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Dein Ich ist dein Gehirn
Mittwoch, 11. Juli 2007
Was macht ein Philosoph wenn er den Lehnstuhl verlässt, wo er über die Welt nachsinnt, bzw. eine Philosophin, wenn sie sich aus ihrem Rollstuhl erhebt (frei nach Elisabeth List)? Er/sie fährt vielleicht zu einem Philosophenkongress und trifft seinesgleichen, wie kürzlich in Graz beim 8. Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie.

Deren Präsident Wolfgang L. Gombocz vom Institut für Philosophie der Karl-Franzens-Universität lud vom 7.-9. Juni unter dem Titel „Gehirne und Personen. Mit einem Schwerpunkt zur Österreichischen Philosophie“ ins Resowi-Zentrum der Universität Graz.
Das Hauptthema des Kongresses „Gehirne und Personen“ verweist auf das aktuelle widerspruchsvolle Verhältnis zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, hier im Speziellen zwischen der Philosophie und den Neurowissenschaften. Haben doch in den letzten Jahrzehnten die Neurowissenschaften auf Grund ihrer fortschreitenden Kenntnisse des menschlichen Gehirns physiologische Erklärungsvorschläge für philosophische Grundtermini wie Bewusstsein, Willensfreiheit, Gedächtnis usw. vorgelegt und dadurch die Philosophie unter einen gewissen Rechtfertigungsdruck gebracht.

Ansgar Beckermann (Bielefeld) ging in seinem Eröffnungsvortrag auf diese Problematik ein, indem er den Naturwissenschaften, die mit provokanten Thesen wie: „Wir haben keinen freien Willen“ oder „Das Ich: nichts als eine Illusion“ die Philosophie herausgefordert haben, ein nicht mehr zeitgemäßes cartesianisches Menschenbild vorwarf. Die strikte Trennung: Hier das Gehirn, da das Ich, sei nicht aufrechtzuerhalten. Das Wort ,ich‘ sei einfach ein indexikalischer Ausdruck, der immer den bezeichne, der dieses Wort verwende. Und Beckermann schließt daraus: „Es gibt zwar kein Ich, doch es gibt mich. Und ich stehe nicht in Konkurrenz zu meinem Gehirn“ – eine scharfe Absage an jeden Dualismus.

Dieter Federspiel


Karsten Weber: Geisteswissenschaften auf dem Rückzug?

Sie haben in Ihrem Vortrag auf bereits technisch mögliche Methoden der Selbstmodifikation des Menschen verwiesen, z.B. Gehirnschrittmacher gegen Epilepsie, Steuerung der Blase, Steuerung des Orgasmus, Steuerung von Prothesen –  ermöglicht durch die fortschreitende Erkundung des menschlichen Gehirns durch die Neurowissenschaften. Sind da überhaupt Grenzen vorstellbar?
Es wird so ablaufen wie in vielen anderen Bereichen auch, nämlich schrittweise. Zum Beispiel ist ja noch nicht wirklich geklärt, wie unser Langzeitgedächtnis funktioniert. Wenn dies einmal aufgeklärt wird – und ich gehe davon aus, dass das irgendwann der Fall sein wird – dann wird dieses Wissen sehr schnell auch technisch eingesetzt werden, etwa um Alzheimerpatienten zu helfen, aber eben auch um Leistungssteigerungen zu erzielen.
Und so wird es auch in anderen Bereichen sein, die wir als wichtig für unser Bewusstsein, unser Selbst-Bewusstsein, für unser Den-
ken erachten wie z.B. auch die Wahrnehmungsprozesse. Wahrscheinlich werden wir im Zuge dieser Entwicklung irgendwann vergessen haben, von welchem Ausgangspunkt aus wir losgelaufen sind. Die technische Lösbarkeit wird sich damit verselbständigen.

Das Interview mit dem deutschen Philosophen Karsten Weber (Opole) führte Dieter Federspiel.


Wolfgang Gombocz: „Jedes Ich sitzt in einem Körper“

Der Kongress „Gehirne und Personen“ hat ein Thema aufgegriffen, das derzeit wegen neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in einer breiteren Öffentlichkeit debattiert wird, schließlich sind wichtige Säulen des menschlichen Selbstverständnisses wie Willensfreiheit und der Ich-Begriff davon betroffen. Welche Positionen wurden am Kongress zu diesen zentralen Fragen vertreten?
Zunächst ist festzuhalten, dass die wissenschaftliche Herkunft der TeilnehmerInnen einen guten Überblick über die angesprochenen Fragstellungen ermöglicht hat. Das zeigen schon die Hauptvorträge: Eberhard Schockenhoff näherte sich dem Thema aus der Sicht des christlichen Theologen, Lutz Wingert aus der rechtsphilosophischen. Dazu hatten wir zwei PhilosophInnen mit großen naturwissenschaftlichen Kenntnissen, nämlich Ansgar Beckermann und Sabine Döring. Die Philosophie ist ja mit diesem Thema stark gefordert – und nicht nur sie, sondern alle, die sich mit dem Personenbegriff auseinander setzen: Es geht dabei ja unter anderem um existenzielle Fragen wie jene, ab welchem Zeitpunkt jemand als tot zu bezeichnen ist, aber auch, ab welchem Zeitpunkt das Leben beginnt oder eine Entmündigung gerechtfertigt ist …

Das Gespräch mit dem Grazer Philosophen und Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie Wolfgang L. Gombocz führte Christian Stenner


Elisabeth List: Ersetzt der „homo oeconomicus“ das metaphysische Ich?

Ist der freie Wille in Gefahr seine Freiheit zu verlieren? Und was wird dann aus dem Ich?
Für mich ist der freie Wille eine Vorstellung, die wir nicht brauchen. Es geht primär um Freiheit als Handlungsfreiheit. Und diese ist kompatibel mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaften, neuronale Determiniertheit und Freiheit des Handelns sind beide möglich; trotz der großen Errungenschaften der Biotechnologie wird es nicht möglich sein, ein menschliches Wesen ganz und gar zu durchleuchten.
Unser Problem ist, dass Alt-Europa sehr Selbst-bezogen ist und deshalb gibt es eine große Sorge um die Auflösung des metaphysischen Ichs. Sie hinterlässt eine Lücke, mit der wir offenbar nicht leben können. Denn wir brauchen Bilder von uns selbst. Zu befürchten ist, dass diese Leerstelle durch das Bild des homo oeconomicus aufgefüllt wird.

Das Gespräch mit der Grazer Philosophin Elisabeth List führte Dieter Federspiel.
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