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KOPFZEILE: Bienensterben und Zeitungssterben |
Archiv - Arbeit und Wirtschaft | |
von Martin Novak
Es kam aus den unendlichen Weiten des Internet. Kaum ein Artikel – und es sind sehr viele – der sich mit dem rätselhaften Verschwinden der Hongbienen (Colony Collapse Disorder) befasst, kommt ohne Albert Einstein aus: „Wenn die Biene von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Biene mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr." Dieser düstere Satz geistert aber nicht nur durchs World Wide Web, das, wie wir wissen, kostenlose Inhalte sehr unterschiedlicher Qualität bietet, sondern auch durch die Bezahlzeitungen. „Presse" und „Zeit" recherchierten dabei immerhin so genau, dass sie die Herkunft des Zitats in Zweifel zogen. Was aber noch nicht über den Qualitätsunterschied zwischen kostenpflichtigen Zeitungsinhalten und kostenlosem Internetschrott sagt. Denn auch in elektronischen Imkerforen wird die angebliche Einstein-Aussage hinterfragt. Und kein Journalist, sondern ein amerikanischer Bienenforscher namens Jerry Bromenshenk war es, der durch eine Nachfrage beim israelischen Einstein-Institut herausfand, dass eine solche Einstein-Aussage über Bienen im dortigen Archiv unbekannt ist.
Wenn durchschnittliche Bezahlzeitungen keine höhere Qualität der Inhalte (mehr) gewährleisten können als Webforen übers Bienensterben, dann droht auch das Zeitungssterben. Die Ironie dabei: In Zeiten immer knapperer Personalressourcen ist das Internet für die recherchierenden Journalisten ein Segen. Weil sie dabei aber zwangsläufig die gleichen Quellen anzapfen wie die Zeitungskäufer und Kunden der Medienunternehmen, bleibt der Mehrwert auf der Strecke. Die Zeitung wird zum Schmiedl, das Netz ist der Schmied. Gerade die begehrtesten Zielgruppen sind besonders anfällig für die Abwanderung: „Je höher die Bildung, je höher das Einkommen, desto eher verschiebt sich der Schwerpunkt der Mediennutzung ins Internet", prognostizierte Petter Eilertsen, hochrangiger Analyst der Boston Consulting Group in Norwegen, kürzlich bei einer Papiertagung in Wien. „Die Zeitungsindustrie fragt sich, warum sie junge Leser verliert", schreibt US-Zeitungsherausgeber Walter E.Hussman jr. in einem Gastkommentar für das Wallstreet Journal, „diese Leser mögen jung sein, aber viele von ihnen sind smart, gar nicht zu reden von ihrer Computerefahrung. Warum sollten sie eine Zeitung kaufen, wenn sie dieselbe Information gratis bekommen können?" Der Vorschlag des Autors, dass Zeitungen ihre Inhalte nicht mehr kostenlos ins Netz stellen sollten, wird aber wenig helfen, wenn Hussmans „Arkansas Democrat-Gazette" und die anderen Zeitungen dieser Welt nicht auch bessere Inhalte anzubieten haben. Die steigen Gewinne der Zeitungen „resultieren … in der Hauptsache aus Rationalisierungmaßnahmen, die sich auf das Leistungsniveau und den Bewegungsspielraum der Redaktionen auswirken", kritisierte der Philosoph Jürgen Habermas in einem Plädoyer für die Qualitätsmedien (Süddeutsche Zeitung). Wenn der Spielraum so eng geworden ist, dass niemand mehr Zeit hat, ein falsches Einstein-Zitat zu entlarven, muss eben Jerry Bromenshenk ran. Kostenlos.
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