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WissenschafterInnen optieren für „die Armen“. |
Archiv - Rezensionen | |
Mittwoch, 8. Februar 2006 | |
Clemens Sedmak (Hg.): option für die Armen. Die Entmarginalisierung des Armutsbegriffs in den Wissenschaften. Freiburg/Br., Basel, Wien: Herder 2005, 629 Seiten. WissenschafterInnen optieren für „die Armen". Die Beweisführung, „dass intellektuelle Redlichkeit und ,Option für die Armen‘ in den Wissenschaften grundsätzlich miteinander vereinbar sind" – diese Aufgabe stellte sich Clemens Sedmak, Universitätsprofessor am Fachbereich Philosophie der Universität Salzburg. Herausgekommen ist dabei ein über 600 Seiten umfassender Sammelband mit Beiträgen aus den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen – und unterschiedlicher Qualität. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Beiträgen verfolgt einen extrem paternalistisch-technokratischen Ansatz der Armutsforschung: Die Soziologin Ilona Ostner referiert über „Armutsbegriffe im Wandel", der Statistiker Walter Krämer zweifelt die Sinnhaftigkeit der Definition von Armut mit Hilfe von Quantilen der Einkommensverteilung an (weil dann Armut per definitionem „nie verschwindet"). Oko- und sozialtechnokratisch präsentiert sich auch der Beitrag von Hans Lenk und Mathias Maring zur philosophischen Dimension einer Option für die Armut. Romy Fröhlich stellt an die Kommunikationswissenschaften den Anspruch, Entwicklungen im Medienbereich kritisch auf ihre Auswirkungen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu hinterfragen. Die Politologin Ruth Zimmermann sieht – ein wenig blauäugig – ihre Disziplin als Ratgeberin der Politik, der sie armutsbekämpfende Maßnahmen vorschlagen will. Ihr Fachkollege Franz Nuscheler liefert einen – sich in seiner Argumentation auf innerafrikanische Missstände beschränkenden und daher wenig überzeugenden – Beitrag über die Ursachen von Armut in den postkolonialen Staaten Afrikas. Kontrapunktisch dazu der erfrischende Artikel des Wiener Afrikanisten Walter Schicho, der schlicht feststellt: „Die Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit Armut ergibt sich aus meiner ethischen Verpflichtung gegenüber jenen, die ,Gegenstand meiner wissenschaftlichen Tätigkeit sind‘. Ich habe also keine ,Option‘". Im Gegensatz zu Nuscheler analysiert Schicho die Armut Afrikas als Folge der Dependenz von den Metropolen. Der Salzburger Geograf Christoph Stadel zeigt anhand kleinbäuerlicher ruraler Gemeinden des Andengebietes erfolgreiche Armutsbekämpfung durch Mobilisierung der endogenen Potenziale, eine Strategie, die im direkten Widerspruch zur neoliberalen Argumentation steht, der Armut müsse durch weitere Globalisierung begegnet werden. Auch der Ökonom Gebhard Kirchgässner sieht „Hilfe zur Selbsthilfe" als „Option für die Armen" – allerdings durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Der Grazer Rechtsphilosoph Peter Koller und seine Co-Autorin, die grüne Landtagsabgeordnete Edith Zitz, fordern eine „wirksame und durchgreifende Politik zur Armutsprävention" – unter anderem durch die Einführung einer allgemeinen Grundsicherung und angemessene Mindestlöhne.
Wohl einer der besten Beiträge des Bandes ist jener des Grazer Kunst- und Kulturwissenschafters Anselm Wagner, der unter dem Titel „Die goldene Nabelschnur kappen" ebenso einen Streifzug durch die Behandlung des Themas Armut in der (bildenden) Kunst unternimmt wie einen wissenschaftstheoretischen Exkurs über die Kunstwissenschaft und ihre nach wie vor vorhandenen blinden Flecken gegenüber der sozialen Realität. Einen möglichen Beitrag der Psychologie zur Armutsforschung zeigen Sabine Kunrath und Urs Baumann beispielhaft anhand der Erforschung der psychischen Auswirkungen von Wohnungslosigkeit. In einem der weiteren Highlights des Bandes erkennt der Wirtschaftswissenschafter Karl-Heinz Brodbeck den „Markt [selbst] als Quelle eines Ausgrenzungsprozesses" und geißelt die „kognitiven Schranken" des Mainstreams seiner Disziplin, die nicht sehen will, dass Armut Folge der Unmöglichkeit ist, am Markt teilzunehmen. Ähnlich argumentieren Andreas Exenberger und Josef Nussbaumer: Sie fordern eine armutsbewusste Ökonomik und zeigen die Defizite der Marktlogik. Beiträge aus den Fachbereichen Chemie, Pharmazie, Ernährungswissenschaften, Waldwissenschaften und Umweltwissenschaften ergänzen den Band.
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