewegung, den Gewerkschaften, aber auch aus kleinen lokalen Gruppierungen. Und dann gibt es das Exekutivkomitee mit 250 Mitgliedern. Wir sind demokratisch organisiert. Es gibt keinen Chef und jede Meinung zählt. So konnte auch der Widerstand so breit bleiben.

Was ist das Ziel eurer Reise? Und welche sind eure Hauptforderungen?
Hernández Morales: Am 24. September werden wir mit einer Komission aus möglichst vielen verschiedenen Organisationen der Plenarversammlung des europäischen Parlamentes in Straßburg eine Petition mit folgenden vier Forderungen überreichen.
1.    Freilassung aller politischen Gefangenen.
2.     Die 50 verschleppten Personen müssen wieder auftauchen.
3.     Aufhebung der politisch motivierten Haftbefehle.
4.     Die physische und psychische Integrität der Verfolgten muss gewahrt werden.
Wir bitten die EU, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Mexiko zu unterbrechen, bis diese Forderungen erfüllt sind.


Mit den beiden AktivistInnen führte Johanna Muckenhuber für KORSO das Interview. Auf dem Foto ist nur Jaquelina López Almazán zu sehen, da Samuel Hernández Morales nicht abgelichtet werden wollte.

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