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„Die Psychoanalyse müsste wieder stärker mit einer soziologischen Perspektive kooperieren“ |
Archiv - Wissenschaft und Forschung | |
Mittwoch, 8. Februar 2006 | |
Zum Auftakt der Science Talks 06 der Neuen Galerie sprach der Wiener Psychoanalytiker und Facharzt für Psychiatrie und Neurologie August Ruhs anlässlich des 150. Geburtstags von Sigmund Freud über den Begründer der Psychoanalyse und deren aktuelle Bedeutung. Für KORSO, Medienpartner der Science Talks, führte Johanna Muckenhuber mit Professor Ruhs das unten abgedruckte Gespräch. Sie haben sich kritisch zum Psychotherapiegesetz und zur Krankenkassenregelung geäußert. Wie soll die Psychoanalyse (PA) für nicht so begüterte Personen finanziert werden? Ich habe nichts gegen die Krankenkassenregelung. Ambulatorien hat es immer gegeben und auch Freud sah die Notwendigkeit einer Gegenleistung durch die Patienten nicht ein. Der springende Punkt ist das Psychotherapiegesetz. Dieses Gesetz nimmt die Ausbildungskriterien der Psychoanalyse als allgemeines Kriterium für alle Therapien und verlangt von der PA eine Rechtfertigung. Diese Institutionalisierung der PA in einem Gesetz wird zur Zwangsjacke, die dazu führen könnte, dass die PA ihre Eigenständigkeit gegenüber den anderen Psychotherapien verliert. Im Falle der finanziellen Unterstützung einer psychoanalytischen Behandlung durch die Krankenkasse muss man mit berücksichtigen, dass dadurch die Abhängigkeit und die Versorgungshaltung oder eine Dankbarkeitshaltung genährt wird. Dies kann dazu führen, dass die freie Assoziation behindert wird. Deshalb muss die Bezahlung durch die Krankenkasse in die Analyse miteinbezogen und angesprochen werden. Sie haben in ihrem Vortrag erwähnt, dass vor allem der amerikanischen PA vorgeworfen wurde, sie sei ein Instrument gesellschaftlicher Anpassung. Wie stehen Sie zu diesem Vorwurf? Dieser Vorwurf kommt aus einer Zeit, in der in sozialen Kategorien gedacht wurde. Im Gegensatz zu heute, wo der Narzissmus im Vordergrund steht. Die PA ist aber ein Emanzipationsinstrument. Sie soll dazu führen, dass man durch Einsicht in Lage versetzt wird, für sich und andere die Lebensbedingungen zu verbessern. Ein sozialkritischer Ansatz ist heute aus der Mode gekommen, er wäre heute aber mehr denn je nötig. Wir haben die ethische Grundhaltung, dass man für sich und andere bessere Lebensbedingungen schaffen soll; es soll jeder nach seiner Fasson glücklich werden. Die PA hat also das Anliegen Liberalität und Solidarität zu vereinen. Und sie verfolgt einen Autonomiegedanken. Das beinhaltet ein Denken in historischen Zusammenhängen, eine Beleuchtung der Lebensgeschichte als Begründung für die Persönlichkeitsstruktur und Charakterbildung. Die Menschen sollen Freiheit erlangen, indem man sich den Wahrheitsaspekt der PA zu Nutze macht. Man eignet sich auch die unbewussten Anteile an. Und daraus folgt, dass keine Gegnerschaft zum Unbewussten mehr besteht. So macht man sich das Unbewusste zum Freund. Aus der Gegnerschaft wird eine Art Partnerschaft. Dahinter steht ein Versöhnungsgedanke. Sie haben den klinischen Alltag, die Kulturanalyse und die Gesellschaftskritik als die drei Säulen der Psychoanalyse charakterisiert. Welches wären nun die Elemente einer heutigen psychoanalytischen Gesellschaftskritik? Im Grunde würde es auf die Frage der Machtverhältnisse hinauslaufen. Man würde deren Analyse betreiben, unter Einschluss ihrer geheimen Motive oder nicht offen gelegten Beweggründe. Es wäre zu hinterfragen, inwieweit eine positive Umwertung von kollektiven, leicht ins Pathologische neigenden Bestrebungen erfolgt. Zum Beispiel: Im neoliberalen Turbokapitalismus neigen wir dazu Gier als Tugend zu bezeichnen. Denken Sie nur an den Spruch: „Geiz ist geil." Gleichzeitig wird gerne behauptet, dass der Kritik der Ökonomistik eine Neidproblematik entspricht, aber: die Gier kommt vor dem Neid. Man muss also auch die Gier analysieren und nicht nur die Kritik an der Gier, die als Neid denunziert wird. Ein drittes Beispiel: Theorien mit individuellen und gesellschaftlichen Erklärungen werden derzeit durch genetische und Vererbungstheorien verdrängt. Aber die Vererbung kann ja nur einen ganz kleinen Teil des menschlichen Verhaltens erklären. Eine psychoanalytische Gesellschaftskritik sollte auch zeigen, dass hinter der Förderung biologistischer Theorien große Interessen, Macht und Geld stehen.Es sollte so sein, dass unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen die PA der kollektiven Beweggründe wieder stärker mit einer soziologischen Perspektive kooperiert. August Ruhs: „Psychoanalytische Gesellschaftstheorie sollte auch zeigen, dass hinter der Förderung biologistischer Theorien große Interessen, Macht und Geld stehen."
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