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KOPFZEILE: Krapfenlogik und Kutteldemokratie
Archiv - Politik
Donnerstag, 8. Februar 2007
ImageVon Novak Martin

Alfred Gusenbauer dürfte nicht Kanzler sein. Nicht nach den Gesetzen jener Medienlogik, die laut Fritz Plasser bereits vor mehr als zehn Jahren die traditionelle Parteienlogik abgelöst hat: „Politische Aktivierung und Mobilisierung erfolgen primär durch strategisches agenda setting, gefragt ist symbolisches Leadership und über den politischen Erfolg entscheiden Telecharisma und professionelle Tele-Performance politischer TV-Stars", stellte Plasser bereits in seiner Nationalratswahl-Analyse 1995 fest.

Dass Kanzlerkandidat Gusenbauer im Wahlkampf 2006 alles andere war als ein strahlender Medien-Liebling, belegt die akribische Analyse der Medienberichterstattung im Vorfeld der letzten Wahl („Lostage", Forschungsprojekt des Studiengang Journalismus und Unternehmenskommunikation der FH Joanneum, JUK 05). In der Disziplin Medienpräsenz hängte Wolfgang Schüssel Gusenbauer klar ab, der Bawag-Skandal war das bestimmende Thema, was kaum dem raffinierten agenda setting der SP zuzuschreiben sein dürfte. Kandidat Gusenbauer kam in der qualitativen Bewertung der Medien weitaus am schlechtesten weg. „Von der Papierform hätte die SPÖ die Wahlen keineswegs gewinnen dürfen", befinden Projektleiter Gabriele Russ und Heinz P. Wassermann zusammenfassend. Und stellen die Macht der Medien Meinung zu bilden dezent in Frage: „Das Auseinanderdriften von medialer Abbildung und tatsächlichem Geschehen ist jedenfalls markant."
Hilde Krenn würde die Zweifel an der Meinungsbildungsmacht der Medien nicht teilen. Hilde Krenn durfte kürzlich ihren 86. Geburtstag nicht in Ruhe feiern, weil sie sich des Ansturms auf ihre Krapfen am Kaiser-Josef-Platz kaum erwehren konnte. Das geschah, nachdem die Kleine Zeitung sie bzw. ihre backende Schwiegertochter einige Tage zuvor zu Siegerinnen des diesjährigen Bauernkrapfen-Wettbewerbs ausgerufen hatte.
Wer hat also recht, die Krapfenbäurin oder die Medienfachleute? „Auch in der Teledemokratie spielen kontextuelle Faktoren, soziale Netzwerke und persönliche Informations- und Kommunikationskanäle weiterhin eine bedeutende Rolle", relativierte Plasser schon 1995 die Medienlogik-These. Oder einfacher ausgedrückt: Wenn Medien den bestehenden Wunsch nach flaumigem Germgebäck aufgreifen, können sie sehr viel bewegen – zum Beispiel in drei Stunden 400 Krapfen. Im Wesen erfolgreicher Medienkampagnen liegt es, vorhandene Grundstimmungen frühzeitig zu erkennen und so zu verstärken, dass sie zur sprichwörtlichen Lawine werden. Die Medienmacht reicht aber nicht aus, um Grundbedürfnisse völlig um- oder gar neu zu definieren. So gibt es heute keine ÖVP-BZÖ-Regierung mehr, die immer noch bestehen würde, wären am 1. Oktober 2006 nicht Wahlzettel, sondern Medien-Clippings ausgezählt worden.
Und Frau Krenn hätte einen bedeutend ruhigeren Markttag verbringen können, wären Verkostung und Geburtstag nicht akkurat in die Faschings(krapfen)zeit gefallen oder wäre es, sagen wir, bei diesem Wettbewerb um Kutteln oder Stockfisch gegangen, die auch durch intensivstes Medienlob keine nennenswerten Sprünge in der kulinarischen Beliebtheitsskala machen könnten. Außer vielleicht in Grado oder Florenz, wo die Leute so etwas essen.

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