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Slow Press
Archiv - SONDERTEIL: Die ersten zehn Jahre
Image von Wilhelm Hengstler

Das KORSO erinnert mich immer an Don Siegels Western „The Shootist", in dem sich John Wayne als alternder Revolverheld eine Zeitung kauft, um sie von vorn bis hinten durchzulesen bevor er sein finales Duell bestreitet. Er liest sie ganz genau, um zu wissen, besser. um zu imaginieren, was um ihn herum vorgeht. Auch der KORSO liegt einen Monat lang herum, und noch am Monatsende findet man darin etwas Interessantes zum Lesen.

So klein ist er gedruckt: Zeitung, die auf Sehschärfe setzt, statt auf eine als Aktualität getarnte Gehirnwäsche.

Meinen ersten Zeitungstext habe ich 1961 über den Gitarre spielenden Jesuiten Duvall für die ÖVP-nahe Neue Generation geschrieben. Der damals jugendliche Chefredakteur, Alfred Ableitinger, ist womöglich schon emeritierter Ordinarius für Geschichte an der Uni Graz. Die nächsten 45 Jahre sahen mich in unterschiedlichsten Redaktionen: der Volksstimme, der Presse, der Kleinen Zeitung, der Kronenzeitung, oder der Großen, aus der dann das Klipp wurde. Und die letzten Jahre öfters im KORSO, den es jetzt auch schon wieder zehn Jahre gibt. Allerdings habe ich mich nie als Journalist verstanden, noch als ein solcher Karriere gemacht. Wie manch andere Kollegen hielt ich den Nebenerwerbsjournalismus für eine akzeptable Einkommensquelle und darüber hinaus für eine Möglichkeit, Themen für sich zu erschließen. Die erste Annahme war ein existenzieller Fehler, man zahlt immer drauf. An der zweiten ist was dran. Beim Schreiben einer Kritik begreift man mehr vom Gesehenen und Erlebten als beim lockeren Resümee hinterher beim Bier.

An einem Frühlingstag vor ca. zehn Jahren am Tummelplatz erzählte mir Christian Novak das erste Mal von einem brillanten Freund namens Christian Stenner und ihrem gemeinsamen Plan, den KORSO zu machen. Der vor einem Jahr verstorbene Novak war ein „richtiger" Journalist im Lokalteil der Neuen Zeit gewesen, ehe er VWL fertig studiert und sich als Betriebsberater selbstständig gemacht hatte. Mit dem KORSO wollten die beiden ihre Vorstellung von Journalismus umsetzen: Redliche Skepsis gegenüber den Verhältnissen, Lust am Recherchieren und eine möglichst klare Darstellung der Ergebnisse. Damals hatte ich wieder einmal keinen Job und war ein bisschen beleidigt, dass ich nicht zur Mitarbeit eingeladen wurde. Aber mit dem Wortgeklingel „in der Kultur" zählte ich eben nicht als Journalist, wie mir „mein" Christian freundlich versicherte.

Bald darauf fragten mich die beiden Christians, ob ich nicht den „Kulturkalender" des KORSO machen wollte. Es ging um eine Veranstaltungsübersicht, die den Gebrauchswert der Zeitung erhöhen sollte. Vom erweiterten Kulturbegriff infiziert, versuchte ich Monat für Monat eine gleichsam kulturanthropologische Bestandsaufnahme von Graz zu erstellen. Statt zu nehmen, was bis zur Deadline eingetroffen war, lief ich tagelang irgendwelchen Veranstaltern nach. Die Empfehlungen im KORSO umfassten dann auch so Unterschiedliches wie Schwangerschaftsturnen, Neue Musik bei den Minoriten, alte Western im Fernsehen, die Bhagavad Gita im Licht der Befreiungstheologie oder eine Lesung im Literaturhaus. Bloß, dass niemand von der Brillanz meiner Arbeit Notiz nahm, und natürlich stand die Bezahlung in einem Missverhältnis zu meinem Aufwand. Zudem lieferte ich meist spät, und schließlich wurde es ein übermüdeter Christian Stenner leid, meine durch eine extrem fahrlässige Legasthenie bedingten Fehler zu korrigieren. Aber wo sonst hätte ich diesen gleichsam experimentellen Spielraum anders bekommen als im KORSO, das zwischen anarchisch und akademisch, zwischen grün und rot pendelte?

Ich habe, fürchte ich, im Lauf der Jahre noch mehr Zeitungsmacher als Christian Stenner gequält, und jeder dieser tatkräftigen Träumer konnte für sich in Anspruch nehmen, besessen zu sein. Heutzutage ist das ein Privileg. Aber besessen wovon? Besessen von einem republikanischen Aufklärungsfuror? Oder von dem unausrottbaren Trieb besessen, als Opposition schließlich doch noch in der Mitte der Welt anzukommen? Manche von ihnen kamen aus großen Zeitungen und machten sich selbstständig, andere wie Christian Stenner waren journalistische Quereinsteiger. Sie lassen sich allenfalls mit Religionsstiftern oder Filmregisseuren vergleichen: Überlebensgroße, durch und durch realistische Phantasten, hinter ihrer chronischen Überlastung und Gehetztheit kaum mehr wahrnehmbar als Person. Neben all den technischen Problemen, Finanzierungsrisiken und dem Personalärger, neben dem Kampf mit Druckereien und Anzeigenkunden wird für sie das Schreiben, der ursprüngliche Anlass, oft zur Nebensache. Die, milde ausgedrückt, spartanische Grafik ihrer Zeitungen erklären sie selber mit dem Fleckerlteppich aus Inseraten und der allgemeinen Geldknappheit. Ich vermute eher, dass das Layout die vielschichtige, kreative, unbezähmbare Persönlichkeit der Macher widerspiegelt, für die Stil oder Lifestyle einfach Zeitverschwendung ist. Sie sind unaufhörlich damit beschäftigt, den Spagat zwischen Überzeugungstäter und Dienstleister zu üben, zwischen Konfliktlust und Verbindlichkeit, zwischen der Kritik der Macht und der Machtlust, ohne die kein Medium zu machen ist. Und gelegentlich stellen sie eine Geschichte auf, die dann von den Redakteuren der größeren Zeitungen, die über sie gern lächeln, stillschweigend nachgeschrieben wird. Ich möchte mit diesen genialen Monomanen nicht verheiratet sein, aber ich möchte auch mit mir nicht verheiratet sein.

Journalisten haben einiges gemeinsam mit Politikern. Für Zeitungen gilt das Spannungsverhältnis zwischen „Qualitätsjournalismus" – aktuelle Grundlagenarbeit für das politische Gemeinwohl – und Dienstleistung, sprich Hofberichterstattung. Auch der investigative Journalismus braucht Verbündete im System und kann sich eine Taktik der verbrannten Erde nicht leisten. Aus den zwei funktional und normativ getrennten gesellschaftlichen Institutionen Presse und Politik ist mittlerweile ein freundliches, synergetisches Amalgam geworden, in dem Journalisten öfter hinüber in das sicherere politische Lager wechseln. Allerdings bedeutet, für eine Monatszeitung wie den KORSO zu schreiben, kaum genug Macht, um auch nur in die Nähe einer Verlockung zu kommen. So gesehen werden Sie im KORSO garantiert unparteiisch informiert. Vor allem in der Kultur.

Die Zeiten für Zeitungen sind in der Multimediagesellschaft härter geworden:
Früher verstand man unter „Qualitätsjournalismus" das, was die Herren Novak oder Stenner antrieb. In einer jüngst vom Falter als Diskussion getarnten medienkundlichen Veranstaltung hat Styria-Chef Horst Pirker den „Qualitätsjournalismus" als möglichst exakte Erfüllung der Erwartungshaltung des Publikums beschrieben: Zeitung als unablässig per Umfragen optimiertes, mediales Angebotsraster, das der Journalist auszufüllen hat. Zusätzlich zum Druck des Redaktionsschlusses wird der Printjournalist durch die elektronischen Medien und die Neuen Medien – Radio, Fernsehen, Internet - unter Aktualitätsdruck gesetzt. Digitale Fotografie, E-Mailverkehr, Paintbox, Handycam - all die Segnungen der Elektronik vergrößern zwar die journalistischen Möglichkeiten, degradieren den Journalisten aber zugleich zum Dienstleister. Schreibprogramme, die ihm ständig melden, wie viel Anschläge noch gemacht werden dürfen, sind die augenfällige Technometapher dafür. Und es nimmt nicht Wunder, dass sich mit der Reduktion des Medienarbeiters zum schnellen Tastendrücker bei den älteren Journalisten Trauer, bei den Jüngeren ein „flacheres Selbstverständnis" einstellt.

Eine der eher unterdotierten Ausgaben von KORSO ist, mit solchen aufwändig durchkalkulierten und -rationalisierten Produkten verglichen, von einer gediegenen Handwerksqualität. Natürlich wird auch im KORSO digital gearbeitet. Gleichzeitig ist der Betrieb aber so klein, dass betriebswirtschaftlichem Druck über die normale menschliche Ausbeutung hinaus sozusagen natürliche Grenzen gesetzt sind. Auf keinen Fall werde ich zum Schluss das alte Lied von der demokratiepolitischen Bedeutung einer unabhängigen Presse singen. Unabhängigkeit ist bei solchen Zeitungen keine politische Tugend, sondern ein notwendiger Geburtsfehler. Ihre Macher können gar nicht anders, und das macht den KORSO auch so schön authentisch. So wird es für mental bewusste Leser zur veritablen Alternative: Slow Press an Stelle von High-Tech-Journalismus, ähnlich wie Slow Food statt McDonald’s. Eine mentale Zukunftsdiät mindestens für die nächsten zehn Jahre.

Wilhelm Hengstler, geboren 1944 in Graz, Jusstudium und Promotion 1969, lebt in Judendorf bei Graz. Macht Filme und schreibt; erste Veröffentlichung in den ›manuskripten‹ 1966; Literaturzeitschriften und Anthologien; Film- und Theaterkritiken

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