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Josef Paneth – Vom Neuen Leben
Dienstag, 11. September 2007
Josef Paneth: Vita Nuova. Ein Gelehrtenleben zwischen Nietzsche und Freud. Autobiographie, Essays, Briefe. Herausgegeben und kommentiert von Wilhelm H. Hemecker. Graz: Leykam 2007. (=Edition Gutenberg. VI), 18,- Euro

Ganze 32 Jahre alt war der Wiener Mediziner und Zeitgenosse Sigmund Freuds, als er 1890 an Tuberkulose starb. Zu diesem Zeitpunkt hatte er in der Fachwelt bereits mit einer Reihe Publikationen – vor allem zu physiologischen Themen – auf sich aufmerksam gemacht. Die Interessen des aus kleinbürgerlichem jüdischem Hause stammenden Gelehrten, der nach einer unglücklichen Kindheit seine Eltern als gerade Zwölfjähriger bei einem Unfall verloren hatte, waren allerdings viel weiter gespannt.
Paneth beschäftigte sich im Trend seiner Zeit auf hohem Niveau mit den Fragen von Bewusstsein und Unterbewusstsein; seine Schlüsse sind insofern originell, als er auf der einen Seite Descartes’ Trennung zwischen Ich und Physis nachvollzieht, auf der anderen Seite aber führt diese Trennung für ihn nicht zwangsläufig zum Postulat eines „freien Willens“; das „Ich“ ist zwar Selbst-Bewusstsein – aber nicht wirklich steuernde Instanz, eher lasse sich, so Paneth in Analogie zu einem physiologischen Versuch, die „,vernünftige menschliche Überlegung‘ sehr wohl mit dem Stückchen Salz vergleichen […], das die Hemmungen eines Frosches in Wirksamkeit versetzt.“ (S. 184)
Paneths Position gegenüber dem Judentum ist eine extrem pragmatisch-aufgeklärte: Beim jüdischen Glauben handle es sich um einen Anachronismus, und wenn es auch „schlimm genug“ sei, dass „es stattlich anerkannte Religionsgenossenschaften gibt und ein Leben außerhalb derselben unmöglich ist“ (S. 88), so sei angesichts des wachsenden Antisemitismus jüdischen Familien einerseits empfohlen, ihre Kinder taufen zu lassen (um den Erwartungen des Mehrheitsvolkes Genüge zu tun und zu erwartenden Benachteiligungen vorzubeugen) – andererseits aber auf eine christliche Erziehung zu verzichten – um nicht von einem antiaufklärerischen Glauben in den nächsten zu verfallen.
Eine zentrale Stelle in der im vorliegenden Band wiedergegebenen Korrespondenz Paneths mit seiner Verlobten und späteren Frau Sophie Schwab – der er sein ,neues Leben‘, seine Abwendung von einer pessimistischen Weltsicht hin zu einer pragmatisch-lebensbejahenden verdankt – nimmt die Begegnung mit Friedrich Nietzsche ein, den er zu wiederholten Malen während eines Forschungsaufenthaltes in Villefranche bei Nizza traf. Paneth spricht Nietzsche völlig vom Vorwurf des Antisemitismus frei, kritisiert aber trotz aller persönlichen Wertschätzung dessen krause Ideen vom ,Übermenschen‘ in einer jener Passagen seiner Briefe, die die meisten LeserInnen uneingeschränkt für den Autor einnehmen dürften: „Ich kann mich für Weltformeln, Welterlöser und ,Übermenschen‘ nicht begeistern, am allerwenigsten, wenn wir einen sichern Besitz, unser bisschen Ethos und Menschlichkeit um dieser Chimären willen hingeben sollen.“

cs

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