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Transfer von sprachlichen Risiken
Mittwoch, 11. Juli 2007
John Giorno: „Jeder wird leichter“, Gedichte, Amerikanisch und Deutsch Übersetzung und Vorwort von Thomas Marquard, Stadtlichter Presse Berlin 2007, 106 Seiten

Der 70 Jahre alte Autor John Giorno aus New York, „Italo-Amerikaner“ und katholisch sozialisiert, wie er selbst sagt, war kürzlich in Wien zu Veranstaltungen; der Österreichische Rundfunk sendete mit ihm und über ihn. Giorno gehörte zur damaligen „Szene“ der ersten Pop-Künstler um Andy Warhol, Allen Ginsberg, William S. Burroughs, Robert Rauschenberg. Schon vor vierzig Jahren fand er für sich eine ganz eigene Art, seine Texte als Performer dem Publikum unmittelbar nahe zu bringen, nutzte daneben auch Schallplatten, Videos und Filme.
Die vorliegende zweisprachige Ausgabe leistet den Transfer von Giornos sprachlichen Risiken und Neuerungen ins Deutsche: Dies gelingt dank der nur kongenial zu nennenden, brillanten Übersetzungen von Thomas Marquard, dem gelernten Philologen aus Berlin.
Der Band stellt zehn längere Gedichte und einen Prosatext aus den letzten Jahren vor. Der Titel des ersten Poems „Sag einfach nein zu Familienwerten“ („Just Say No to Family Values“) gibt den Ton an: Es ist der optimistische Auftrag zur Befreiung, der Gestus der Beatniks. Aber heute gibt es keine Tabus mehr zu brechen und keine Bürger zu verschrecken. Während „damals“ sicherlich die „subjects“, die Themen, wie Auflehnung, Drogen, fantastischer Sex, die Faszination ausmachten, sind es heute eher die formalen Aspekte, wie die professionelle Perfektion, die Stilistik, die Durcharbeitung eines Themas, allerdings auch die Pointierung durch persönliche Erinnerungen. Der Autor beherrscht sein Handwerk souverän, es gelingt ihm authentische Poesie. Man nimmt ihm den existenziellen Grundzug zweifellos ab:
„Es ist nicht das was passiert,
es ist wie du damit umgehst“
In dem Gedicht „Jeder wird leichter“ wirkt dieser Aufruf als eine Beschwörung: „Leben heißt jede Menge Gaben“ (Life is lots of presents).
Poesie verbindet sich mit Magie im „danse macabre“ der Strophen des Gedichtes „Dämonen im Detail“, gewidmet den toten Gefährten aus der Beatnik-Zeit: Tanzende Skelette und Glocken der Hölle umkreisen so wunderschöne Sätze wie „ich will in dein Herz springen, ich komme gleich in dein Herz von hier aus“ (I want to jump into your heart, I’m gonna come in your heart from here). Aber auch Götterwelten sind nahe, wie immer in der Liebe.
Der Übersetzer meint im Vorwort, Giorno könne „über alles und jedes“ singen, und er weist auf ihn als praktizierenden Buddhisten der tibetischen Tradition hin, die das Paradoxe, Unerwartete, betont „als ein Mittel, Gewohnheitsmuster zu durchbrechen“. Die Gedichte entsprechen der Intention, im Wirbel des Lebens „große Seligkeit und Leerheit“ zu vereinigen. Sie sind manchmal drastisch bis „frivol“, nie hermetisch, sondern in der Spannung von sinnlichem Glück und sublimer Spiritualität.
(Der empfehlenswerte Band ist Nr. 15 in der Reihe Heartbeat, in der u. a. auch Lawrence Ferlinghetti und Jack Kerouac erschienen sind.)
Hedwig Wingler


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