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Kopfzeile: Nur die Liebe zählt |
Archiv - Politik | |
Mittwoch, 8. November 2006 | |
Von Martin Novak
„Sie kennen und lieben Graz, verfügen über gute Computerkenntnisse und sind kommunikativ – dann schicken Sie Ihre Bewerbung …" – um welchen Job geht es in dieser Stellenanzeige? Die Vermutung, es handle sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Gästebetreuung der Handball-WM 2010, ist zwar nahe liegend, liegt aber daneben. Hier werden „Redakteure für unsere Lokalredaktion" gesucht. In der gleichen Anzeige sucht der Verlag „Verkaufsprofis mit Erfahrung". Würde er an diese ähnliche Ansprüche stellen wie an die künftigen Redakteure, müsste er sich wohl eher nach Anzeigenverkäufern umschauen, „die das Rascheln von 500-Euro-Scheinen enthusiasmiert und die die Grundrechnungsarten sicher beherrschen".
Den „Verkaufsprofis" wird aber auch etwas geboten: Fixum, Provision, Kundenstock und angenehmes Betriebsklima. Den Redakteuren? Nichts. Nun mag man einwenden, dass ein mittelwichtiges Gratismagazin, das tapfer Einstellungsgerüchte dementiert, nicht unbedingt repräsentativ für die Medienlandschaft ist. Bei diesem Medium arbeiten jedoch richtige Journalisten. Die zumindest hätten es verdient, dass man auch den künftigen Redakteuren etwas mehr abverlangt als die Liebe zum Objekt der … Berichterstattung(?). Es scheint aber, dass die angekündigte Professionalisierung des Journalismus eine Fehlprognose ist. Oder zumindest nur eine Teilwahrheit: Professionelle Content-Aufbereiter arbeiten mit Rohmaterial, das eine Unzahl von „Leser-Reportern" getrieben von der Liebe zur Sache, zur eigenen Berühmtheit, auch für weniger als 15 Minuten, herbeischaffen. Sogar Geld ist im Spiel: Die Bildzeitung bezahlt 500 Euro für ausgewählte Bilder und bietet eine 50-prozentige Beteiligung bei Weiterveräußerung. Um Respekt vor der Privatsphäre anderer Menschen wird lediglich gebeten. In Deutschland warnt die Initiative Qualität im Journalismus, der Verleger- und Journalistenverbände angehören, bereits „vor den Gefahren eines so genannten Bürgerjournalismus". Die flächendeckende Aufforderung an Leser und Zuschauer, in ihrem persönlichen Umfeld systematisch Informationen in Text und Bild für Veröffentlichungen zu beschaffen, berge Gefahren und Risiken für die „Bürgerreporter" selbst, für die Bürger und für die Qualität der Medien. Österreichs Medien, allen voran die Kleine Zeitung, haben einen Ausweg gefunden: Deren Leserreporter berichten primär über schöne Wanderwege und Sonnenuntergänge. Das tut nicht weh. Ob das auch noch gilt, wenn die Reinungskraft des Bundespräsidenten ein Live-Video vom Gusenbauer-Schüssel-tête-à-tête offeriert …? „Die wichtigste Lektion war, es, mich durch die landläufige Meinung nicht beeinflussen zu lassen", beschreibt eine Mode(!)-Redakteurin ihre journalistischen Standards. Robin Givhan arbeitet allerdings für die Washington Post, hat gerade den Pulitzer-Preis gewonnen und schreibt Artikel über die unpassende Garderobe Dick Cheneys bei einer Auschwitz-Gedenkfeier. In einer Leserreporter-Welt geht es aber gerade um die landläufige Meinung. Was insofern belanglos ist, als es in dieser Welt keine Pulitzerpreise gibt. Nur 500 Euro für ein Dieter-Bohlen-Foto während dessen Mallorca-Urlaubs. In einer gestreiften Badehose, die Karlheinz Grasser nie tragen würde.
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