Was macht ein Philosoph wenn er den Lehnstuhl verlässt, wo er über die Welt nachsinnt, bzw. eine Philosophin, wenn sie sich aus ihrem Rollstuhl erhebt (frei nach Elisabeth List)? Er/sie fährt vielleicht zu einem Philosophenkongress und trifft seinesgleichen, wie kürzlich in Graz beim 8. Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie.
Deren Präsident Wolfgang L. Gombocz vom Institut für Philosophie der
Karl-Franzens-Universität lud vom 7.-9. Juni unter dem Titel „Gehirne
und Personen. Mit einem Schwerpunkt zur Österreichischen Philosophie“
ins Resowi-Zentrum der Universität Graz.
Das Hauptthema des Kongresses „Gehirne und Personen“ verweist auf das
aktuelle widerspruchsvolle Verhältnis zwischen Natur- und
Geisteswissenschaften, hier im Speziellen zwischen der Philosophie und
den Neurowissenschaften. Haben doch in den letzten Jahrzehnten die
Neurowissenschaften auf Grund ihrer fortschreitenden Kenntnisse des
menschlichen Gehirns physiologische Erklärungsvorschläge für
philosophische Grundtermini wie Bewusstsein, Willensfreiheit,
Gedächtnis usw. vorgelegt und dadurch die Philosophie unter einen
gewissen Rechtfertigungsdruck gebracht.
Ansgar Beckermann (Bielefeld) ging in seinem Eröffnungsvortrag auf
diese Problematik ein, indem er den Naturwissenschaften, die mit
provokanten Thesen wie: „Wir haben keinen freien Willen“ oder „Das Ich:
nichts als eine Illusion“ die Philosophie herausgefordert haben, ein
nicht mehr zeitgemäßes cartesianisches Menschenbild vorwarf. Die
strikte Trennung: Hier das Gehirn, da das Ich, sei nicht
aufrechtzuerhalten. Das Wort ,ich‘ sei einfach ein indexikalischer
Ausdruck, der immer den bezeichne, der dieses Wort verwende. Und
Beckermann schließt daraus: „Es gibt zwar kein Ich, doch es gibt mich.
Und ich stehe nicht in Konkurrenz zu meinem Gehirn“ – eine scharfe
Absage an jeden Dualismus.
Dieter Federspiel
Karsten Weber: Geisteswissenschaften auf dem Rückzug?
Sie haben in Ihrem Vortrag auf bereits technisch mögliche Methoden der
Selbstmodifikation des Menschen verwiesen, z.B. Gehirnschrittmacher
gegen Epilepsie, Steuerung der Blase, Steuerung des Orgasmus, Steuerung
von Prothesen – ermöglicht durch die fortschreitende Erkundung des
menschlichen Gehirns durch die Neurowissenschaften. Sind da überhaupt
Grenzen vorstellbar?
Es wird so ablaufen wie in vielen anderen Bereichen auch, nämlich
schrittweise. Zum Beispiel ist ja noch nicht wirklich geklärt, wie
unser Langzeitgedächtnis funktioniert. Wenn dies einmal aufgeklärt wird
– und ich gehe davon aus, dass das irgendwann der Fall sein wird – dann
wird dieses Wissen sehr schnell auch technisch eingesetzt werden, etwa
um Alzheimerpatienten zu helfen, aber eben auch um
Leistungssteigerungen zu erzielen.
Und so wird es auch in anderen Bereichen sein, die wir als wichtig für
unser Bewusstsein, unser Selbst-Bewusstsein, für unser Den-
ken erachten wie z.B. auch die Wahrnehmungsprozesse. Wahrscheinlich
werden wir im Zuge dieser Entwicklung irgendwann vergessen haben, von
welchem Ausgangspunkt aus wir losgelaufen sind. Die technische
Lösbarkeit wird sich damit verselbständigen.
Das Interview mit dem deutschen Philosophen Karsten Weber (Opole) führte Dieter Federspiel.
Wolfgang Gombocz: „Jedes Ich sitzt in einem Körper“
Der Kongress „Gehirne und Personen“ hat ein Thema aufgegriffen, das
derzeit wegen neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in einer
breiteren Öffentlichkeit debattiert wird, schließlich sind wichtige
Säulen des menschlichen Selbstverständnisses wie Willensfreiheit und
der Ich-Begriff davon betroffen. Welche Positionen wurden am Kongress
zu diesen zentralen Fragen vertreten?
Zunächst ist festzuhalten, dass die wissenschaftliche Herkunft der
TeilnehmerInnen einen guten Überblick über die angesprochenen
Fragstellungen ermöglicht hat. Das zeigen schon die Hauptvorträge:
Eberhard Schockenhoff näherte sich dem Thema aus der Sicht des
christlichen Theologen, Lutz Wingert aus der rechtsphilosophischen.
Dazu hatten wir zwei PhilosophInnen mit großen naturwissenschaftlichen
Kenntnissen, nämlich Ansgar Beckermann und Sabine Döring. Die
Philosophie ist ja mit diesem Thema stark gefordert – und nicht nur
sie, sondern alle, die sich mit dem Personenbegriff auseinander setzen:
Es geht dabei ja unter anderem um existenzielle Fragen wie jene, ab
welchem Zeitpunkt jemand als tot zu bezeichnen ist, aber auch, ab
welchem Zeitpunkt das Leben beginnt oder eine Entmündigung
gerechtfertigt ist …
Das Gespräch mit dem Grazer Philosophen und Präsidenten der
Österreichischen Gesellschaft für Philosophie Wolfgang L. Gombocz
führte Christian Stenner
Elisabeth List: Ersetzt der „homo oeconomicus“ das metaphysische Ich?
Ist der freie Wille in Gefahr seine Freiheit zu verlieren? Und was wird dann aus dem Ich?
Für mich ist der freie Wille eine Vorstellung, die wir nicht brauchen.
Es geht primär um Freiheit als Handlungsfreiheit. Und diese ist
kompatibel mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaften, neuronale
Determiniertheit und Freiheit des Handelns sind beide möglich; trotz
der großen Errungenschaften der Biotechnologie wird es nicht möglich
sein, ein menschliches Wesen ganz und gar zu durchleuchten.
Unser Problem ist, dass Alt-Europa sehr Selbst-bezogen ist und deshalb
gibt es eine große Sorge um die Auflösung des metaphysischen Ichs. Sie
hinterlässt eine Lücke, mit der wir offenbar nicht leben können. Denn
wir brauchen Bilder von uns selbst. Zu befürchten ist, dass diese
Leerstelle durch das Bild des homo oeconomicus aufgefüllt wird.
Das Gespräch mit der Grazer Philosophin Elisabeth List führte Dieter Federspiel.
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