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Renate Kicker: „In Europa dürfen keine geheimen Anhaltungen geduldet werden“
Archiv - Wissenschaft und Forschung
Mittwoch, 8. Februar 2006
ImageDDr. Renate Kicker ist Professorin am Völkerrechtsinstitut der Universität Graz und Mitglied des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (CPT), das laut Satzung des Europarates zu allen Gefängnissen der Mitgliedsstaaten uneingeschränkten Zugang hat. Für KORSO sprach Petra Leschanz aus aktuellem Anlass mit ihr über Geheimgefängnisse, Folter und Misshandlung in Europa.

Die Gerüchte über US-Geheimgefängnisse sowie die Aussagen über dort angewandte Foltermethoden haben weltweit großes Aufsehen erregt. Mehrere US- und NATO-Stützpunkte sind in diesem Zusammenhang genannt worden. Was hat das CPT bislang unternommen, um den Vorwürfen nachzugehen?
Das CPT ist ein Expertenorgan, das in allen 46 Europaratsstaaten das Mandat hat, Anstalten zu inspizieren, in denen Personen gegen ihren Willen festgehalten werden. Aufgabe des Komitees ist es, aufzuzeigen und damit für die Zukunft zu verhindern, dass Gefangene gefoltert oder unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden.
Es kann jederzeit eine Delegation in einen Mitgliedstaat senden und dort an allen Orten, an denen Personen die Freiheit entzogen ist, mit diesen vertraulich ohne Beisein des Personals sprechen. Wenn sich konkrete Hinweise auf die geheime Anhaltung von Personen ergeben, wird sofort eine solche Inspektion durchgeführt werden, denn dabei handelt es sich in jedem Fall um eine schwere Menschenrechtsverletzung.
Das CPT geht grundsätzlich davon aus, dass sich allein aus den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass in Europa keine geheimen Incommunicado-Anhaltungen, geschweige denn Verletzungen des absoluten Folterverbotes geduldet werden dürfen. Auch wenn amerikanische Militärbasen durch ein Abkommen (status of force agreement) von der nationalen Jurisdiktion ausgeschlossen wurden, ist der Gaststaat bzw. die internationale Organisation dafür mitverantwortlich, wenn dort schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden. In der Praxis ist das CPT natürlich davon abhängig, dass der Zugang auch praktisch gewährt wird. Was Kosovo betrifft, so konnte mit der UN-Mission bereits ein derartiges Einverständnis erzielt werden, nicht jedoch mit der NATO bezüglich der KFOR Basen. Die Verhandlungen sind im Gange und das CPT hofft auf eine baldige Zustimmung.

Mit 1. Jänner 2006 trat in Österreich das neue Fremdenpaket in Kraft. Es sieht erstmals die Zwangsernährung von Schubhäftlingen im Hungerstreik vor. Wie ist die Position des CPT zum Thema Zwangsernährung?
Das CPT vertritt mehrheitlich die Meinung, dass es vermieden werden sollte, Zwangsernährung generell durch Gesetz vorzuschreiben. Eine derartige Entscheidung sollte unter Berücksichtigung des klaren Willens des Hungerstreikenden allein vom behandelnden Arzt getroffen werden. Für das CPT ist jedoch jeder Hungerstreik ein Indikator, dass die Anhaltesituation als menschenunwürdig empfunden wird. Ein Staat, der es für notwendig erachtet, die Zwangsernährung gesetzlich einzuführen, sollte sich vor allem mit den Defiziten in den verschiedenen Anhaltesituationen beschäftigen. Der 4. CPT-Bericht über Österreich (www.cpt.coe.int) zeigt sehr deutlich, dass die Situation von Schubhäftlingen in den Polizeianhaltezentren in Österreich verbesserungsbedürftig ist.

Sie äußerten sich kürzlich sehr besorgt über die Wiedereinführung lebenslanger Haftstrafen ohne die Möglichkeit vorzeitiger Entlassung. Unter welchen Bedingungen leben die davon betroffenen Gefangen und wie ist das mit den Grundsätzen der EU in Fragen der Menschenrechte vereinbar?
Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, Manfred Nowak, der vergangene Woche mit mir in einer Veranstaltung des Europäischen Trainings- und Forschungszentrums für Menschenrechte und Demokratie (ETC) über diese Themen diskutierte, stellte ganz klar fest, dass echte lebenslange Haftstrafen unter das absolute Folterverbot fallen. Dennoch haben zwei der neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, nämlich Lettland und Ungarn, derartige Haftstrafen eingeführt. In beiden Staaten werden diese „echten Lebenslangen" ohne eine individuelle Beurteilung ihrer Gefährlichkeit als Hochsicherheitsgefangene behandelt. Das bedeutet, dass sie von der Gemeinschaft ausgeschlossen sind und sich nur mit Handschellen, die oft noch an einem Gürtel befestigt sind, in der Anstalt bewegen dürfen. In Lettland werden zum Teil Hunde ohne Beißkorb zur weiteren Bewachung eingesetzt. Daraus entsteht eine Situation der Isolation, die zusammen mit dem Mangel an jeglicher Entlassungsperspektive zu schweren psychischen Störungen führt. Es ist zu hoffen, dass unter der österreichischen Präsidentschaft derartige Fragen thematisiert werden. Mit den menschenrechtlichen Standards der EU ist das jedenfalls unvereinbar.

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