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Mariazeller Gespräche: Mobilität und menschliche Verantwortung
Archiv - Wissenschaft und Forschung
Freitag, 9. Februar 2007
ImageIn der Abschlussdiskussion wurde die wichtige Rolle individueller Verantwortung im Umgang mit Mobilität angesprochen: (von l.) Jürgen Stockmar, Hemma Opis-Pieber, Hans Schnitzer, Bernhard Pelzl, Leopold Neuhold, Helga Kromp-Kolb und Anton Plimon.

Unter dem übergreifenden Thema „Mobilität – Bewegung ist Leben" beschäftigten sich die Teilnehmer der diesjährigen Mariazeller Gespräche am 12. und 13. Jänner mit den verschiedenen Facetten einer von Mobilität geradezu physisch abhängigen Gesellschaft.

Bei den bereits zum 8. Mal stattfindenden Gesprächen zur Wissenschaft und Technologieentwicklung trafen sich namhafte Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, um die Chancen und Risiken einer im wahrsten Sinne des Wortes allgegenwärtigen Mobilität aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu erörtern. Die Abschlussdiskussion und ihr Resümee aus ethischer Sicht richteten sich an die breite Öffentlichkeit und nicht zuletzt die politischen Entscheidungsträger.

Technologie im Diskurs mit Ethik. Seit dem Jahr 2000 hat sich Mariazell neben Alpbach als der Treffpunkt österreichischer Akteure aus Forschung und Technologie einen Namen gemacht. Bereits zum dritten Mal wurden die Technologiegespräche heuer gemeinschaftlich mit den Mariazeller Ethikgesprächen abgehalten, die vor einigen Jahren von der steirischen Forschungsgesellschaft JOANNEUM RESEARCH ins Leben gerufen wurden.

Mit Unterstützung des BM für Verkehr, Innovation und Technologie, der Steiermärkischen Landesregierung sowie Sponsoren aus Industrie und Wirtschaft soll die Gesprächstradition zur Mitgestaltung von sozialverträglichen technologischen Zukunftsmodellen auch in Zukunft fortgeführt werden. Im Ortskern des Marienwallfahrtsortes soll unter anderem für diesen Zweck bis 2008 die „Mariazeller Akademie", ein großzügig geplantes Kongresszentrum, mit einem Investitionsvolumen von rund zehn Mio Euro verwirklicht werden.

Schöne neue Auto-Welt. Unter dem Schirmthema „Mobilität" spannte sich der Bogen der Expertenreferate entlang der drei zentralen Aktionsfelder Verkehr, Arbeitswelt und Kommunikation. Zum Auftakt der Veranstaltung stellte DI Jürgen Stockmar, ehemals Entwicklungsvorstand bei den Allrad-Spezialisten von Magna-Steyr, die nicht unwidersprochene These auf, dass das Automobil im Personen- wie im Güterverkehr auch in Zukunft absolut unverzichtbar bleiben werde. Außerdem sei es aus volkswirtschaftlicher Sicht die treibende Lokomotive der Wirtschaft: „Die Automobilindustrie und zuliefernde Unternehmen stellen die wirtschaftliche Schlüsselindustrie dar und haben in Österreich den Tourismus an Umsatz schon überflügelt – Österreich hat übrigens mit großem Abstand die höchste Motorenproduktion pro Kopf." Die Rolle des Staates wird, so Stockmar, sich darauf beschränken, geeignete rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, notwendige Forschungsimpulse zu setzen und die Errichtung geeigneter Infrastrukturen für die Anwendung der neuen Technologien zu unterstützen.

Systemimmanente Technikgläubigkeit. Eine der kontroversen Expertenaussagen von Stockmar lautet kurz gefasst: „Die geforderte Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene ist bei der bestehenden Infrastruktur unmöglich!" Im Rechenbeispiel von Stockmar das nüchterne Fazit: „Rund 70% des Güterverkehrs werden mit Lkw umgeschlagen, wollte man davon nur 10% auf die Schiene verlagern, müssten dies Kapazitäten der Eisenbahnsysteme um etwa 50% erhöht werden." Wenig überraschend stammt das diesen Ausführungen zugrunde liegenden Zahlenmaterial von führenden Automobilherstellern wie BMW und vernachlässigt zudem, dass der Ausbau von Schienenkapazitäten seit Jahrzehnten vernachlässigt wird, weil der Transport auf der Straße schlicht und einfach extrem billig ist. Das Interesse am Ausbau der Schienenwege wäre zweifellos größer, wenn adäquate Mautsätze im Lkw-Transit etwa durch Einbeziehung der Umweltfolgen für mehr Kostenwahrheit sorgten. Ebenso sei, so Stockmar, der weitgehende Misserfolg des Dreiliter-Autos auf die Wünsche der Konsumenten zurückzuführen, die sich eben komfortable und „sportliche" SUVs Sports Utility Vehicles gönnen möchten. Die Frage, wie solche Wünsche geweckt wurden, blieb in den Ausführungen des Geländewagenspezialisten wohl bewusst offen.
In etwas differenzierterer Form nahm sich Dr. Josef Affenzeller von der AVL List GmbH der Thematik an, der bei der Forcierung alternativer Treibstoffe eine ganzheitliche Sicht einmahnte, „denn selbst beim sauberen Elektroauto sei zunächst die entscheidende Frage, aus welcher Energiequelle letztlich der dafür benötigte Strom komme".

Kommunikation und Arbeitswelt. In den weiteren Themenblöcken wurde Mobilität im Kontext der Entwicklung neuer Kommunikationsmethoden und der modernen Arbeitswelt abgehandelt. In Zusammenhang mit ersterem wurden insbesondere die Einsatzmöglichkeiten der Satellitennavigation und des Geodatenmanagements für die Lenkung der immer dichter werdenden Verkehrsströme erläutert. Realistische Marktschätzungen prognostizieren, dass im Jahr 2020 bereits 2,5 Mrd Nutzer weltweit das in der Umsetzungsphase befindliche Galileo-Satellitennetzwerk in Anspruch nehmen werden. Weltraumgestützte Systeme werden dann einen enorm großen Beitrag zur Mobilität des Massenmarktes leisten.
Ähnliches gilt für die Zukunft der Fahrzeugkommunikation: Der Trend führt hier zur intensivierten Entwicklung semiautonomer und autonomer Systeme, die dem Lenker immer mehr Aufgaben abnehmen und so einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit leisten können, wie etwa DI Dr. Heinrich Gam von den Austria Research Centers ausführte.
Der Trend zu moderner Kommunikation im Geschäftsleben ermöglicht zweifellos, so Dr. Kari Kapsch, „effektive" Echtzeit-Kommunikation und begünstigt das Entstehen mobiler Arbeitsplätze. Dagegen bemerkte Dr. Gudrun Biffl vom WiFO kritisch die Zunahme von Problemen für Menschen, die aufgrund verschiedenster Umstände (Armut, Wohnortwechsel, etc.) nicht am Wissensbildungsprozess beteiligt werden. Die Schaffung von mehr Qualifikationschancen durch „Lebensbegleitendes Lernen" während des Arbeitsprozesses sei deshalb ein zentrales Anliegen.

„Wir selbst sind der Stau". Die Verantwortung des Menschen war das Thema des Ethikteils der Mariazeller Gespräche. Der Grazer Theologe Univ.Prof. Dr. Leopold Neuhold warnte vor der Gefahr, dass Mobilität zum Selbstzweck wird und „uns schließlich selbst blockiert, statt uns Freiheit zu verschaffen". Daher müsse man sich die Frage nach den Zielen der Mobilität zu stellen und dann die geeigneten Mittel für die Zielerreichung auswählen.
Die Beschleunigung des globalen Klimawandels, dessen Auswirkungen inzwischen nur mehr von wenigen hart gesottenen Vertretern des ökonomischen Liberalismus geleugnet werden, wurde von der Meteorologin Univ.Prof Dr. Helga Kromp-Kolb eindringlich geschildert (siehe Interviews S 11).
Dass für die Erhaltung einer lebenswerten Umwelt das verantwortliche Handeln jedes einzelnen gefragt ist, betonten auch Mag. Hemma Opis-Pieber (Aktion Autofasten) und Prof. Dr. Hans Schnitzer, der einmahnte, dass wirtschaftliche Entwicklung auch die Interessen zukünftiger Generationen mit bedenken muss. Innovative Technologien seien wichtig, aber das eigentliche Potenzial liege im Hinterfragen unserer eigenen Bedürfnisse.
In der von Dr. Bernhard Pelzl (JR) geleiteten Podiumsdiskussion wurde ebenfalls weitgehende Einigkeit darüber erzielt, dass ohne verantwortliches Verhalten der Individuen die Mittel der Technologie allein in Zukunft nicht ausreichen werden, um die negativen Auswirkungen der Mobilität in den Griff zu bekommen.
Josef Schiffer

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