Ralf B. Korte (sitzend) mit perspektive-Autor Helmut Schranz und der Germanistin und Moderne-Forscherin Anke Finger

Am Rande des Symposiums „Avantgarde akut" anlässlich des 30-jährigens Bestehens der Grazer Literaturzeitschrift perspektive sprach Christian Stenner mit perspektive-Autor und -Theoretiker Ralf B. Korte über die Aktualität des Avantgardebegriffs – und warum er manche schon wieder zur Distanzierung verleitet.

Nun hat sich die historische Avantgarde auch immer als systemüberschreitend begriffen – und in der Tat identifizierten sich viele der ihr zugehörigen KünstlerInnen mit systemoppositionellen politischen Bewegungen auf der Linken ebenso wie auf der Rechten.Heute sickert radikale Gesellschaftskritik vor allem aus den globalisierungskritischen Bewegungen sogar in den Mainstream ein, aber die aktuelle Literatur verharrt im Inhaltlichen und Formalen auf überalterten Positionen.

Ich möchte zunächst einmal den Begriff zu klären versuchen. In Österreich wurde ja die gesamte Nachkriegsliteratur – zumindest alles, was eher experimentell, schwer zu lesen und nicht rein erzählende Literatur war, unter dem Begriff Avantgarde subsumiert. Wir, die Gruppe um die Zeitschrift perspektive, differenzieren zwischen dem avancierten und dem avantgardistischen Schreiben und sagen, dass die Neo- oder Postavantgarden der Österreicher, das, was nach der Wiener Gruppe passiert ist, sich immer mehr zum Avancierten hin entwickelt haben. Man hat versucht eine Literatur zu schreiben, die allmählich in die Kanonisierung hineinwächst und bestimmte Formen so sehr etabliert und verfeinert, dass sie zur Staatsliteratur heranreifen können – unter Verabschiedung des tatsächlich avantgardistischen Impulses.